Ein Gastkommentar von RA Prof. Dr. Andreas Gran, LL.M.
Politische Macht muss kontrolliert werden. Hierbei wird eine Gefahr unterschätzt: Rechtsberatung und Politik in Personalunion, also die Vermengung von Judikative und Legislative. Es folgt ein Appell an das Gewissen unserer Volksvertreter, nie die anvertraute Verantwortung für die Allgemeinheit hinter anwaltliche Eigen- und Mandatsinteressen zu stellen.
Juristen in der Politik
In Zahlen: Mehr als hundert juristische Berufsträger/innen, ganz überwiegend Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, repräsentieren unsere parlamentarische Demokratie im Bundestag. Also ist diese Berufsgruppe mit etwa 15 Prozent am stärksten vertreten, gefolgt vom Berufsfeld der Politikwissenschaft mit lediglich etwa 5 Prozent. Es folgen Lehr- und Beratungsberufe, weit abgeschlagen. Auch auf Landes- und Kommunalebene sowie in Europa zeigen sich solche Gewichtungen. Nun zu Personen: Anwaltliche Tätigkeit geht weitgehend über Parteien hinweg. Krah war ein Beispiel im ganz rechten Spektrum, Kubicki ist es bei den „Liberalen“, Gysi bei den Linken, aber auch die „wichtigsten“ Männer auf Bundesebene entstammen der Anwaltschaft. Unser Bundeskanzler ist Partner bei Zimmermann, Scholz & Partner. Als Fachanwalt für Arbeitsrecht beriet und vertrat er insbesondere Betriebsräte von Großunternehmen bei Sozialplanverhandlungen und in Einigungsstellen. Der Oppositionsführer erscheint auf der Homepage bei der US-amerikanischen Kanzlei Mayer Brown. Er hat dort im Gesellschaftsrecht, bei M&A-Transaktionen, also bei Unternehmensübernahmen und -beteiligungen, sowie zu Compliance, also „Gesetzestreue“, beraten. Am konkreten Beispiel von Scholz und Merz, den Rivalen auf der politischen Bühne – ohne Robe, aber mit Mikrophon – wird klar, dass sich bei Bundestagsdebatten oft Gegner mit anwaltlicher Prägung begegnen. Das kann Weitblick trüben, auch wenn beide (berufsrechtlich selbstverständlich) derzeit nicht anwaltlich aktiv sind.
Interessenskonflikte
Es sollte also mehr öffentliches Bewusstsein dafür entstehen, dass sich hier Menschen einen politischen Schlagaustausch liefern, die intensiv aus Mandatsgeschäft einerseits Belegschaftsinteressen und andererseits Investoreninteressen kennen und als Rechtsanwalt dazu verpflichtet waren, diese vollkommen einseitig im Sinne der Klientel durchzusetzen. Das ist nicht verboten, kritisch kann es jedoch allemal sein, denn das Fixieren auf eine undifferenzierte Argumentation ist Wesen einseitiger anwaltlicher Interessenvertretung, anders als beim Richteramt. Wer sich auskennt, wird schnell Verstrebungen von offiziell nachvollziehbaren Großmandaten und politischen Interessen erkennen (www.juve.de). Warum wird wohl Mandantschaft einer Kanzlei mit politischen Entscheidern vertrauen, die Hoffnung auf interne Einblicke gegen Honorar womöglich? Hier geht es weder um den konkreten Vorwurf des politischen Amtsmissbrauchs von Politiker/innen einerseits oder um Mandatsgeheimnisse und etwaigen Parteiverrat andererseits, sondern um die schlichte Gefahr von persönlichen Interessenkonflikten.
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind sog. Organe der Rechtspflege. Sie haben eine wichtige Rolle in unserer freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung, denn sie stärken die Gewaltenteilung durch ihren Einfluss auf die Judikative gegenüber Legislative und Exekutive. Dabei sind sie allerdings zur Loyalität verpflichtet. Beispiel: Namhafte Wirtschaftskanzleien vertreten ausländische Finanzinvestoren, für die weder das Arbeits- noch das Umweltrecht oder gar der Verbraucherschutz in Deutschland renditefördernd sind. Bei solchen „Deals“, deren Honorarvolumen oft im fünf- bis sechsstelligen Bereich liegt, gilt es, der Mandantschaft zu raten, wie etwaige Investitionshürden durch den deutschen Rechtsrahmen umgangen werden können. Das ist der Job, Individualinteressen durchsetzen. Politische Amtsträger wiederum sind als Teil eben dieser gesetzgebenden Gewalt unserer Verfassung verpflichtet, Allgemeininteressen unterstützen. Das gebietet eine persönlich neutrale Funktion. Im Bundestag und den Landtagen sind tausende in Kraft befindliche Gesetze und Verordnungen geschaffen worden, nahezu jedes Normenwerk hat dabei Einfluss auf Mandanteninteressen. Wenn nun eine Verbindung zu einer Rechtsanwaltskanzlei besteht, die durchaus monetäre Wirtschaftsinteressen verfolgt, aber zugleich das politische Amt von monetären Interessen unberührt bleiben sollte, ist es naturgemäß riskant.
Expertise oder eigene Interessen?
Richtig ist natürlich, dass unsere politischen Repräsentanten fachliche Expertise haben sollten. Da Politik eng mit Juristerei verbunden ist, liegt es also in der Natur der Sache, dass ein Studium der Rechtswissenschaften einschlägig qualifiziert. Wie der Staat aufgebaut ist und was unsere Verwaltung darf, ist Gegenstand dieses Studiums, aus dem der ganz überwiegende Teil mit Zulassung zur Rechtsanwaltschaft hervorgeht. Zudem kann auch nicht vorgeworfen werden, dass ein beruflicher Weg außerhalb der Politik später vorgeebnet wird, aber genau hier liegt die Gefahr, eigene persönliche Interessen mit dem Amt – vielleicht auch unbewusst – zu zusammenmixen. Erfreulicherweise funktionieren Kontrollmechanismen gegen Macht teilweise und es ist hervorzuheben, dass hinsichtlich Befangenheitsrisiken viel getan wurde, aber es bedarf weiterer Anstrengungen für die Gewissenhaftigkeit bei „denen da oben“. Hier geht es um Integrität, die Karriere und Geld stets vorgeschaltet sein muss. Dann verdienen politische Repräsentanten auch gesellschaftliche Anerkennung, weil ihr Bemühen uneigennützig, am Gemeinwohl orientiert und authentisch rüberkommt.
Fazit
Allein für das Vertrauen in der Bevölkerung sollten Kolleginnen und Kollegen sich stets der auf ihnen lastenden Gefahr eines Interessenkonfliktes bewusst sein, sich also aus eigener Überzeugung heraus akkurat und gewissenhaft verhalten. Wenn das nicht möglich ist, muss die Entscheidung getroffen werden, ob eine Kanzleizugehörigkeit oder die Verantwortung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern bevorzugt wird.