In unserer Reihe der Kandidateninterviews wollen wir euch die Kandidaten für den Bundesvorstand und das Bundesschiedsgericht vorstellen. Heute geht es mit Matthias Schrade weiter, der für den Posten des Beisitzers im Bundesvorstand kandidiert.
Flaschenpost: Am besten stellst du dich einfach mal vor: Wer bist Du, wie alt bist Du, und was machst du?
Matthias: Ja, ich bin Matthias, Nickname kungler, bin demnächst 32 Jahre, ledig, aber glücklich verpiratet, wie man so schön sagt. Ich habe vor 12 Jahren eine Firma gegründet die Börseninformationen macht, und diese Firma leite ich zusammen mit einem Kollegen nach wie vor.
Flaschenpost: Gut! fangen wir einfach an: wie bist du eigentlich zu den Piraten gekommen?
M: Ich habe die Piraten, wie so viele, im Vorfeld der Bundestagswahl kennengelernt, bzw. bin drüber gestolpert. Der letzte Auslöser war eigentlich der liebe Herr zu Guttenberg, der damals sich ins Fernsehen gestellt und gesagt hat, er findet es traurig das 134.000 Leute nichts gegen Kinderpornographie haben. Anlässlich der Onlinepetition gegen Netzsperren. Ich war einer der 134.000 Leute, die diese Petition unterschrieben haben und ich glaube da ist mir endgültig bewusst geworden, mit was für unglaublichen Mitteln hier in der Politik gearbeitet wird.
Ich bin dann bei den Piraten eingetreten und hab dann eben auch festgestellt, dass hier lauter Idealisten am Werke sind, und mich dementsprechend auch immer stärker engagiert, schon vor der Bundestagswahl. Ich bin seither auch in den Wahlkämpfen Nordrhein-Westfalen und jetzt inzwischen in Baden-Württemberg permanent voll mit dabei.
Flaschenpost: Hattest Du schon Ämter in der Partei inne, oder was hast Du bisher schon für die Partei gemacht?
M: Also, offizielle Ämter hatte ich in der Form noch nicht inne. Ich bin allerdings hier als Wahlkampfmanager in Baden-Württemberg ernannt worden, um hier den Wahlkampf zu koordinieren. Ansonsten habe ich hier den üblichen Straßenwahlkampf gemacht – Plakate aufhängen, Unterschriften sammeln; vor allem in Baden-Württemberg oder auch vor allem im Bereich Pressearbeit in den Wahlkämpfen habe ich mich mit Vernetzung von Piraten beschäftigt. Das heißt, ich habe dann auch oft versucht zu koordinieren, beispielsweise eine Sammelbestellung von Wahlplakaten von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.
Ich habe auch immer wieder versucht innerhalb der Partei zu helfen, so z.B. wenn ich mitgekriegt habe, dass irgendwo Knowhow fehlt, oder man Kontakte braucht, um bestimmte Dinge lösen zu können, dass ich diese Kontakte herstelle. Das hat sich in den letzten anderthalb Jahren auch dazu weiterentwickelt, dass ich fast schon als Telefonzentrale fungiere, wenn Leute mich anrufen und fragen “Hast du Kontakt dort und dort hin?”, dass ich das weitergeben kann.
Ansonsten hab ich hier in Baden-Württemberg, glaub ich, nicht ganz unmaßgeblich dazu beigetragen, dass wir tatsächlich flächendeckend antreten. Einerseits indem ich selber sehr viele Unterschriften gesammelt habe, vor allem aber auch indem ich Sammelaktionen in ganz Baden-Württemberg koordiniert habe. Auch mit externer Unterstützung aus Bayern, teilweise auch aus Nordrhein-Westfalen oder anderen Ländern, dass die dann auch hier an den richtigen Stellen sammeln konnten.
Flaschenpost: Kommen wir zu Deiner Kandidatur: Was hat Dich dazu bewogen, dass Du für den Bundesvorstand kandidierst?
M: Ja, ich denke das hab ich auch bei der letzten Kandidatur in Bingen schon gesagt: Ich sehe das Problem, dass in der Partei sehr viel Koordinierung notwendig ist. Dass beispielsweise ein und das selbe Problem an sehr vielen Stellen auftritt, und statt das es einmal gelöst wird und die Leute dann mitbekommen wie die Lösung aussieht, oder wo bestimmte Informationen zu finden sind, das Ganze sehr oft, immer wieder gemacht werden muss.
Das Gleiche gilt auch für Sammelbestellungen: Es ist immer wieder das Problem, dass Sammelbestellungen versucht werden zu organisieren und es dann letztlich an der Koordination oder an der Vernetzung scheitert. Was uns effektiv sehr viel Geld kostet und auch den Mitgliedern sehr viel Stress verursacht. Das heißt, ich sehe einfach hier, dass es notwendig ist, dass es jemanden gibt im Bundesvorstand, der diese Dinge tut. Und nachdem ich das auch ohne Amt bisher schon sehr stark gemacht habe glaube ich, dass es im Bundesvorstand sehr viel einfacher wäre, das auch systematisch parteiweit umzusetzen.
