Als ich vor ca. 20 Jahren das letzte mal an einer Hochschule beschäftigt war, fiel mir auf, dass einige Vorlesungen an der technischen Fakultät, insbesondere im Bereich Informatik, nur noch auf Englisch gehalten wurden. Es betraf mich als Mitarbeiter nur indirekt, aber ich fand es “merkenswürdig” – auch wenn die Erklärung dafür einleuchtend war und sinnvoll klang.
Seitdem hat sich viel geändert, die Rolle des Englischen in Lehre und Forschung an deutschen Hochschulen hat in den letzten zwei Jahrzehnten erheblich zugenommen. Diese Entwicklung steht offensichtlich in engem Zusammenhang mit der Globalisierung und Internationalisierung der Wissenschaft. Während Englisch als international dominierende Wissenschaftssprache an sich kein Problem darstellt, reduziert sich Deutsch und andere (ehemals?) wichtige Wissenschaftssprachen (Französisch, Italienisch etc.) als Fach- und Unterrichtssprachen.
Im Prinzip ist dies Entwicklung zu begrüßen, fördert sie doch die Vernetzung und Zusammenarbeit. Es gibt aber auch ein paar Nachteile für Studierende und die Gesellschaft ganz allgemein, diese möchte ich in diesem Beitrag den Vorteilen gegenüberstellen.
Historische Perspektive
Historisch gesehen war die deutsche Wissenschaftssprache vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert dominant – verhältnismäßig viele wissenschaftliche Durchbrüche entstanden im deutschen Sprachraum, demzufolge wurde auch eine relativ hohen Anzahl ab Publikationen auf Deutsch verfasst. Dies änderte sich jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg, denn dann – nach der ersten Welle zu Beginn des Nazidiktatur – verließen viele weitere, teilweise brillante Forscher Deutschland und publizierten nun in der Sprache Ihrer neuen Heimat – meist amerikanisches oder britisches Englisch.
Gründe für den Vormarsch des Englischen sind zum einen die Globalisierung der Wissenschaft, die eine gemeinsame Sprache erfordert, um den internationalen Austausch und die Zusammenarbeit zu erleichtern, und zum anderen die Tatsache, dass viele der renommiertesten wissenschaftlichen Zeitschriften und Konferenzen englischsprachig sind. Wissenschaftler, die auf Englisch publizieren, erreichen eine größere Leserschaft und werden häufiger zitiert, was sich positiv auf ihre wissenschaftliche Karriere (Forschung und Lehre) auswirkt. Hinzu kommt die Internationalisierung der Hochschulen, da vermehrt englischsprachige Studiengänge angeboten werden, um internationale Studierende anzuziehen – Stichwort “Steigerung der Attraktivität der Hochschule” und “Förderung des interkulturellen Austauschs”.
Vor- und Nachteile
Ganz klar an erster Stelle: Englisch erleichtert die weltweite Zusammenarbeit und den Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse. Auf Englisch publizierte Forschungsergebnisse erreichen ein größeres internationales Publikum und werden häufiger zitiert. Und Wissenschaftler, die auf Englisch publizieren und lehren, haben bessere Chancen auf eine internationale Karriere – alles entscheidende Vorteile in einer globalisierten Welt.
Aber es gibt auch Nachteile, auch wenn sie nicht von allen so gesehen werden. Zum einen haben wir eine eingeschränkte Zugänglichkeit – wissenschaftliche Diskussionen und Erkenntnisse werden für die deutschsprachige Öffentlichkeit weniger zugänglich, was zu einer Entfremdung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft führen kann. Zum anderen verlieren wir Fachterminologie: Die Fähigkeit, neue wissenschaftliche Begriffe und Konzepte in deutscher Sprache zu entwickeln, geht verloren. Für Menschen mit Migrationshintergrund, die Deutsch als Zweitsprache und Englisch nur als Drittsprache beherrschen, stellt diese Entwicklung eine besondere Herausforderung dar.
Auswirkungen auf die Studierenden
Ich sehe drei wesentliche Effekte: Erstens den Rückgang deutschsprachiger Publikationen (was nicht per se negativ zu bewerten ist): Der Anteil der auf Deutsch publizierten wissenschaftlichen Arbeiten ist stark zurückgegangen, was dazu führt, dass Deutsch in der wissenschaftlichen Kommunikation immer weniger verwendet wird.
