Ein Gastartikel von Theobald Tiger
Nachdem die Piratenpartei Deutschland bei der jüngsten EU-Wahl ihr Mandat nicht verteidigen konnte, beschäftigt sich der Autor mit Erklärungsansätzen und anderweitig vorgeschlagenen Erklärungen.
Ich habe mit dem Beitrag „Warum wir nicht mehr Menschen erreichen“ [0] einige Probleme. Alleine weil er die falschen Schlüsse zieht, und direkt zu Beginn ein falsches Framing als Rahmen für die Argumentation liefert. Ein regelmäßiger Besucher von Parteitagen weiß, dass der Autor des betroffenen Beitrags ein grundsätzliches Problem mit dem Anspruch hat, dass beispielsweise das CEEP, das gemeinsame Wahlprogramm der europäischen Piratenparteien, bei der vergangenen EU-Wahl das alleinige Programm sein sollte.
Dass man ein gemeinsames Programm haben wollte, lag auch in der Erfahrung begründet, dass wir in vergangenen Wahlen oft genug Programmteile aus alten Programmen mitgeschleppt hatten, die längst durch neue Beschlüsse der Partei überholt waren.
In der Vergangenheit ist es auch vorgekommen, dass falsche Aussagen damit transportiert wurden. So hieß es zur letzten Bundestagswahl, wir seien gegen eine gemeinsame europäische Armee – obwohl die Beschlusslage der Partei seit dem Parteitag in Düsseldorf 2017 da Gegenteiliges sagt. Nicht selten sind auch Personen innerhalb unserer Partei nicht fest in der aktuellsten Programmversion, oder meinen gar aufgrund des „piratigen Mandates“ Gegenteiliges in Wahlprüfbausteine oder in Parteiunterseiten zu packen, und dieses dann als „Meinung der Partei“ nach außen zu tragen. Ein extrem krasses Beispiel sind sicher die Piraten in Windeck, einer Kommune in NRW, die ihre privaten Positionen – welche im absoluten Gegensatz zu beispielsweise Beschlüssen des Bundesparteitages oder dem Europaprogramm stehen – als „Position der Piratenpartei“ nach außen kommunizieren.[1] Reaktionen des Landesverbandes NRW, obwohl es dort dem Vorstand seit Jahren bekannt ist, sind nie gekommen.
Dadurch, dass verhindert wurde, dass wir veralteten programmatischen Ballast abschütteln, weil „man hat ja keine Zeit“, dann die programmatischen Positionen aber neuen Beschlüssen und Positionen widersprechen, wird de facto jede inhaltliche programmatische Arbeit sabotiert und der Status Quo wird eingefroren.
Auch bei der EU-Wahl wurde versucht, entgegen der Beschlusslage der Partei eine aktivistisch linkslastige Schlagseite in das gemeinsame EU-Programm zu kippen, wobei diese Positionen und Ideen dann wiederum den Beschlüssen der Bundespartei widersprochen hatten. Man hätte sich derweil von Anfang an im Discourse Forum der PPEU,[2] wie BastianBB es zurecht am Parteitag in Hamburg 2023 angemerkt hatte, bei der Entwicklung des Programms und zugehörigen Debatten beteiligen können, sodass das frühzeitig hätte geklärt werden können. Und es hatten sich auch Personn aus allen PPEU-Ländern und den verschiedenen Interessensgruppen in der Partei beteiligt.
Fatal ist, dass der Artikel „Warum wir nicht mehr Menschen erreichen“ eben mit diesem falschen und framenden Rahmen etwas ganz anderes erreichen will. Der Autor ist bekannt für seine Haltung, dass wir die Wahlprogramme zur Bundestagswahl nur leicht updaten sollten, oder dass man alte Programmteile dann für Wahlprüfbausteine verwenden solle – so auch seine Aussagen und Anträge bei Parteitagen. Wobei dann oft genug eher „gefühlte“ Positionen eingebaut wurden, anstatt dass man ins CEEP geschaut hatte. Oft genug war es bei der Erstellung der Wahlprüfbausteine auch so, dass man das Bundestagswahlprogramm und seine Aussagen per default in die Prüfbausteine zur EU-Wahl (!) gekippt hatte. Die Themenbeauftragten mussten dann mit viel Mühe wieder herausstreichen. Insgesamt war der Ablauf daher einigermaßen mühsam, was man für die Zukunft angehen muss. Sonst ist man gar nicht in der Lage, eine höhere Anzahl von Anfragen abzuarbeiten (wie es im oben zitierten Artikel gewünscht wird).
Wenn an Infoständen oder zu ähnlichen Gelegenheiten veraltete oder schlicht falsche Positionen dargestellt werden – man muss da nur an die Außenkommunikation einiger dafür in der Partei berüchtigten Landesverbände denken, welche oft genug die Beschlüsse der Partei ignorieren und dann das absolute Gegenteil heraushauen – dann haben wir als Partei insgesamt ein Problem.
Es kann nicht angehen, wenn Programm und Beschlüsse ignoriert werden, die von der Partei beschlossen wurden. Wenn einfach jeder, der in Positionen gewählt oder ernannt wurde, ohne Konsequenzen nach Lust und Laune seine private sehr weitreichende „Interpretation“ als offizielle Position herausgibt.
