Am kommenden Wochenende findet der Bundesparteitag in Neumarkt statt. Dort werden aller Wahrscheinlichkeit nach einige Posten im Bundesvorstand neu besetzt. In Interviews haben wir euch alle Kandidaten vorgestellt. Zusätzlich haben wir dieses Mal noch ein Interview mit ehemaligen Bundesvorstandsmitgliedern geführt: Matthias Schrade (Beisitzer 05/2011 bis 11/2012), Gefion Thürmer (Beisitzerin 05/2011 bis 04/2012) und Jens Seipenbusch (Vorsitzender/Stellvertreter 2006 bis 2011). Wir sprachen über das Amt, die damit verbundenen Aufgaben und Herausforderungen, vor allem aber darüber, wie so ein BuVo eigentlich funktioniert und welche Anforderungen man dazu bei der Wahl an die Kandidaten stellen sollte.
Länge: : 35 Min.
Flaschenpost: Unser Ziel heute ist es, mögliche Kandidaten darauf vorzubereiten, was sie erwartet und diejenigen, die sie auswählen, auch mit Hintergrundinformationen auszustatten. Meine erste Frage an euch, ihr wart ja schon einmal BuVo, was erwartet Bewerber denn da?
Gefion: Ich glaube, man kann nicht so ganz klar sagen, was Bewerber im BuVo erwartet, weil die Ämter sehr verschieden sind in ihrer Natur. Das Amt ist immer das, was man daraus macht. Man kann aus einem sehr kleinen Amt sehr viel machen, man kann aber auch aus einem sehr großen Amt sehr wenig machen.
Flaschenpost: Das hört sich so an, als ob das im Belieben der Kandidaten stünde, aber ich glaube, die Herausforderungen sind größer und bestimmter. Gefion, wenn du mal so überlegst – was waren die Aufgaben, die dich am meisten herausgefordert haben und wie war dein konkreter Zeitbedarf?
Gefion: Für mich war der BuVo eigentlich ein Vollzeitjob. Ich habe Glück gehabt, weil ich die Aufgaben, die ich hatte – das war primär die Betreuung der Öffentlichkeitsarbeit – relativ zeitunabhängig machen konnte. Also es war nicht wichtig, dass ich das mittags von eins bis zwei erledige. Aber ich habe eigentlich das gesamte Amt durch jeden einzelnen Abend mindestens bis elf, meistens bis Mitternacht oder bis ein Uhr morgens am Rechner gesessen, Dinge getan, jeden Abend irgendwelche Telefonkonferenzen gehabt, war jedes dritte Wochenende unterwegs um Parteitage oder Workshops zu besuchen. Also zeitintensiv ist es auf jeden Fall.
Matthias: Das kann ich nur unterstützen, es war bei mir mehr als ein Fulltime-Job. Alleine schon die Reisetätigkeit, um überall in der Republik an Veranstaltungen teilzunehmen, ist schon enorm. Weil selbst wenn man „nur“ am Wochenende regelmäßig Piratentermine hat – und bei mir war fast jedes Wochenende ein Piratentermin – fährt man meistens am Freitag irgendwo hin und am Sonntag dann so zurück, dass man mit dem letzten Zug noch daheim ankommt. Aber ein BuVo hat nicht nur die Aufgabe, an Piratenveranstaltungen teilzunehmen, sondern in gewissem Umfang zählen da auch, ich nenne es mal repräsentative Termine dazu. Die sind sehr häufig unter der Woche abends oder teilweise auch tagsüber, und da muss man erst einmal hinreisen und kann möglicherweise erst am nächsten Tag zurückfahren. Das führt schnell dazu, dass man den kompletten Urlaub opfern muss oder es, wenn man freiberuflich tätig ist wie ich, irgendwann auch starke Auswirkungen auf die Einkommenssituation hat.
Flaschenpost: Jens, du hast ja verschiedene Positionen ausgeübt. Gab es da Unterschiede und ist das für einen Vorsitzenden nochmal anders?