Zweitens sehe ich einen Verlust der deutschen Fachsprache: Mit der Dominanz des Englischen geht die Fähigkeit verloren, neue wissenschaftliche Begriffe und Konzepte in der deutschen Sprache zu entwickeln und zu pflegen. Das schadet der sprachlichen Vielfalt und der Entwicklung eines reichhaltigen wissenschaftlichen Vokabulars. Folgeprobleme ergeben sich damit in Bereichen des im täglichen (Berufs-)Leben, in denen Deutsch als Pflichtsprache vorgeschrieben ist – zum Beispiel Betriebs- oder Wartungsanleitungen. Hinzu kommen Gesetzestexte und Verordnungen, die fehlende Begriffen entweder “erstellen” müssen oder umständlich umschreiben – beides verringert die in diesem Bereich schon vorherrschende reduziert Verständlichkeit.
Der dritte und für mich relevanteste Punkt ist, dass inländische Studierende, für die Deutsch oder Englisch nicht die Erst- oder Zweitsprache ist (z.B. durch eigene Zuwanderung oder einen ausgeprägten familiären Migrationshintergrund), durch eine dritte Sprache in ihren Chancen massiv beeinträchtigt werden. Die erhöhte kognitive Belastung durch den Gebrauch von drei Sprachen im Alltag kann zu Überforderung führen, insbesondere wenn im akademischen Umfeld hohe sprachliche Anforderungen gestellt werden.- Studierende müssen sich also nicht nur Fachwissen aneignen, sondern auch komplexe wissenschaftliche Texte in einer Drittsprache verstehen und analysieren.
Hinzu kommen beispielsweise der zusätzliche Zeitaufwand für das Erlernen und Verbessern der englischen Sprache und eine mögliche Beeinträchtigung des Selbstvertrauens durch den ständigen Vergleich mit Kommilitonen, die fließend Englisch sprechen. Darüber hinaus zeigen Studien, dass sprachliche Herausforderungen die akademischen Leistungen erheblich beeinträchtigen können. Verständnisschwierigkeiten in englischsprachigen Vorlesungen und Seminaren können nicht nur zu schlechteren Noten und geringerem Lernerfolg führen, sondern auch die Fähigkeit, komplexe Konzepte schnell zu erfassen, beeinträchtigen – womit sich zusätzlicher Lernbedarf nach der Vorlesung ergibt.
Schlussfolgerung
Die Entwicklung hat – aus meiner Sicht – langfristig negative kulturelle und akademische Auswirkungen auf Studierende und auch die Gesellschaft. Es gilt daher, ein Gleichgewicht zu finden, das die Vorteile der Internationalisierung nutzt und gleichzeitig die sprachliche und kulturelle Vielfalt bewahrt. Während Englisch die internationale Vernetzung und die Karrierechancen von Wissenschaftlern verbessert, führt es gleichzeitig zu einem zum Teil erheblichen Nachteile für Studierende, die Englisch nicht als Erst- oder Zweitsprache sprechen. Ein weiteres Hinzu kommt eine zunehmende Barriere zwischen Wissenschaft, Gesetzgebung und Gesellschaft.
Politischer Handlungsbedarf
Forschung und Lehre sind frei, gar keine Frage. Einschränkungen, wie sie von Seiten nationalistisch motivierter Kräfte gern populistisch formuliert werden, sind deshalb abzulehnen. Die Frage ist für mich aber, ob nicht zumindest die Wissensvermittlung in der Amts- und Verkehrssprache sowie der primären Muttersprache der Bevölkerungsmehrheit eines Landes geschehen sollte. Dies gilt vor allem, um alle diejenigen, für die Englisch Dritt- oder gar Viertsprache ist, nicht zu benachteiligen.
Hierfür bedürfte es, wenn es nicht schon Regeln gibt, die ignoriert werden, einer gesetzlichen Regelung bzw. einer bindenden Verordnung – vor allem um ein einklagbares Recht zu erhalten. Kommentare hierzu erbeten 😉
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt nur noch wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