
Ein Artikel von Nicole @dyfustic Britz und Emmanuelle @deuxcvsix Roser.
Am Wochende vom 6. und 7. April fand in Berlin die PiratinnenKon statt, die als ‚Liquid-Konferenz‘ angekündigt wurde und das Ziel hatte, mehr Klarheit zu schaffen, wie wir mit dem Thema Gender/Frauen in der Piratenpartei zukünftig umgehen wollen und eine kraftvolle Präsentation und Unterstützung von Weiblichkeit nach außen zu erreichen. Dies hat im Vorfeld für starke Emotionen gesorgt und auch völlig unrationale und teilweise aggressive Reaktionen ausgelöst.
Am Samstag morgen begann also die Veranstaltung. Die Dankesreden wurden auch schon vorab gehalten, was etwas seltsam war. Wurde befürchtet, dass es später nicht mehr dazu kommen würde?

Und dann ging es los. Die Initiatorin des #Aufschrei @vonhorst hat die Keynote gehalten. Sie sprach über Feminismus, den Umgang mit Genderfragen im Ausland und nannte als Hauptthema der Piraten das BGE, was allerdings bei einigen Anwesenden für etwas Irritation sorgte. Damit war der Rahmen zunächst gesetzt. Nach dem Auftakt ging man alles sehr flauschig an. Es wurde versucht eine Intime, vertrauensvolle Atmosphäre zu erzeugen, was angesichts der schätzungsweise 70 bis 100 Teilnehmer und des laufenden Streams doch recht schwierig war.
Dass die Veranstaltung trotz einiger negativer Vorzeichen in weiten Teilen sehr produktiv und konstruktiv ablief, ist sicher auch zu einem großen Teil dem “liquiden Prozess” geschuldet. Die Arbeit auf der Veranstaltung bestand nämlich nicht aus den üblichen Vorträgen und Workshops, sondern als Methode wurde das sogenannte World Cafe gewählt, bei dem kleine, im regelmäßigen Rhythmus durchgemischte Gruppen unter Leitung eines Hosts (Gastgebers) zu vorgegebenen Themen arbeiten und Ideen sammeln. Die wechselnden Gruppen und die zum Teil hervorragenden Hosts haben ermöglicht, dass an diesen Tischen durchaus sehr kontrovers diskutiert werden konnte. Dabei wurden keine Gedanken ausgesperrt. Damit wurde auch gewährleistet, dass zu allen Fragestellungen auch alle etwas sagen konnten. Dies wurde dem durchaus heterogenen Publikum sehr gerecht, weil hier keine Blockbildung im Sinne von “bestimmte Gruppe dominiert ein bestimmtes Thema” stattfinden konnte. Am Ende kam tatsächlich ein Ergebnis zustande, was in großen Teilen von allen Teilnehmenden getragen werden konnte. Diese Vorgehensweise kann sicher bei vielen Veranstaltungen zu extremer Produktivität führen und hat außerdem den angenehmen Nebeneffekt, dass man sehr viele Leute persönlich kennenlernt und es nicht langweilig ist.
Im Anschluss daran stellten die Hosts der Versammlung die Ergebnisse ihres Tisches vor. Einige haben es leider dabei nicht geschafft, ihre eigene Meinung im Hintergrund zu halten, was den konstruktiven und offenen Charakter der Runde etwas getrübt hat. Den meisten ist dies jedoch gelungen, so dass es als wirklich effiziente Methode der Ideensammlung funktioniert hat.
Danach gab es eine Art Spaziergang, welcher auf einige Teilnehmende eher den Eindruck eines Hofgangs im Knast machte. Darauf baute das nachfolgende „Storytelling“ auf. In mehr oder weniger zufällig zusammengestellten Dreiergruppen, wo man sich in 10 Minuten-Zeitfenstern persönliche Erfahrungen zum Thema erzählen sollte. Dieser Part sollte wohl die Teilnehmenden näher zusammenbringen, was sicher teilweise auch gelungen ist.
Hinterher gab eine Art Talkshow namens Fishbowl. Vorgesehen war, dass hier den Teilnehmenden die Möglichkeit gegeben werden sollte, ihre Erfahrungen und Sichtweisen mit den anderen zu teilen.
Angesichts der Tatsache, dass es sich aufgrund des Settings um eine Art Therapiesitzung auf offener Straße handelte (die Teilnehmenden vor Ort und die Zuschauenden im Stream), traten hier wieder eher diejenigen in den Vordergrund, die ohnehin selbstsicher genug sind, sich inmitten einer solchen Runde mit persönlichen Erfahrungen sehr offenherzig zu präsentieren. Die eher Schüchternen und Zurückhaltenden waren hiervon de facto ausgeschlossen. Wie von Seiten des Orgateams später zu hören war, ist diese Fishbowl-Sitzung auch am Ende nicht das gewesen, was man sich davon erhofft hatte. Die Rahmenbedingungen waren ungeeignet und das Konzept skaliert hinsichtlich der teilnehmenden Personen auch nicht beliebig. Aus unserer Sicht wäre die Bowl am Ende des zweiten Tages ohnehin sinnvoller platziert gewesen.
Am zweiten Tag wurde auf Basis der Themensammlung vom ersten Tag eine Liste von Fragen erarbeitet, die dann wiederum einzeln auf Tische verteilt wurde. Die Tische bekamen wiederum je einen Host und wieder rotierten die Teilnehmenden in wechselnden Zusammensetzungen. Dabei gab es bei jedem Wechsel einen neuen Aspekt, der im Zusammenhang mit der Fragestellung beleuchtet werden sollte: Problem – Vision – Aktion.