Jens: Meine Erfahrung liegt natürlich jetzt ein bisschen zurück und insbesondere vor dem sehr großen Hype nach Berlin. In vieler Hinsicht ähneln sich aber bestimmte Dinge. Ich war ja auch immer berufstätig und habe zwischen stellvertretendem Vorsitz und Vorsitz teilweise hin- und hergewechselt. Der Vorsitzende ist natürlich am exponiertesten, was Repräsentationsaufgaben angeht, wie Matthias schon sagt, da ist man natürlich auch immer extremst gefragt. Der Vorsitzende ist der, der immer hingeschickt wird, wenn’s wichtig ist, und kann selbst schlecht kaum Termine wahrnehmen. Andere Leute im BuVo können sich noch eher einigen, dass der eine mehr und der andere weniger macht.
Aus meiner Sicht das Wichtigste ist, man braucht sehr viel Frustrationstoleranz. Wer sehr schnell frustriert ist, weil Sachen nicht klappen oder nicht gemacht werden, der sollte es eher nicht machen. Weil wir eben größtenteils ehrenamtlich organisiert sind. Man muss immer in Betracht ziehen, dass selbst wenn Dinge zugesagt sind, diese eventuell nicht erledigt werden, weil jeder eben ehrenamtlich aktiv ist und kein Geld dafür bekommt. Er will motiviert werden, man muss sich gegenseitig motivieren, das wird auch vom Vorstand mehr verlangt als von anderen.
Generell muss man sehr viel organisieren, es gibt immer den Konflikt zwischen selber machen und delegieren, das ist so der Klassiker. Man hat immer das Gefühl, eigentlich wenn’s gut gemacht werden soll, würde ich es gerne selbst machen, aber das sollte man sich möglichst abgewöhnen, weil alles was man selber macht, multipliziert sich nicht so stark wie wenn ich etwas organisiere und andere machen lasse, dann können es 10 oder 100 Leute machen.
Meine Herangehensweise ist deshalb immer so ein bisschen die Management-Tätigkeit im Bundesvorstand. Das ist insofern gut, als die Leuten ja auch mitmachen wollen. Die wollen gar nicht, dass du alles selber machst, die wollen maximal dass du bestimmte strategische Entscheidungen gemeinsam mit den Leuten triffst und die Dinge machst, die du qua Amt machen sollst wie Budget verwalten oder irgendwelche Leute organisieren und darauf sollte man sich auch konzentrieren.
Man ist im Spannungsfeld, BuVo ist eine sehr undankbare Tätigkeit, es macht viel Spaß, aber es kann auch riskant sein. Man ist exponiert, sollte also auch sehr kritikfest sein, manchmal kriegt man positive Rückmeldungen, manchmal nicht. Davon darf aber das Engagement nicht abhängen, man muss also zur Not auch völlig ohne Lob wissen, was man tut und wo man hinwill. Lustigerweise denkt man immer, man könnte viel bewegen, aber aus meiner Sicht ist ein Jahr total kurz, du fängst an und schon ist es wieder vorbei. Man darf sich nicht viel vornehmen ist meine Idee, weil man sonst Vieles nur angefangen hat. Außerdem sollte man auch erst einmal nur für das eine Jahr der Amtszeit planen.
Gefion: Schwierig. Gerade in der Phase, in der die Partei spätestens seit Berlin ist, müssen wir einfach mal ein bisschen langfristiger planen. Wir müssen in den Status kommen, dass nicht jeder neue BuVo jedes Mal das Rad neu erfindet. Das ist mir gerade beim Wechsel zum aktuellen BuVo aufgefallen. Auch als ich gewählt wurde, gab keine vernünftige Übergabe von meinem Vorgänger, ich musste von Null anfangen, weil einfach niemand da war, den ich fragen konnte. Wir müssen in eine Situation kommen, wo ein BuVo nicht sagen muss, ich muss alles, was ich machen will, in dem einen Jahr schaffen.
Du brauchst erst einmal drei Monate zum Einarbeiten, dann hast du ein halbes Jahr wirklich Zeit und dann ist schon wieder die ganze Partei auf Wahlkampf für den nächsten BuVo eingestellt. Mir persönlich war das egal, weil mich das nicht weiter geschert hat, aber innerhalb der Partei ist es ´ne ganz große Sache, dass die Leute nur noch darauf schauen, was macht der jetzt noch für Fehler, wähle ich den wieder oder nicht. Dann traust du dich dann nicht mehr, wirklich etwas zu machen. Bei mir ist das darin gegipfelt, dass ich nicht wiedergewählt wurde und dadurch alles was ich gemacht habe wieder über den Haufen geworfen wurde. Das können wir nicht ewig so weitermachen, denn wenn man nicht auf der Arbeit der Vorgänger aufbauen kann, kommt man immer nur so weit wie man in einem Jahr kommt.
