Die Stabilität der Schweizer Demokratie im Angesicht des Aufstiegs extremistischer Kräfte in Europa und darüber hinaus ist ein bemerkenswertes Beispiel für die Widerstandsfähigkeit eines politischen Systems, das auf direkter Demokratie und föderaler Struktur basiert. Während in vielen europäischen Ländern, wie Deutschland mit der AfD oder den USA mit Donald Trump, autoritäre Tendenzen zunehmen, konnte die Schweiz in den letzten Jahrhunderten eine beständige demokratische Tradition bewahren, die sie weitgehend immun gegen solche Bewegungen gemacht hat.
Historischer Kontext: Faschismus und die Schweiz
In den 1930er Jahren, als der Faschismus in Ländern wie Italien, Deutschland und Spanien auf dem Vormarsch war, blieb die Schweiz ein stabiler, demokratischer Anker in Europa. Dies ist umso bemerkenswerter, da die geografische Nähe und die wirtschaftlichen Verflechtungen mit diesen Ländern hätten erwarten lassen, dass auch die Schweiz anfällig für solche Bewegungen wäre. Doch die Schweiz widerstand diesen Tendenzen dank ihrer tief verwurzelten direkt demokratischen Strukturen, die Machtkonzentration und autoritäre Übernahmen erschwerten.
Europäische Demokratien in der Krise
In der heutigen Zeit erleben wir in Europa eine neue Welle der Instabilität in den Demokratien. In vielen Ländern gibt es nach Wahlen keine klaren Mehrheiten mehr, was lange Verhandlungspoker zur Folge hat, um halbwegs tragfähige Koalitionen zu bilden. Diese instabilen Regierungen, wie zum Beispiel die Ampelkoalition in Deutschland, stehen oft am Abgrund und sind wenig fähig zukunftsweisende Lösungen zu finden. Radikale Kräfte nutzen diese Schwäche aus, um überproportionalen Einfluss zu gewinnen und Aufmerksamkeit zu erregen. Da diese Probleme nicht einfach so von alleine verschwinden werden, sind tiefgreifende Reformen das demokratischen Systems an sich sehr dringend notwendig. Die Bereitschaft dazu ist bei den etablierten Parteien jedoch leider nicht zu erkennen.
Die Stabilität der Schweizer Demokratie
Im Gegensatz dazu bleibt die Schweiz ein Leuchtturm der Stabilität. Obwohl auch hier die traditionellen Volksparteien an Stärke verlieren und Rechtspopulismus zunimmt, bleibt das politische System durch das Konkordanzprinzip und die direkte Demokratie stabil. Das Konkordanzprinzip stellt sicher, dass die politischen Strömungen stets in der Regierung vertreten sind, was radikalen Kräften den Zugang zur Alleinherrschaft erheblich erschwert. Das Konkordanzprinzip beruht also auf der Einbeziehung aller politischen Parteien in die Regierungsarbeit. Dies bedeutet, dass politische Entscheidungen auf einem breiten Konsens basieren und keine einzelne Partei oder Koalition die gesamte Macht monopolisieren kann.
Als Konkordanzdemokratie (lateinisch concordantia ‚Übereinstimmung‘) wird ein Typus der Volksherrschaft bezeichnet, der darauf abzielt, eine möglichst große Zahl von Akteuren (Parteien, Verbände, Minderheiten, gesellschaftliche Gruppen) in den politischen Prozess einzubeziehen und Entscheidungen durch Herbeiführung eines Konsenses zu treffen. Insofern ist die Konkordanzdemokratie eine der Konsensdemokratie ähnliche Form, in der die Mehrheitsregel als Entscheidungsmechanismus keine zentrale Rolle im politischen System spielt. Das Gegenmodell zur Konkordanzdemokratie wird als Konkurrenzdemokratie bezeichnet.[1]
Als zusätzliches Korrektiv sind zusätzlich auch durch die Bevölkerung selbst initiierte Volksabstimmungen möglich. Durch das Referendum können Bürger über bereits verabschiedete Gesetze abstimmen und diese gegebenenfalls blockieren. Diese Machtteilung führt dazu, dass Extremisten wenig Spielraum haben, um das politische System für sich zu monopolisieren. Die Volksinitiative erlaubt es den Bürgern, Änderungen vorzuschlagen und zur Abstimmung zu bringen. Diese Instrumente stärken das Vertrauen der Bevölkerung in das politische System und halten extreme Bewegungen in Schach. Die Bundesrepublik Deutschland ist hingegen eher dem Modell der Konkurrenzdemokratie zuzuordnen, indem die Parteien untereinander in einem harten Konkurrenzkampf stehen, sich stärker gegenseitig bekämpfen und die Macht alleinig von den Regierungsparteien ausgeht.
