Eine Kolumne von Ullrich Slusarczyk
Gerade erst war die zweite Staatenprüfung Deutschlands in Sachen Umsetzung UN-BRK (UN-Behindertenrechtskonvention) und schon senkt NRW das Geld für Inklusionsförderung an Schulen von 60 Millionen auf 10 Millionen. Die Inklusionspauschale für Inklusionsassistenten wird gar auf 0 zusammengestrichen.
https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/schule-inklusion-sparen-100.html
Es gibt einen vorläufigen Bericht der Kommission, der verheerend für Deutschland ausfällt. Teilweise haben sich Dinge sogar verschlechtert.
Der vorläufige Bericht ist hier:
https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/15/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=CRPD%2FC%2FDEU%2FCO%2F2-3&Lang=en
Allerdings gibt es auch drei Parallelberichte von dem deutschen Institut für Menschenrechte und vom deutschen Behindertenrat.
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/das-institut/abteilungen/monitoring-stelle-un-behindertenrechtskonvention/staatenberichtsverfahren
https://www.deutscher-behindertenrat.de/ID292569
Auch hier schneidet Deutschland freundlich formuliert sehr schlecht ab.
Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderung, Jürgen Dusel, kommentiert das entsprechend
https://drs.org/2023/08/29/staatenpruefung-zur-umsetzung-der-un-behindertenrechtskonvention/
Behindert sein, was bedeutet das?
Alle angegebenen Werte beziehen sich auf eine Schwerbehinderung. Ab einem GdB (Grad der Behinderung) von 50 Prozent gilt man als schwerbehindert.
Rund 3 Prozent aller Behinderungen sind angeboren. Das bedeutet, dass 97 Prozent im Laufe des Lebens erworben werden. 89 Prozent davon werden durch Erkrankungen verursacht. 1 Prozent durch Unfälle oder Berufskrankheiten.
https://www.rehadat-statistik.de/statistiken/behinderung/schwerbehindertenstatistik/
In meinem Fall bedeutet das, ich bin mit 53 Jahren schwerbehindert geworden durch Lungenkrebs und der daraus resultierenden Entfernung meines gesamten linken Lungenflügels.
Nun hat das für mich vergleichsweise wenig Auswirkungen, da ich noch ganz normal laufen kann und keinen Rollstuhl brauche und glücklicherweise auch noch keine Sauerstoffflasche mitführen muss, obwohl es manchmal schwierig ist voranzukommen, z.B. beim Treppensteigen.
Und damit habe ich ausgesprochen viel Glück. Denn wer im Rollstuhl sitzt, ist in Deutschland schon arm dran. Das fängt beim Arztbesuch an. Frauen z.B. haben dann ganze 5 gynäkologische Praxen bzw. Kliniken in ganz Deutschland zur Verfügung!
Das ist ein Witz! Ein sehr schlechter!
https://www.weibernetz.de/p/wo-bleibt-die-barrierefreie-gynaekologische-versorgung-2.html
Hier beachte man die Aussage: das Erste seiner Art.
https://www.gesundheitnord.de/klinikum-bremen-mitte/gynaekologie-gynaekoonkologie-und-senologie/barrierefreie-gynaekologische-praxis.html
Bahnfahren als Rollstuhlfahrer und/oder Begleitperson ist ebenfalls ein Ding der Unmöglichkeit, da häufig eine Voranmeldung erforderlich ist.
https://taz.de/Zu-wenig-Barrierefreiheit-in-der-Bahn/!5957554/
https://www.netz-barrierefrei.de/wordpress/deutsche-bahn-versagen-bei-der-physischen-und-digitalen-barrierefreiheit/
https://barrierefreiebahn.de/
https://blog.eichhoernchen.fr/post/alptraum-bahnfahrt-hindernisse-und-ein-brutaler-rauswurf/
https://wir-rad-antrieb.podigee.io/
Das als kleinen Überblick, was es für behinderte Menschen in Deutschland bedeutet, mit der Bahn fahren zu wollen.
Bildung
Was aber, wenn man schon mit einer Behinderung geboren wird? Dann wird die sowieso schon schlechte Situation noch mal schlechter. Und es trifft nicht nur den Behinderten selber, sondern meist auch die Familie. Und spätestens in der Schule fängt es an. Die meisten Schulen in Deutschland sind alles, nur nicht behindertengerecht. Ich kann mich noch gut an meine Schulzeit erinnern und die geradezu endlosen Treppen in meinen Schulen.
https://www.hermann-sander-schule.de/
https://zuckmayer-schule.de/
Keine der beiden Schulen hat einen Fahrstuhl oder schreibt, dass sie behindertengerecht wäre.
