
Vor einigen Monaten unterhielt ich mich ausführlich und „unter zwei“ mit einer befreundeten Politikerin einer großen sozialen Partei darüber, wie problematisch es ist, durch Lügen gute Wahlergebnisse zu erlangen. Ihre These war, dass das ständige Lügen eine Politik schafft, in der alle permanent lügen. Und wenn alle lügen, warum sollte man dann die Wahrheit sagen?
Ich verstehe durchaus, dass man die Wahl gewinnen will, aber das „Na ja, die andere Partei hat zuerst gelogen?“-Argument ist problematisch. Denn wenn das Modell „Es ist okay zu lügen, wenn auch die anderen lügen“ lautet, dann werden wir auf ewig in der Lüge leben.
Es geht mir nicht darum, eine starre Definition der Lüge einzuführen, die normales menschliches Miteinander unmöglich macht. Wir leben in einer Welt, in der jeder ständig lügt – die Werbung lügt, Ideologien lügen, Religionen lügen, selbst die Eltern lügen uns an (Stichwort Christkind, Zahnfee etc.). Und natürlich lügen wir selbst, entweder um uns und manchmal auch andere zu schützen oder – leider häufiger – um uns einen Vorteil zu verschaffen. Und vor allem belügen wir uns selbst.
Und weil es „üblich“ ist, lügen auch Menschen in der Politik. Bisher beschränkte sich das auf ein normales, wenn auch unangenehmes Maß. Sie lügen und lügen und lügen, manche bewusst, manche nebenbei, manche ohne dass es Ihnen klar ist – oder weil sie die Lüge selbst glauben. Menschen in der Politik lügen über einen gerechten Mindestlohn, sie tun so, als gäbe es NUR MIT IHNEN weniger Steuern, obwohl sie den Staat immer wieder an den Rand des Bankrotts treiben, sie tun so, als handelten sie in unserem Sinne, als meinten sie es gut mit uns – aber am Ende bringen alle nur ihre Schäfchen ins Trockene.
Um die Lügen zu erkennen muss man die Strategien der Lügen erkennen können. Ich erlaube mir, euch 11 klassische und typische Strategien der politischen Lüge vorzustellen – und in einem weiteren Artikel die, aus meiner Sicht, immer mehr um sich greifende und hochgiftige zwölfte Strategie.
1. Verzerrung von Statistiken
Oft präsentiert man Statistiken auf eine Weise, die die eigene Agenda unterstützt, während wichtige Kontextinformationen weggelassen werden. Ein Beispiel wäre die Hervorhebung einer sinkenden Arbeitslosenquote. Man könnte stolz verkünden, dass die Arbeitslosenquote von 7% auf 5% gesunken ist, was auf den ersten Blick positiv erscheint. Was jedoch oft verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass viele der neuen Arbeitsplätze Teilzeitstellen oder schlecht bezahlte Jobs sind. Zudem könnten Menschen, die die Suche nach Arbeit aufgegeben haben, nicht mehr als arbeitslos gezählt werden, obwohl sie eigentlich arbeitslos sind. Ein weiteres Beispiel ist die Manipulation von Kriminalitätsstatistiken, indem die Gesamtzahl der Verbrechen gesenkt wird, aber nicht erwähnt wird, dass bestimmte Arten von Verbrechen, wie beispielsweise Gewaltverbrechen, zugenommen haben. Diese Art der statistischen Verzerrung kann das öffentliche Vertrauen untergraben und ein falsches Bild von gesellschaftlichen Fortschritten oder Rückschritten vermitteln.
2. Halbwahrheiten
Auch Halbwahrheiten werden gerne verwendet, indem Fakten präsentiert werden, die zwar technisch korrekt sind, aber irreführend, weil wesentliche Details ausgelassen werden. Ein Beispiel wäre die Behauptung, dass die Kriminalitätsrate gesunken ist. Während dies korrekt sein kann, wird verschwiegen, dass die Rate bestimmter schwerwiegender Verbrechen wie Gewaltverbrechen oder Einbrüche gestiegen ist. Eine weitere Halbwahrheit könnte sein, dass behauptet wird, die Wirtschaft wachse, während verschwiegen wird, dass dieses Wachstum hauptsächlich großen Unternehmen zugutekommt und die Einkommensungleichheit weiter zunimmt. Diese Taktik kann dazu führen, dass die Öffentlichkeit eine falsche Vorstellung von der tatsächlichen Lage bekommt, und wichtige Probleme bleiben unadressiert.