Flaschenpost: Das wirft natürlich die Frage der Selbstorganisation und des aufeinander Aufbauens auf. Gefion, welche Aufgaben hattest du und wie belastend waren die, als kurzer Überblick?
Gefion: Meine Hauptaufgabe war das ganze Jahr über die Organisation der Öffentlichkeitsarbeit. Ich habe da umstrukturiert, die ganzen Servicegruppen eingeführt und regelmäßige Pressetreffen angeleiert. Ich habe einen ein Strategieworkshop für den BuVo organisiert, damit wir auch auf strategischer Ebene mal etwas vorankommen. Das war es in allererster Linie, mal abgesehen von organisatorischen Sachen wie Vorstandssitzungen vorbereiten, nachbereiten, leiten, Kommunikation ein bisschen koordinieren.
Belastend ist die Arbeit an sich eigentlich nie gewesen. Ich habe das immer gerne gemacht, es hat mir immer Spaß gemacht. Belastend ist eher das Außenherum. Belastend ist, dass, wenn du Monate in ein Projekt steckst und Dinge einfach nicht vorangehen. Belastend ist, wenn du viel Arbeit investiert hast und dann drei Deppen daherkommen und alles kaputtreden, ohne einen besseren Vorschlag zu machen. Das Belastende ist das Soziale innerhalb der Partei, nicht die Aufgabe selbst, nicht einmal die Zeit.
Matthias: Da kann ich eigentlich nur zustimmen, das größte Problem ist der Druck von außen, das Negativfeedback. Wobei ich da betonen muss, es gibt nicht um Kritik, sondern den berühmt-berüchtigten Shitstorm. In dem Kontext war extrem wichtig, dass wir innerhalb des Bundesvorstands uns gegenseitig gestützt und gestärkt haben.
Von den Aufgaben her war es bei mir so, dass ich im Wesentlichen zuständig war einerseits für die Wahlkampfkoordination, das war insbesondere 2011 als Superwahljahr ein recht großer Block. Nachdem Marina von den Medien quasi besetzt worden ist, war ich unverhofft für Vorbereitung des Bundesparteitags in Offenbach auch inhaltlich zuständig und bin in der Folge auch immer stärker in die organisatorische Vorbereitung von Bundesparteitagen reingekommen. Das ist bei inzwischen über 2.000 Teilnehmern alleine schon ein großer Faktor geworden. Ansonsten bin und war ich innerhalb der Partei für die Vernetzung zuständig, das hatte zur Folge, dass ich auf sehr vielen Parteitagen vor Ort war. Was im aktuellen BuVo in den sechs Monaten, in denen ich dabei war, eine Rolle spielte war, dass ich eine ganze Menge repräsentative Termine wahrgenommen habe, teilweise auch weil Bernd sie nicht wahrnehmen konnte, die seit Berlin dazugekommen sind.
Flaschenpost: Die Frage die sich mir immer stellt, und da würde ich gerne vor allem auf den Erfahrungsschatz von Jens zurückgreifen, ist: Was kannst du dem nächsten Kandidaten raten, wenn du zurückschaust? Was lief gut, was lief schlecht, welche Erfahrungen kann man daraus für die Zukunft gewinnen?
Jens: Für mich persönlich ist ein unheimlich wichtiger Punkt, dass man versucht, seine eigene Tätigkeit zu multiplizieren. Das heißt, dass man möglichst viele Leute um sich herum schart, virtuell oder real oder wie man es eben gut kann. Das macht jeder anders, das kann man auch nicht formalisieren, weil es ja nach wie vor ein Ehrenamt ist. Der Anspruch an den BuVo ist ja eigentlich ein professioneller, faktisch wird er dafür aber nicht bezahlt, das ist schon ein Problem.