Zwar wirbt Berlin mit inklusiver Schule, aber ca. 395.000 Schüler treffen dabei auf 834 Schulen und Einrichtungen. 36 davon sollen seit 2016/2017 zu inklusiven Schwerpunktschulen umgebaut werden. Geben tut es bisher 20. Zumindest theoretisch bedeutet das, dass 814 Schulen für rollstuhlfahrende Kinder ungeeignet sind.
https://www.berlin.de/familie/informationen/inklusive-schule-in-berlin-106
https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/inklusion/schwerpunktschulen/
Das UN-BRK sieht vor, dass Schulen, die nur für Behinderte sind, abgeschafft werden müssen, da inklusive Schulen deutlich besser sind, und zwar für beide Gruppen!
Und dann schafft Nordrhein-Westfalen die Förderung in diesem Bereich fast völlig ab. Bedenkt man jetzt, dass Bildung in Deutschland sowieso nicht nur stiefmütterlich, sondern geradezu vernachlässigt wird, dann wird vielleicht klar, was das bedeutet.
https://www.morgenpost.de/bezirke/pankow/article236476259/Schuldrama-in-Pankow-Tunnel-schuetzen-Kinder-vor-Truemmern.html
https://www.zdf.de/nachrichten/heute-in-deutschland/marode-schulen-in-deutschland-102.html
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/marode-schulen-und-kitas-deutschlands-vergessene-kinder-kolumne-a-b0abd2b2-e116-49e5-968f-6dbbe4df516b
So wie diese Schulen aussehen, so sieht es im übertragenen Sinne auch mit der Integration im Bildungswesen aus. Ausgrenzung ist der Normalzustand. Ein paar Förderschulen, denen man extra Geld gibt und schon hat man etwas zum Vorführen, für Pressetermine und Hochglanzprospekte!
Ein Argument z.B. für sogenannte Förderschulen (früher auch Sonderschule genannt) ist, dass diese besser ausgestattet sind und z.B. über Rollstuhlrampen verfügen.
Integrative Schulen sind leider in der Minderheit. Dabei sind sie die Zukunft.
https://www.netmoms.de/integrative-schule-was-bedeutet-das_158234
Fazit
Klar kann man immer etwas verbessern. Es wird nie alles perfekt sein. Und man wird es auch nie allen gerecht machen können. Das alles ist mir klar. Aber wir können Unmengen an Geld ausgeben für ein Dienstwagenprivileg. Die direkten Kosten liegen dabei zwischen 3,5 – 5,5 Milliarden Euro. Indirekt kostet es angeblich aufgrund von Steuervergünstigungen bis zu 42 Milliarden Euro.
https://www.auto-motor-und-sport.de/verkehr/transport-environment-studie-dienstwagen-verbrenner-subvention-co2-steuergeld/
Aber selbst wenn der Betrag nicht stimmt. Hier geht es um Milliarden. Bei der Inklusion um Millionen.
Ähnlich sieht es mit Luftfiltern für alle deutsche Schulen aus.
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/luftfilter-schulen-corona-105.html
Kinder sind grundsätzlich dem deutschen Staat nichts wert. Wenn dann noch Wissenschaftsfeindlichkeit dazu kommt (Luftfilter helfen nicht, Behinderung ist ansteckend), dann hilft nichts mehr.
Schulen in Deutschland sind eine Katastrophe. Dazu kommen zweifelhafte private Schulen, wie z.B. die Waldorfschulen.
https://www.lehrer-news.de/blog-posts/krautreporter-recherchen-waldorfschulen-in-der-kritik
Und für kranke Kinder ist Schule ebenfalls mehr als nur ein Problem.
https://www.sueddeutsche.de/bildung/schulen-bochum-gericht-entscheidet-gegen-online-schule-fuer-kranke-kinder-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220503-99-143722
Wir sind die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Aber der Schutz unserer Schwächsten, und dazu zählen Kinder grundsätzlich, egal ob behindert oder nicht, ist uns nichts wert.
Und selbst als Erwachsener wird man ausgegrenzt, wo es nur möglich ist. Hier fehlt es an Bildung, Akzeptanz und der Umsetzung des UN-BRK.
Ullrich Slusarczyk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.