
Reichstag mit Deutschlandfahne
Ein Gastkommentar von RA Prof. Dr. Andreas Gran, LL.M.
Bei den Schlammschlachten im Wahlkampf in den sozialen Medien wurde das Niveau von reißerischen Boulevardzeitungen mindestens erreicht. Fotos von der eigenen und der gegnerischen Seite, unterschrieben mit „Lächerlich!“, „Widerlich!“ usw., manchmal sogar mit einem Pfeil auf das in Bezug genommene Antlitz, damit der Schuss nicht nach hinten losgeht. Eigene Lobesgesänge mit Headlines wie „zerlegt Schwätzer“ wirken zumindest im Unterbewusstsein. Wie Du mir, so ich Dir. Was ihr könnt, können wir schon lange. Undifferenzierte Effekthascherei, aber extrem effektiv, gerade bei jungen Menschen und solchen, die schon lange keinen Zeitungsartikel mehr komplett gelesen haben. Ebenso ist die Wortwahl der Politiker:innen grobschlächtiger geworden, nähert sich dem oft beschriebenen Stammtisch an, beeinflusst die Menge. Allein: Das sind ziemlich viele Wahlberechtigte, die so erreicht werden.
Also müssen wir uns klarmachen, dass es zwangsläufig existenzieller Teil des demokratischen Diskurses ist. Wir müssen das abkönnen. Politik ist kein Ponyhof, allzu zimperlich sollten wir nicht sein, der eigene Standpunkt wird durch Wattebausche-Werfen nicht deutlich. Viele empören sich jedoch über die zunehmend rohe Streitkultur, auch über die undifferenzierte Meinungsmache, verständlich aus akademischer und empathischer Sicht, aber es liegt in der Natur der Sache. Demokratie ist Streit. Ruhiger geht es hingegen in Autokratien zu, dort hält man lieber den Mund. Das kann doch aber nicht unser Ziel sein. Sich zu ärgern, ist verständlich. Dem Trend mäßigend entgegenzuwirken, ist wichtig. Dennoch darf es nicht dazu kommen, sich nach streitfreier Macht zu sehnen, nach jemanden, der endlich Ruhe reinbringt, wie in den 30er Jahren. Besser ist es, den Streit als notwendiges Übel einer demokratischen Gesellschaft zur Abwendung von Schlimmerem hinzunehmen. Wenn es zu weit geht, haben wir Strafgesetze zu Beleidigung, Volksverhetzung, Verleumdung, Betrug usw., die notfalls genutzt werden müssen, aber bis dahin ist das Ertragen politischer Gegenmeinung Demokrat:innen zumutbar, obwohl es oft wehtut.