Die Kunst ist: Wer erfolgreich ist, wird Leute mitnehmen, die wiederum andere Leute mitnehmen. Das ist bei uns zum Teil schlecht gelaufen, ich hatte oft wechselnde Leute, habe vielleicht auch nicht genug multipliziert. Und da hast du das Problem, du bist innerhalb des Bundesvorstands in einer Gruppe, die sich untereinander sozialisiert und man muss schauen, dass man professionell teamfähig ist. Man muss sehen, dass man sich da einbringt, aber nicht zu stark und nicht zu wenig. Das klingt banal, aber jeder der schon einmal in einem Team professionell gearbeitet hat, weiß was das heißt.
Aber man muss auch in die Partei hinein kommunizieren, dass einen die ganz verschiedenen unterschiedlichen Ansprüche auch erreichen. Ich fand allein schon die Kommunikationsbelastung groß: Leute rufen dich an, du hast sehr viele Mails, du bist präsent, es gibt zahllose elektronische Kommunikationskanäle und du musst irgendwie versuchen, die so zu bespielen, dass du nicht 24 Stunden am Tag selbst damit beschäftigt bist.
Flaschenpost: Matthias, wenn du auf deine Zeit zurückblickst, das ist ja noch nicht so lange her – wie kannst du das ergänzen, was hast du für Tipps, worauf sich künftige Kandidaten einstellen müssen?
Matthias: Das allerwichtigste ist, dass man sich im Klaren ist, es ist wirklich im Wesentlichen eine organisierende Tätigkeit, es hat mit einer politischen Tätigkeit nur rudimentär zu tun. Ma muss sich sehr viel mit Prozessen beschäftigen, man muss akzeptieren, dass man Prozesse auch klar einhält. Ich glaube, was vielen Leuten nicht klar ist, dass man sich sehr viel mit Dingen beschäftigt, die gar nicht so groß nach außen dringen. Kommunikation ist das allerwichtigste, interne Abstimmung und dergleichen dominiert letztlich die Tätigkeit, und das ist auch die sensibelste Aufgabe
Gefion: Ich glaube, eine der Sachen, die in dem BuVo, in dem Matthias und ich waren, unheimlich gut funktioniert hat, war die Arbeit im Team im BuVo. Wir haben uns regelmäßig alle unterhalten, haben uns ganz kurze Reports gegeben, was ist gerade in deinem Aufgabenbereich los, kann man irgendwo helfen, woran kann man vielleicht zusammen arbeiten, um es effektiver zu machen, und auch regelmäßige Treffen. Das hat bei uns sehr gut funktioniert, das hat der Arbeitsatmosphäre sehr geholfen und auch den Job viel leichter gemacht.
Flaschenpost: Es gab sicher anstrengende Sachen, aber auch positive Überraschungen. Was ist da gekommen?
Matthias: Was mich wahnsinnig positiv überrascht hat, ist die Motivation, diese Selbstlosigkeit von Leuten, die in der Partei aktiv sind, das ist immer wieder faszinierend. Das kriegt man als Bundesvorstand umso stärker mit, weil man einen breiteren Blick hat in alle Ecken der Partei, und mitbekommt an wie vielen Stellen, beispielsweise in der Verwaltung, sich Leute sich den A…. aufreißen. Der Pirat draußen am Stammtisch sieht dagegen meist nur die Medienberichte und sein Umfeld.
Flaschenpost: Gefion, was ist deiner Erfahrung nach entscheidend, dass ein BuVo funktioniert? Ist das mehr die Sachebene, die Kommunikationsebene?
Gefion: Da gibt‘s eine ganze Reihe von Sachen. Was mir immer am wichtigsten war, war der respektvolle Umgang miteinander. Das mag total banal klingen, aber dass man sich gegenseitig, als Menschen und als Individuen akzeptiert und respektiert und auf der Basis zusammen als Team arbeitet, ist da ganz weit oben. Was bei uns noch unheimlich gut funktioniert hat, war, dass wir uns ganz am Anfang zusammengesetzt und gesagt haben, wir sind jetzt ein Team, wir müssen jetzt ein Jahr lang gemeinsam die Partei rocken. Und wir uns gefragt haben, was wollen wir überhaupt erreichen. Was wollen wir mit diesem Jahr anstellen, wie wollen wir zusammenarbeiten. Und da haben wir uns gleich am Anfang hingesetzt und das ausdiskutiert. Gleichzeitig haben wir die Aufgaben verteilt, aber das war sekundär. Wichtig war, dass wir uns geeinigt haben, was wir erreichen wollen und wie wir arbeiten wollen. Und dann haben wir das ganze Jahr, die ganze Amtszeit durch alle gemeinsam immer an einem Strang gezogen, um dieses Ziel zu erreichen, das fand ich großartig.