Wir haben ein Programm, dem man ansieht, in welchen Bereichen es aktive Arbeitsgemeinschaften gibt und in welchen Bereichen eher noch ein historischer Flickenteppich vergangener Eitelkeiten vorliegt. Auch scheint das Wissen in der Partei nicht weit verbreitet zu sein, welche Programmarten für welche Wahl am Sinnvollsten sind. Dies ist insgesamt ein großes Problem für eine umfassende Partizipation in der Partei.
Wir können die Menschen nicht erreichen, wenn viele, die sich anmaßen, zu wissen, was wir sagen, nicht einmal in die Beschlüsse schauen oder sich dann veraltete, und neuen Beschlüssen widersprechende, Positionen heraussuchen, um zu behaupten, es wäre die aktuelle Parteibeschlusslage. Ein solches Verhalten stellt einiges auf den Kopf, wofür wir als Piratenpartei stehen und antreten. Wir erreichen die Menschen nicht, wenn wir uns aus Bequemlichkeit weigern, Antworten auf ihre Sorgen zu finden. Und man sollte sich nicht wundern, wenn dann der Wähler uns als sehr verwirrt und zerstritten wahrnimmt und sein Kreuz an einer anderen Stelle macht. Der Artikel „Warum wir nicht mehr Menschen erreichen“ ist daher, abgesehen von den durchaus wichtigen und aufschlussreichen statistischen Daten, leider in seiner Analyse viel zu kurz gesprungen, da er am Thema vorbei geht und die Wahrheit eher verschleiert, als uns als Basis die Möglichkeiten zu geben, Erkenntnisse für die Zukunft zu gewinnen um uns insgesamt zu verbessern und so besser Menschen zu erreichen.
[0] https://die-flaschenpost.de/2024/06/17/warum-wir-nicht-mehr-menschen-erreichen/
[1] https://oeko-piraten.de/frieden-schaffen-ohne-waffen/
[2] https://discourse.european-pirateparty.eu/c/common-european-election-program/9
Ich halte es für Naiv zu glauben das sich die Wähler für Programme interessieren.
Der Wähler antwortet mit seinem Verhalten darauf das die Politik einseitig den Geselschaftsvertrag (die Politik sorgt für Vollbeschäftigung und Wohlstand dafür macht der Bürger brav sein Kreuz bei SPD oder Union) aufgekündigt hat. Der Westen in den 70.ger Jahren und die DDR mit ihrer Auflösung.
Das Ziel der Wähler ist es die Politik wieder zur Einhaltung des Vertrags zu zwingen.
Moin,
zuerst einmal, wie BastianBB lade ich Dich herzlich ein, veraltete Inhalte in Programmen zu modernisieren. Ich persönlich habe keine Probleme damit, wenn Bereiche wie Urheberrecht oder Whistleblowerschutz aus dem Programm fliegen, weil es eben niemanden gibt, der sich damit noch beschäftigt und auf die aktuellen Entwicklungen anpasst. Dann müssen wir halt bei entsprechenden Fragen eingestehen, dass uns dieses Thema nicht mehr interessiert. Ansonsten hätten wir ja wohl eine aktuelle Position dazu. In diesem Zusammenhang weise ich auch gerne nochmals darauf hin, dass das letzte BTW-Programm über Basisvoten online erstellt wurde. Schon damals waren Inhalte veraltet, das hat aber offensichtlich niemanden wirklich animiert, sie zu überarbeiten oder zu entfernen. Somit haben sie weiterhin ihre Gültigkeit und können auch kommuniziert werden, auch wenn das nicht jedem gefällt. Auch mir nicht.
Und dann tatkräftig bei den Wahlprüfsteinen der kommenden Bundestagswahl aktiv mitzuarbeiten. Dann wirst Du nämlich auch feststellen, dass ich in meiner Funktion als Koordinator im allgemeinen nur dann inhaltlich aktiv werde, wenn die angesprochenen Fachpiraten, seien es Themenbeauftragte oder AG-Koordinatoren oder auch mir persönlich bekannte mit fachlicher Expertise ausgestatteter Basispiraten, nicht aktiv werden oder aber der zeitliche Rahmen für die Bearbeitung ausgesprochen kurz ist.
Mein Job ist es nämlich primär, eingehende Anfragen passend zu verteilen und darauf zu achten, dass sie form- und fristgerecht beantwortet werden. Und anzumerken, wo Eintragungen der aktuellen Programmlage nicht entsprechen bzw. der Fragestellung nicht entsprechen. Was diejenigen, die es eingetragen haben, dann annehmen können oder auch nicht. Dann erlaube ich mir tatsächlich als Basispirat Korrekturen vorzunehmen. Was ich selbst bei den wenigen Anfragen, die wir bekommen haben, des öfteren tun musste.
Aber auch, wenn ich dafür – und die parallelen samstäglichen Stände im Wahlkampf – das jeweilige Programm zumindest in seinen Grundzügen jedes Bereichs verinnerlicht habe, so behaupte ich doch nicht, allwissend zu sein. Da ist es doch toll, wenn es ein Team gibt, was dann übernimmt. Und daher wiederhole ich es nochmal:
Herzlich willkommen im Team Wahlprüfsteine. Ich freue mich auf eine konstruktive Zusammenarbeit.
Wie definierst du “veraltetet” Inhalte – Datum der Erstellung oder was? Und welche sind das konkret, was genau ist daran veraltet?
Keinen Wähler interessieren Wahlprüfsteine das sind Alibis für die Presse um so zu tun als ob sie etwas anderes als Profit interessieren würde.