Ziel war es, hieraus konkrete Maßnahmen zu entwickeln, um den identifizierten Problemen zu begegnen. Diese Ergebnisse wurden dann hinterher wieder von den Hosts vorgestellt.
Erstaunlich war auch, dass die Gruppe sich häufig vom Thema “Frauen in der Piratenpartei” wegbewegte hin zu “wie können wir grundsätzlich besser miteinander umgehen” und “wie finden wir auch bei kontroversen Fragestellungen eine gemeinsame Position”. Und “Wie schaffen wir es, den Meinungspluralismus in der Partei zu erhalten!”. Das Themenfeld “Frauen/Gender” kann hier durchaus beispielhaft für andere kontrovers diskutierte Bereiche gesehen werden.
Ausgehend von der Piratinnenkon sollen nun Projekte beginnen, die zum einen nicht nur der gesamten Piratenpartei helfen können, ihren Standpunkt in Genderfragen zu schärfen, sondern auch
- die Frauen und Nichtrampensäue sichtbarer zu machen, auch in der Außendarstellung und in der innerparteilichen Meinungsbildung/Positionsfindung
- Eine leicht auffindbare Struktur zum Konfliktmanagement zu schaffen, damit beispielsweise Vertrauenspiraten kontaktiert und um Hilfe gebeten werden können. Außerdem wurde angeregt, eine Beauftragung zum Thema Antidiskriminierung zu vergeben.
- die Arbeit der Vertrauenspiraten bei Konfliktlösungen in verschiedener Weise zu unterstützen und den Vertrauenspiraten selbst Hilfe (beispielsweise Supervision) oder notwendige Infrastruktur bereitzustellen.
- Sichtbare Netzwerke zu schaffen an denen sich Interessierte beteiligen können oder Ratsuchende zum gesuchten Rat gelangen.
- Das Verfahren als solches für themenbezogene Piratenveranstaltungen zu etablieren bzw. Wege zu finden, es zu virtualisieren, damit auch online davon profitiert werden kann.
- Die innerparteiliche Streitkultur generell zu verbessern und dabei auch zu erreichen, dass diskriminierende Äußerungen unterbleiben und dass mehr gegenseitiger Respekt notwendig ist, auch wenn man unterschiedliche Meinungen vertritt.
- Über diese neue Streitkultur soll dann auch erreicht werden, dass die Piratenpartei für weniger konfliktfreudige Personen attraktiver wird. Ausserdem wird empfohlen bei der Terminplanung von Veranstaltungen wenn möglich auch an diejenigen zu denken, die Abends und am Wochenende zum Beispiel familiäre Verpflichtungen haben.

Unser Fazit: Aufgrund der Entstehungsgeschichte dieser Veranstaltung stand die Befürchtung im Raum, dass es sich hier um eine Art radikalfeministisches Event handeln würde, welches zum einen nicht möglichst viele Menschen mit ins Boot holt und zum anderen wieder den Anspruch erheben würde, dass eine kleine Gruppe von Personen für ALLE spricht, die sich grob unter “weibliche Piraten” subsumieren lassen. Dass es nicht dazu kam, ist sicher zum größten Teil dem Ablauf zu verdanken.
Leider war die Presse die meiste Zeit ausgesperrt bis auf zwei Ausnahmen. Für eine Veranstaltung der Piraten eine sehr außergewöhnliche Vorgehensweise und leider wurde nur darauf verwiesen, dass das ‚aus gutem Grund‘ geschehen würde, nicht aber, was dieser Grund sei, schließlich gab es ja auch einen Stream.
In der abschließenden Pressekonferenz wurde auf diese ganzen Themen und Ergebnisse leider nicht detailliert eingegangen. Sie wurde genutzt, um die Kandidatinnen vorzustellen und deren individuelle Positionen und Meinungen zu präsentieren, so dass das Bild nach aussen stark verfälscht wurde. Denn was leider hier viel zu kurz kam, waren die tatsächlichen Resultate der Konferenz. Zudem wirkt die Assoziation von „Frauen“ und „Schüchternheit“ als allgemeingültige Aussage immer eher verstörend als hilfreich.