Jens: Da kann ich direkt anschließen. Gefion hat ein wichtiges Wort gesagt, nämlich Respekt, schlicht und ergreifend. Es gibt immer Missverständnisse in der Kommunikation, Respekt ist einfach ein wichtiger Faktor. Vor allem sich immer abzustimmen, zur Not einfach mal kurz anrufen und Sachen klären. Weil halt die Kommunikation heute so ist, du machst eine Stunde was anderes und dann gibt es schon wieder einen anderen Trend, dauernd wird man mit Dingen konfrontiert. Daher ist es wichtig, dass man auch ein bisschen Ruhe bewahrt, nicht nach zehn Sekunden schon reagiert, dass man entspannt drauf ist und sich untereinander abstimmt. Das ist für das Teambuilding innerhalb des Bundesvorstands das A und O.
Matthias: Was ich für sehr wichtig halte ist, dass man sich als Team versteht und dass das vor allem anderem steht, also vor der Meinung in einer einzelnen Abstimmung oder Ähnlichem. Dass man immer grundsätzlich das Vertrauen in diese Mannschaft mitbringt. Wenn Konflikte auftreten, muss man die gleich lösen und darf die nicht erst in sich reinfressen. Ich glaube, das ist auch der entscheidender Unterschied zwischen dem BuVo in dem ich mit Gefion war und dem aktuellen: Dass wir es nicht von Anfang an geschafft haben, Dinge sofort zu klären. Wenn die sich erst einmal angesammelt haben wird es schwieriger, dann schaukeln sich Kleinigkeiten hoch.
Was ganz wichtig ist, ist, dass man sich gegenseitig vertrauen kann, dass Dinge, die man sich gegenseitig sagt, auch in diesem Kreis bleiben. Das wird von manchen als empfunden, es ist aber unglaublich wichtig, dass man als Bundesvorstand diesen Rückzugsraum hat und sich ganz direkt sagen kann, was einem durch den Kopf geht, damit man nicht letztlich alleine dasteht, weil alles was man sagt und tut öffentlich ist.
Gefion: In unserer allerersten BuVo-Sitzung, bei unserem Kennenlerntreffen, haben wir ziemlich am Anfang eine Runde gemacht: “Was ist das Schlimmste, was dir in dieser Situation passieren kann und wofür müssen wir dich als Gruppe schützen.” Da hat jeder gesagt, was er nicht kann, wo seine persönlichen Grenzen sind, und das ist auch immer vertraulich behandelt worden. Das hat sehr geholfen, als Team zu verstehen, wie die anderen funktionieren, wo die Präferenzen liegen, warum man in gewissen Situationen reagiert, wie man reagiert.
Was sonst noch wichtig war, ist, dass man nach außen nie so richtig gesehen hat, wenn wir uns mal gestritten haben. Wir werden zwar ein bisschen als Kuschel-BuVo verschrien und wir mochten uns auch menschlich sehr gerne, aber wir hatten auch Situationen, wo wir total konträre Meinungen hatten, total unentschieden waren, wo auch Entscheidungen sehr schwer zu treffen waren. Aber – und das ist das, was in der Partei als ein bisschen intransparent wahrgenommen wurde – wenn wir eine Entscheidung getroffen hatten, wurde diese Entscheidung auch von allen nach außen vertreten. Egal, wie sehr wir uns gezofft haben und wie die Positionen vorher waren, wenn eine Entscheidung getroffen war, war sie getroffen, und wir standen als Team dahinter und haben sie verteidigt. Selbst wenn Kungler und ich unterschiedlicher Meinung waren, standen wir hinterher beide da und haben das für richtig befunden, weil wir das als Team entschieden haben. Das ist für mich der wahrscheinlich größte Unterschied zwischen dem BuVo damals und dem BuVo heute.
