Früher hatten politische Talkshows, die weniger Show und mehr Talk waren, Einfluss auf die Gesellschaft, indem sie nicht nur mit den Inhalten, sondern auch der Art des Umgangs miteinander die Debattenkultur prägten – sowohl im Fernsehen als auch außerhalb. Die Moderatoren (meist Männer) waren in der Regel integre Persönlichkeiten, die mit Sachverstand und Eleganz gesellschaftlich relevante Themen behandelten. In einer Zeit, in der das Fernsehen als Bildungsmedium etabliert wurde, boten diese Formate einen Raum für tiefgründige Diskussionen und respektvollen Austausch. Die hohe Qualität der Gespräche spiegelte die Relevanz wider, die das Fernsehen damals als Plattform für die Demokratie einnahm. Ok, ab und zu wurde auf einen Tisch eingehackt, aber auch Aktionskunst ist Teil der Gesellschaft.
Mit der Privatisierung des Rundfunks und der zunehmenden Kommerzialisierung veränderte sich die politische Talkshowlandschaft dramatisch – leider nicht zum Positiven. Formate wie „Sabine Christiansen“ prägten diese Zeit, jedoch oft mit einer deutlichen Abkehr von kritischem Journalismus hin zu oberflächlicher Inszenierung. Sabine Christiansen, die einst als Gesicht der politischen Debatte gefeiert wurde, verkörperte zunehmend einen neoliberalen Kurs, der wenig Raum für echte Kontroversen oder tiefgehende Analysen ließ. Kritiker bemängelten die unkritische Nähe zu wirtschaftlichen und politischen Eliten sowie die fehlende Vielfalt an Perspektiven. Die Sendung wurde mehr und mehr zu einer Plattform für Schein-Diskussionen, die auf Quotenoptimierung und Präsenz politischer Personen statt auf inhaltliche Tiefe abzielten. Georg Schramm nannte das in den frühen 2000ern preisgekrönt „die Klofrauen in den öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten“. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Der Zustand heute
Es ist, kurz gesagt, ein Affentheater. Vor allem in den reichweitenstarken Teilen sind die Formate, die meisten mehr, einige weniger, zu einem traurigen Abklatsch dessen verkommen, was sie sein könnten: Sie bieten Bühne für Selbstdarsteller, Phrasendrescher und antidemokratische Brandstifter, denen bereitwillig das Mikrofon hingehalten wird. Wer hier klare Worte erwartet, wird mit weichgespültem Geschwafel abgespeist. Wer glaubt, dass den Hetzern das Handwerk gelegt wird, wird enttäuscht feststellen, dass man ihnen hier bereitwillig die Steigbügel hält. Faktenchecks und „Einspieler“ haben ihren Biss verloren und lassen leider zu oft Objektivität vermissen.
Die AfD, jene Partei der Marktschreier und Demokratieverächter, darf in den Studios von ARD und ZDF regelmäßig ihr rechtes Gift versprühen – fein verpackt in das Mäntelchen der „freien Meinungsäußerung“. Dasselbe gilt für die neostalinistisch organisierte BSW, die mit pseudointellektuellen Scheinargumenten versucht, ihre Wahnvorstellung eines „Friedens“ mit imperialistischen Menschenfeinden oder religiösen, genozidalen Fanatikern als legitime Alternative darzustellen versucht. Es ist ein Trauerspiel sondergleichen, das die Talkshowmacher nicht merken – oder nicht merken wollen, oder bewusst einkalkulieren – ,dass sie den Rattenfängern damit die beste PR ihres Lebens bescheren. Sie laden das Wolfsrudel im Schafspelz ein, befördern dessen Wahlergebnisse, steigern deren Legitimität und wundern sich dann, wenn die Herde sie für Hütehunde hält.
Doch damit nicht genug: Auch der neoliberale Wahn, der die Gesellschaft in immer tiefere Ungleichheit treibt, findet hier seit den 90er Jahren ein ständiges Podium. Während Lindner über „Eigenverantwortung“ schwadroniert und soziale Kälte als Effizienz verkauft, darf Kapitän i.R. Ahab ein ums andere Mal und „finanzwissenschaftlich“ fundiert, die Absurdität vom systemrelevanten Banken und Steuervermeidung als „legitime Perspektive“ präsentieren. Es sind keine Debatten, es ist Theater. Und das Publikum sitzt da wie im Zirkus und klatscht brav, wenn der nächste Clown seine Nummer abzieht.
Was dabei völlig auf der Strecke bleibt, ist die Realität. Statt den Finger in die Wunde zu legen, wird vor allem eines produziert: heiße Luft. Es geht nicht darum, Lösungen zu finden oder die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen. Es geht darum, die Quote zu halten und Schlagzeilen zu generieren. Echte Experten, die die komplexen Zusammenhänge von Klimakrise, sozialer Ungleichheit oder internationaler Politik erklären könnten, haben gegen die Lautstärke der populistischen Schreihälse keine Chance. Denn wer leise spricht und fundierte Argumente hat, wird vom neben Ihm oder Ihr sitzenden Berufspolitikdarsteller einfach mit flachen Phrasen niedergequakt – schlimmer als in diesen unsäglichen Krawalltalkshows der 90er bei RTL, SAT1 und dem schmierigen Rest.
Talkshows haben aber verlernt, unbequem zu sein. Sie sind keine Orte des Diskurses mehr, sondern Bühnen für Scheindebatten und Selbstbeweihräucherung. Das Publikum wird für dumm verkauft, die Demokratie verhöhnt, und die echten Probleme? Die werden draußen vor der Studiotür abgestellt. Wer glaubt, hier finde Meinungsbildung statt, der kann auch in einer Gummizelle auf Freiheit hoffen. Und Georg Schramm hat immer noch recht.
Was eine eine lebendige Demokratie bräuchte
Es bräuchte wieder einen Raum für ernsthafte Debatten, echte Auseinandersetzungen und einen pluralistischen Diskurs. Gäste, die primär nach Kompetenz ausgewählt werden und nur sekundär nach Zugehörigkeit zu einem (oder keinem) Geschlecht oder einer relevanten gesellschaftlichen Gruppe. Ab und zu jemand aus der Loge des politischen Kabaretts – gern auch mittlerweile inaktive.
Trolle, die für populistisches Gequatsche bekannt sind, sind nicht einzuladen – ebenso wenig Verleugner oder Verfälscher der Realität. Und das alles zu den Hauptsendezeiten in ARD und ZDF und nicht nur auf Phönix oder 3Sat wie bisher – oder den „Dritten“, die „eh kaum noch einer sieht“.
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt und Podcastet nur wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂
Piraten sollten mal dafür eintreten das öffentlich rechtliche und GEZ Gebühren abzuschaffen. Man zahlt aber der Mehrwert davon tendiert mittlerweile gegen null. Über wichtige Zukunftsthemen wie Chatkontrolle wird vom Medienkartell ja gar nicht mehr berichtet, alles unter den Teppich gekehrt. Als Bürger würd ich mit diesen Verein gerne sparen.
Besonders lächerlich ist es ja wenn ÖRR Journalisten sich über „Fake News“ beklagen und dann Putin Propagandisten von BSW und AfD einladen um vor Millionen Publikum fake Propaganda zu verbreiten. Ich sag , das kann alles weg.
Ich denke die GEZ zu ersetzen wäre sinnvoll – und ja, der ÖRR muss reformiert werden. Die Rundfunkräte z.B. repräsentieren die Bevölkerung nur noch in geringen Teilen. Der Umgang mit den „Freien“ ist indiskutable schlecht. Das Programm zielt vor allem auf die Generation über 65, …