3. Vage Versprechungen
Gerne und oft macht man vage Versprechungen, die schwer zu überprüfen oder zu messen sind. Zum Beispiel könnte man versprechen, „das Bildungssystem zu verbessern“, ohne spezifische Pläne oder Maßnahmen zu erläutern. Solche Versprechungen klingen gut und sind schwer zu widerlegen, da sie keine konkreten Details enthalten. Ein weiteres Beispiel ist das Versprechen, „sich für die Schaffung von Arbeitsplätzen einzusetzen“. Ohne genaue Pläne oder Maßnahmen bleibt unklar, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Diese vagen Versprechungen ermöglichen es, sich im Nachhinein herauszureden, wenn die versprochenen Verbesserungen nicht eintreten, da nie genau festgelegt wurde, wie diese erreicht werden sollten.
4. Ablenkung
Anstatt eine direkte Lüge zu erzählen, lenkt man oft von unangenehmen Fragen oder Themen ab, indem das Gespräch auf etwas anderes umgeleitet wird. Ein Beispiel wäre das Vermeiden einer Frage zur eigenen Korruption, indem man auf die Verfehlungen eines politischen Gegners hinweist. Wenn man beispielsweise mit einem Skandal konfrontiert wird, könnte die Aufmerksamkeit auf einen Fehler oder ein Fehlverhalten eines Rivalen gelenkt werden, um die eigene Situation zu entschärfen. Diese Taktik, bekannt als „Whataboutism“, soll das Publikum ablenken und von der eigenen Schuld oder Verantwortung ablenken. Solche Ablenkungen verhindern eine echte Diskussion über die Verantwortung und die Lösungen für die vorliegenden Probleme.
5. Selektive Darstellung
Man kann bestimmte Fakten oder Ereignisse hervorheben, die die eigene Position unterstützen, während gegenteilige Informationen ignoriert oder als Lüge dargestellt werden. Zum Beispiel könnte man die Erfolge seiner Regierungszeit betonen, indem man den Anstieg der Wirtschaftsleistung hervorhebt, während man gleichzeitig Skandale, Misswirtschaft oder politische Misserfolge verschweigt. Diese selektive Darstellung schafft ein verzerrtes Bild der Realität und führt dazu, dass die Öffentlichkeit ein einseitiges und unvollständiges Bild der tatsächlichen Leistungen und Fehler bekommt. Dies kann das Vertrauen in die politischen Institutionen und die Entscheidungsfindung der Wähler erheblich beeinflussen.
6. Irreführende Bilder und Symbole
Politische Werbung nutzt oft Bilder und Symbole, die eine bestimmte Emotion hervorrufen oder eine Botschaft vermitteln sollen, die nicht der Realität entspricht. Ein Beispiel wäre jemand, der sich mit Arbeitern in einer Fabrik oder in Gummistiefeln im Hochwassergebiet fotografieren lässt, obwohl keine Politik unterstützt wird, die diesen Arbeitern zugutekommt oder den Hochwasserschutz stärkt. Solche Bilder sollen die Verbundenheit mit der Bevölkerung suggerieren und Sympathien gewinnen, auch wenn die tatsächlichen politischen Maßnahmen im Widerspruch dazu stehen. Diese irreführenden Darstellungen können das Vertrauen der Öffentlichkeit manipulieren und ein falsches Bild von den wahren Absichten und Handlungen vermitteln.
7. Fehlinterpretation von Fakten
Sehr beliebt ist es, die Bedeutung von Fakten zu verdrehen, um eine bestimmte Erzählung zu unterstützen. Ein Beispiel wäre das Fehldeuten wissenschaftlicher Studien, um politische Maßnahmen zu rechtfertigen. Man könnte beispielsweise eine Studie über die Auswirkungen des Klimawandels selektiv zitieren, um die Notwendigkeit von Umweltschutzmaßnahmen zu untergraben, indem man nur die Unsicherheiten und offenen Fragen hervorhebt, während der überwältigende wissenschaftliche Konsens ignoriert wird. Diese Fehlinterpretationen können die Öffentlichkeit in die Irre führen und verhindern, dass notwendige und evidenzbasierte Maßnahmen ergriffen werden.
8. Übertreibung
Es ist quasi Handwerkszeug, die positiven Auswirkungen der eigenen Politik zu übertreiben oder die negativen Konsequenzen der Politik des Gegners zu dramatisieren. Ein Beispiel wäre die Behauptung, dass eine Steuererhöhung die Wirtschaft völlig zerstören wird, obwohl die Auswirkungen viel komplexer sind und oft nicht so dramatisch ausfallen. Solche Übertreibungen sollen Angst und Unsicherheit schüren, um politische Unterstützung zu mobilisieren oder Gegner zu diskreditieren. Diese Taktik verhindert eine sachliche und differenzierte Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahmen.