Flaschenpost: Du hast schon das Thema Außenwirkung angesprochen. Die Arbeit nach innen und die Arbeit nach außen: Wie war da die Aufteilung und wie wertest du das?
Gefion: Ich und Außenwirkung sind ja zwei Worte, die sich nicht verstehen – meine Angst vor Kameras ist ja bekannt. Ich glaube, Außenwirkung ist relativ. Es gibt da mehrere Abstufungen. Es gibt die Außenwirkung, die jemand wie der Vorsitz hat, der rausgeht und die Partei verkauft, darstellt, repräsentiert, und es gibt die Außenwirkung, die man darstellt, ohne etwas dazuzutun, also einfach die Art und Weise wie man wirkt, mehr als das was man darstellt.
Nach innen ist wohl mehr die Aufgabe gewesen, die ich gemacht habe, auch das was ich gefühlt besser konnte. Wobei unser BuVo wahrscheinlich dabei keinen wahnsinnig guten Job gemacht hat, jedenfalls nicht den besten Job, weil wir es nicht geschafft haben, in größerem Rahmen davon zu überzeugen, dass das, was wir machen, auch wenn wir nicht alles öffentlich machen, dass das nichts Schlimmes ist. Ich glaube, da hätten wir mehr tun können.
Jens: Innen oder außen, das ist die Frage, genau wie Matthias es schon gesagt hat, ob es überhaupt ein Innen und Außen gibt. Ich vertrete ja die Devise, die ich selbst allerdings oft genug verletzt habe, man muss sich immer klar machen, was man gerade tut. Bestes Beispiel Twitter: Früher habe ich gesagt, über E-Mails schlafe ich mal ne Nacht, das kann man bei Twitter fast nicht machen. Man muss genau schauen, man muss ein bisschen kalkuliert sein. Die Außenwirkung ist sehr viel wichtiger jetzt für unsere Partei als zu meiner Zeit war, von allen BuVo-Mitgliedern. Die Außenwirkung ist ein wichtiger Punkt. Das müssen aber nicht alle BuVo-Mitglieder machen. Das kann man in gewisser Weise auch wählen, außer wenn man Vorsitzender ist.
Die Innenwirkung ist sehr schwierig, weil man mit diesen Leuten sehr viel gemeinsam hat, oft mit denen befreundet ist, manchmal auch mit Leuten gut kann und mit anderen schlecht kann. Das Geheimnis ist, auch mit letzteren auf einer gewissen Basis vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, Die innere Kritik ist oft sehr direkt im Vergleich zur äußeren, deswegen verletzt sie auch öfter. Deshalb behaupte ich mal, innen kostet mehr Kraft, außen ist gerade jetzt im Bundestagswahlkampf aber wichtiger. Und mit diesem Widerspruch muss man letztlich seine Position ausfüllen.
Matthias: Ich sehe es relativ simpel: Die Innenwirkung entsteht vor allem dadurch, wie man auftritt. Also ob man als Team auftritt, ob man souverän, gelassen, entspannt, möglicherweise auch mal humorvoll auftritt oder ob man zerstritten wirkt, ob man dünnhäutig auf Kritik oder selbst auf Shitstorm reagiert. Die Außen- und Innenwirkung ist daher, weil uns die Medien insbesondere über Twitter und Co. intensiv beobachten, relativ stark verschmolzen. Insofern gebe ich Jens recht: Man kann sich in gewissen Positionen für die Außenwirkung in Form von Interviews zurückhalten, aber das Gesamtbild, das der BuVo abgibt, ist eine Ausstrahlung oder Abstrahlung an Stimmung, an Teamgefühl oder auch nicht, das letztlich in beide Richtungen zielt.
Flaschenpost: Dann möchte ich noch ein bisschen konkreter werden. Was sind denn die Kriterien, nach denen ihr künftige Bundesvorstände wählt und die ihr empfehlen könnt?
Matthias: Nachdem was ich bisher erlebt habe, würde ich ganz klar sagen, in der heutigen Struktur, wo die Partei steht – also nach Berlin, mit über 30.000 Mitgliedern und schon einigen Jahren auf dem Buckel – ich würde keinen BuVo wählen, der nicht mindestens auf Landesvorstandsebene schon Erfahrungen hat. Wir haben inzwischen auch ein durchaus großes Reservoir an Leuten, die das schon einmal geleistet haben.