Ein Fallbeispiel:
Ein aktuelles Beispiel für das Konkordanzprinzip ist die Empfehlung der Schweizer Piratenpartei zum Thema eVoting/eCollecting. Der Große Rat in der Landeshauptstadt Bern ist den Empfehlungen der Piraten gefolgt und hat diese angenommen. In Deutschland wäre es völlig undenkbar, dass eine kleinst-Partei sogar ohne Sitz im Parlament bei der Landesregierung überhaupt Beachtung findet. Im Gegenteil, in Deutschland ist es Tradition, dass die Regierungsparteien meist aus Prinzip gegen alles stimmen, was aus der Opposition kommt, selbst dann wenn es sinnvolle Vorschläge sind. Diese Rechthaberei im Stil von “Meine Partei, Meine Partei die hat immer Recht” trägt erheblich zur Spaltung der Gesellschaft bei und verhindert effektiv, dass die besten möglichen Lösungen beschlossen werden. Das führt strukturell zu schlechteren Gesetzen, die zu mehr Unzufriedenheit im Volk führen, was wiederum von radikalen Populisten leicht ausgenutzt werden kann. Bei uns in Deutschland ist daher ein grundlegender Wandel der politischen Kultur bitter notwendig. Denn das verloren gegangene Vertrauen der Menschen in das Funktionieren der Demokratie muss wieder hergestellt werden.
Quelle: https://be.piratenpartei.ch/der-grosse-rat-folgt-den-piraten-bezueglich-e-collecting/
Die Piratenpartei Deutschland und die Möglichkeit der Demokratisierung
Fakt ist, dass in Deutschland die Demokratie in einer schweren Krise steckt, welche tiefgreifende Reformen notwendig macht, um zu einem Zustand dauerhafter Stabilität zurückzufinden. Die Piratenpartei Deutschland könnte in Zukunft dazu beitragen, einige der stabilisierenden Elemente der Schweizer Demokratie auch in Deutschland ins Gespräch zu bringen und entsprechende Reformvorschläge auszuarbeiten. Die Piratenpartei betont bereits Transparenz, innerparteiliche Basisdemokratie und eine stärkere Bürgerbeteiligung. Hat also bereits strukturelle Ansätze, welche in diese Richtung gehen. Die Forderung nach Volksabstimmungen ist bereits im Europawahl Programm enthalten:
Ich bin überzeugt, dass es notwendig ist, unsere Demokratie völlig neu zu denken und auch radikale Ideen zur Reform hin zu einer direkteren Demokratie voranzutreiben. Es ist offensichtlich, dass ein weiter so wie bisher kaum mehr funktionieren wird. Der Frust in der Bevölkerung mit dem demokratischen System und der Politik der Parteien wächst immer weiter an. Nur hier und da mit inkrementellen Reformen an der Oberfläche zu kratzen wird die Zukunftsfähigkeit unserer Demokratie nicht sicherstellen.
Das ist auch für die Piraten eine Zukunftsfrage, denn um für die Wähler interessant zu werden, müssen wir uns klar von den anderen Parteien unterscheiden und Alleinstellungsmerkmale haben. Vor allem aber auch eine Zukunftsvision nach außen tragen, welche bisher von keiner der Parteien gefordert wird. Für ein Parteiprogramm, das nur als Sammelsurium an Einzelthemen vermarktet wird, werden wir nur wenige Menschen begeistern können. Deshalb brauchen wir eine klare und positiv radikale Vision einer besseren, einer anderen Demokratie, die auch in Wahlkämpfen offensiv nach außen getragen werden kann. Unser Grundsatz- und Wahlprogramm bieten dafür bereits sehr gute Ansätze, die weiter entwickelt und ausgebaut werden müssen.
*Transparenz Hinweis, teilweise mit Hilfe von ChatGPT ausformuliert
Redaktionsmitglied Max Kehm
Seit 2009 netzpolitisch und bei den Piraten aktiv. Technikenthusiast und Künstler mit Interesse an philosophischen und intellektuellen Themen.