9. Schaffung von Feindbildern
Besonders schmutzig ist die Schaffung von Feindbildern, um von eigenen Problemen abzulenken. Ein Beispiel wäre die Schuldzuweisung an eine bestimmte Minderheit oder eine andere Nation für wirtschaftliche Probleme im eigenen Land. Indem man Sündenböcke schafft, lenkt man die öffentliche Aufmerksamkeit von den eigenen Unzulänglichkeiten ab und kanalisiert die Unzufriedenheit und den Unmut der Bevölkerung auf eine andere Zielgruppe. Diese Taktik kann gesellschaftliche Spaltungen vertiefen, Vorurteile und Hass schüren und zu sozialer Instabilität führen.
10. Verschleierung durch Sprache
Schwieriger zu erkennen ist eine zweideutige Sprache, um die wahren Absichten zu verschleiern. Ein Beispiel wäre die Verwendung von Begriffen wie „Haushaltskonsolidierung“ anstelle von „Kürzungen bei sozialen Leistungen“. Solche Euphemismen sollen unpopuläre Maßnahmen weniger bedrohlich oder unangenehm erscheinen lassen und die öffentliche Wahrnehmung beeinflussen. Durch die Verschleierung der wahren Absichten wird eine ehrliche und transparente Diskussion über die tatsächlichen Auswirkungen der Politik erschwert.
11. Manipulation durch Umfragen
Durch die Beauftragung von Umfragen über Dritte können Umfrageergebnisse manipuliert werden, um die Popularität oder die Unterstützung für die eigene Politik zu übertreiben. Gerne werden auch Ergebnisse anderer Umfragen falsch interpretiert. Ein Beispiel wäre die selektive Veröffentlichung von Umfragedaten, die in einem positiven Licht darstellen, während negative oder weniger vorteilhafte Ergebnisse verschwiegen werden. Diese Manipulationen sollen das öffentliche Meinungsbild beeinflussen und den Eindruck erwecken, dass die eigene Position stärker unterstützt wird, als es tatsächlich der Fall ist. Dies kann die Entscheidungsfindung der Wähler verzerren und das Vertrauen in die Integrität des demokratischen Prozesses untergraben.
12. Alternative Weltbilder
Durch gezielte Fehlinformationen oder vollständige Lügen werden Narrative konstruiert, die eine bestimmte politische Agenda unterstützen. Diese alternativen Weltbilder verdrehen bestehende Fakten bzw. stempeln diese als Lüge ab und werden durch alternative Medien, soziale Netzwerke und bekannte Persönlichkeiten verbreitet. Ziel ist es, Verwirrung zu stiften, Zweifel zu säen und die eigene Macht zu festigen, indem die Wahrnehmung der Realität bei der Bevölkerung verändert wird. Eingesetzt wurde diese Taktik in der Vergangenheit von Faschisten, Theokraten, Kommunisten (Stalin, Pol Pot, Mao etc.) und anderen menschenfeindlichen Weltbildern.
Ich werde diese Taktik morgen in einem zweiten Artikel ausführlich beleuchten.
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt und Podcastet nur wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂
Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft. Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit. Jeder Bericht wurde zerstört oder verfälscht, jedes Buch umgeschrieben, jedes Bild neu gemalt, jede Statue und jedes Straßengebäude umbenannt, jedes Datum verändert. Und der Prozess geht Tag für Tag und Minute für Minute weiter. Die Geschichte hat aufgehört. Es existiert nichts außer einer endlosen Gegenwart, in der die Partei immer recht hat.
Jetzt werde ich dir die Antwort auf meine Frage geben. Sie lautet folgendermaßen: Die Partei strebt Macht einzig und allein um ihrer selbst willen an. Uns interessiert nicht das Wohl anderer; uns interessiert ausschließlich die Macht, pure Macht. Was reine Macht bedeutet, wirst du gleich verstehen. Wir unterscheiden uns von den Oligarchien der Vergangenheit dadurch, dass wir wissen, was wir tun. Alle anderen, sogar die, die uns ähnelten, waren Feiglinge und Heuchler. Die deutschen Nazis und die russischen Kommunisten kamen uns in ihren Methoden sehr nahe, aber sie hatten niemals den Mut, ihre eigenen Motive zu erkennen. Sie gaben vor, vielleicht glaubten sie sogar, dass sie die Macht unfreiwillig und nur für begrenzte Zeit ergriffen hätten, und dass gleich um die Ecke ein Paradies läge, in dem die Menschen frei und gleich sein würden. Wir sind nicht so. Wir wissen, dass niemand jemals die Macht ergreift mit der Absicht, sie wieder abzugeben. Macht ist kein Mittel; sie ist ein Zweck. Man errichtet keine Diktatur, um eine Revolution zu schützen; man macht die Revolution, um die Diktatur zu errichten. Der Zweck der Verfolgung ist die Verfolgung. Der Zweck der Folter ist die Folter. Der Zweck der Macht ist die Macht. Jetzt fängst du an, mich zu verstehen.
Krieg ist Frieden.
Freiheit ist Sklaverei.
Unwissenheit ist Stärke.
/Auszug aus „1984“ !