Einzige Ausnahme wäre, wenn jemand schon über eine längere Zeit eine Orga-Funktion innerhalb der Partei wahrgenommen hat, beispielsweise in einem Presseteam oder der Wahlkampforga gearbeitet hat, aber wie gesagt über einen längeren Zeitraum. Oder vielleicht, wenn jemand eine vergleichbare Tätigkeit in einer NGO hatte. In beiden Fällen wäre mir sehr wichtig, dass man die Vorstandskollegen fragt, wie war das denn, mit ihm zusammenzuarbeiten und das sehr ernst nimmt, weil es sind eigentlich die Einzigen, die wirklich beurteilen können, ob er den Job gut gemacht hat oder nicht, von außen ist das sehr viel schwieriger.
Generell ist mir wichtig, dass die Leute eine eher integrierende Art haben, dass sie sachlich auftreten insbesondere auf Twitter, keine Fäkalsprache pflegen, dass sie sich stark auf die Orga konzentrieren und keine scharfe politische Agenda haben, also nicht ein bestimmtes Thema unbedingt vorantreiben wollen. Keine Selbstdarsteller, aber trotzdem rhetorisch gut und medial eine gewisse Erfahrung mitbringen. Ein Faktor ist vielleicht auch, dass man die Nachteile von asynchronen Medien wie Mailinglisten, Twitter und Co. versteht, also eher mal miteinander redet, statt immer nur schriftliche Kommunikation zu pflegen.
Das wäre für mich das Wunschziel, aber wie gesagt das Allerwichtigste ist für mich, dass die Leute Erfahrung auf Vorstandsebene mitbringen und das ausweislich ihrer Vorstandskollegen gut gemacht haben.
Gefion: Dem kann ich zustimmen. Erfahrung ist sicherlich wichtig, Teamfähigkeit auch. Was mir wichtig ist, ist dass es Leute sind, die einigend sind. Also nicht Leute, die allein schon durch ihren Charakter oder ihre Agenda die Partei in zwei Lager spalten. Wenn man dafür oder dagegen sein muss, pro oder contra diese Person. Ich finde, das verbreitet eine Stimmung, die der Partei absolut schadet. Solche Leute würde ich darum nicht wählen.
Was mir noch wichtig ist, ist dass sie vernetzt sind. Ich würde auf Bundesebene niemand in einem Vorstand haben wollen, der nur seinen Ortsverband kennt oder noch nie auf einem Landesparteitag außer seinem eigenen war. Ich erwarte, dass er über den Tellerrand hinausgeschaut hat, bevor er sich um so ein Amt bewirbt. Was das Wichtigste ist, dass es Leute sind, die die Partei kennen. Die die Partei gut kennen, die Partei lange kennen, die die Partei auch in verschiedenen Phasen gekannt haben. Ich will nicht sagen, dass sie lange dabei sein müssen, aber ich kann mir niemanden vorstellen, der nicht erlebt hat, wie ein BuVo einen Shitstorm abbekommen hat, wie irgendetwas total daneben gegangen ist, auch wie Menschen gemeinsam für etwas gearbeitet haben und der weiß wie Piraten ticken. Das ist für mich so ein ganz spezifischer Schlag Mensch, und wenn man nicht schon eine Weile dabei ist, und ein Gefühl dafür hat, wie die Menschen denken und reagieren, dann wäre man meiner Ansicht nach an der Stelle auch falsch.
Jens: Ich kann zum größten Teil bestätigen, was Gefion und Matthias gesagt haben. Sicherlich ist eine integrierende Art sehr nützlich in jeglicher Hinsicht. Ich denke auch dass Leute die “single issue” aufgestellt sind, das zumindest extrem zurückstellen müssten, denn da geht es eben nicht darum, Dinge auszufechten untereinander, sondern eher zu managen. Das ist mein Hauptpunkt: Leute mit Managerqualifikation, die allerdings nicht Egoprobleme haben, sind aus meiner Sicht da prädestiniert. Man muss sehr viel organisieren, man muss Sachen beurteilen, Projekte möglichst zielführend, aber trotzdem unter dem Aspekt des Ehrenamts machen, und da ist derjenige, der sehr stark thematisch arbeitet, unter Umständen etwas betriebsblind oder vielleicht etwas wenig flexibel.
Erfahrung ist sehr gut, aber viele in den vergangenen Vorständen waren zum ersten Mal in einem Bundesvorstand, also ob wir nur Landesvorstände nehmen, weiß ich nicht. Erfahrung mit der Partei aber auf jeden Fall, denn die Piraten sind sehr heterogen, und das sollte man verstanden haben, denn sonst wird es überraschend für einen sein, wenn Leute mal auf einer ganz anderen Schiene bei einem anklopfen. Oder man verpasst sogar diesen Teil der Partei und es wäre schade, den nicht einzubinden. Ich glaube aber, dass durch die Besetzung des Vorstands mit etwas verschiedenen Leuten abgebildet werden kann, was man an Erfahrungen nicht hat. Ich glaube aber auch, dass man nicht zu viel Ehrgeiz mitbringen sollte, das würde dem Projekt wahrscheinlich eher schaden.
Matthias: Jens hat sehr gutes wichtiges Stichwort genannt: Manager. Wir müssen uns im Klaren sein, was die Piratenpartei heute ist. Es ist eine Organisation mit über 30.000 Mitgliedern, von denen sich vorsichtig geschätzt drei, vier, fünftausend aktiv am Parteileben beteiligen. Wir haben inzwischen über 200 Untergliederungen, unterhalb der Landesverbände noch teilweise Bezirksverbände, Kreisverbände und inzwischen auch erste Ortsverbände. Das ist eine Organisationsstruktur vergleichbar einem Konzern, und sogar durchaus nicht so kleinen Konzern. Das ist, wie Jens richtig sagt, eine Führungsaufgabe für Manager. Wir haben eigentlich, wenn man ehrlich ist, keine Leute, die das wirklich können, die regelrechte Managementseminare gemacht haben oder Ähnliches, aber man muss sich erst einmal im Klaren sein, dass das eigentlich die Aufgabe ist und kein politischer Job in dem Sinne, jedenfalls nicht bei einer Partei wie den Piraten. Wer sich im Klaren ist, wie groß die Aufgabe ist und was dafür eigentlich mitgebracht werden muss, der ist für den Anfang kein schlechter Kandidat.
Flaschenpost: Wir kommen langsam zum Ende. Gibt es noch NoGos, also Dinge die gar nicht gehen?
Matthias: Ein absolutes NoGo sind für mich Leute, die relativ kurz in der Partei sind. Vor zwei Jahren war das noch ein bisschen anders, da waren 90 Prozent der Mitglieder erst ein Jahr oder anderthalb Jahre dabei, inzwischen haben wir tausende von Leuten und sehr viele, die Erfahrung in Ämtern haben, die länger als ein oder zwei Jahre dabei sind. Also ganz frische Leute auf keinen Fall, das ist kein Praktikum, das man da macht, das ist eine Führungsaufgabe in einer Partei die in den Bundestag will. Auch Leute die spaltend wirken, sind ein absolutes NoGo.
Jens: Für mich sind ein absolutes NoGo Leute, auf deren Wort man sich nicht verlassen kann und die heute dies sagen und morgen jenes, das ist extrem lästig. Das ist teilweise ein Lernprozess, bei Leuten, die sich zu viel vornehmen kann man das akzeptieren, aber Leute bei denen das anders ist, schaden der Teamarbeit.
Gefion: Was für mich absolut überhaupt nicht geht, sind Menschen, die nicht bereit sind, die Partei über sich selber zu stellen. Wenn einem die eigene Karriere, die eigenen Ziele, die eigene Politik wichtiger sind als die Gesamtziele der Partei, dann ist man im BuVo falsch.
Flaschenpost: Ich denke, wir haben ziemlich umfassend die Themen besprochen, die Anforderungen, was einen Kandidaten erwartet, was man leisten muss und was nicht geht. Nun können wir den Kandidaten Glück und Erfolg wünschen und freuen uns auf den kommenden Parteitag. Ich bedanke mich bei euch!