Ein anderes Thema in der Vorstandsebene, ist, wie soll ich das ausdrücken, das eine gewisse Professionalität teilweise fehlt, wie Entscheidungen getroffen werden, wie die Pressearbeit strukturiert wird und ähnliches. Ich glaube, dass ich da auch mit meinen Erfahrungen als Unternehmer ein wenig beitragen kann.
Flaschenpost: Also im Prinzip möchtest Du Dich hauptsächlich auf die innerparteiliche Infrastruktur und die Kommunikation nach außen spezialisieren, als Beisitzer?
M: Ja, Kommunikation ist sicherlich hier ein Schwerpunkt. Nach außen … ich verstehe mich selber weniger als Pressesprecher oder als derjenige, der hier Interviews gibt, auch wenn ich das berufsbedingt schon des öfteren für Fernsehen oder Radio oder ähnliches tun durfte. Aber ich sehe das Kernproblem bei den Piraten ist einfach, dass wir ein bisschen ungeordnet arbeiten und dadurch sehr viel weniger unsere Ressourcen nutzen können. Wir kriegen die PS einfach nicht auf die Straße. Genau das würde ich gerne ändern.
Flaschenpost: Warum kandidierst Du gerade für das Amt als Beisitzer?
M: Ich denke dass es die richtige Funktion ist. Also, ich kann vom beruflichen Umfeld her sicherlich den Vorsitz nicht leisten, auch den Stellvertreter. Das sind meines Erachtens auch eher die Funktionen, die nach außen wirken. Das sind die Gesichter in der Öffentlichkeit, während man als Beisitzer sicherlich die Aufgabe hat, den Vorstand zu unterstützen. Oder eben genau diese Infrastruktur, diese internen Themen dann in Angriff zu nehmen. Und das passt dann auch wesentlich besser als eines der ersten beiden Ämter. Schatzmeister ist auch ein Thema wo ich denke, das können andere besser als ich.
Flaschenpost: Was qualifiziert Dich für den Posten, auf den Du Dich bewirbst?
M: Ich denke, dass ich das sowohl vom beruflichen Hintergrund her gezeigt habe, dass ich eine gewisse Führungserfahrung habe, wenn auch sicherlich im kleineren Maßstab. Das ich eine dezentral organisierte Firma führen kann, und jetzt hier auch als Wahlkampfmanager in Baden-Württemberg sicherlich gezeigt habe, dass es sinnvoll ist, diese Vernetzungen wahrzunehmen und eine gewisse Struktur hineinzubringen. Das wird man hoffentlich auch im Wahlergebnis noch sehen. Ich denke das ich da einfach mehr Erfahrung in diesen Dingen habe als manch anderer, der hier vielleicht im Bundesvorstand war oder ist, oder sich dafür bisher zur Kandidatur stellt.
Flaschenpost: Wie viel Zeit kannst Du für die Piratenpartei aufwenden?
M: Ja, das schwankt. Also, ich sage immer gerne, Piraten ist bei mir ein Vollzeithobby. Ich bin glücklicherweise mit einer Piratin zusammen, dementsprechend ist die Freizeitgestaltung dann auch sehr piratenlastig. Es sind zwischen zwanzig bis vierzig Stunden pro Woche, würde ich schätzen. Das schwankt sehr stark, auch in Abhängigkeit davon was beruflich gerade anliegt. In manchen Wochen geht halt auch abends weniger. Aber es ist doch ein ganz erheblicher Teil der Freizeit. Sonstige Hobbys sind eigentlich jetzt im letzten Jahr, in den letzten Monaten, fast auf Null gesunken.
Flaschenpost: Welche Interessenschwerpunkte setzt Du politisch, aber auch privat?
M: Nun, politisch bin ich naturgemäß von Berufswegen eher an Wirtschaftspolitik interessiert. Wobei das aber keineswegs so sehr ist, dass ich das als alleiniges Thema sehe. Ich hab hier an ein paar Punkten im Wahlprogramm in Baden-Württemberg und auch in Nordrhein-Westfalen mitgearbeitet. Das ist aber ein Themenschwerpunkt, der sicherlich bei den Piraten eher weiter unten steht.
Hier sind für mich eigentlich eher die Kernthemen, Transparenz und Mitbestimmung, ganz ganz wichtig. Ich finde die Art und Weise, wie Politik in Deutschland gemacht wird auf deutsch gesagt unter aller Sau. Dass hier über die Bürger hinweg regiert wird und das zieht sich durch sämtliche Bereiche durch, da ist Wirtschaftspolitik nur ein kleiner Teilbereich. Aber wir haben ja in Baden-Württemberg mit dem Thema Stuttgart21 ein Musterbeispiel vor der Haustüre, das im Prinzip auch zwischen Wirtschaft und Bau- oder Verkehrspolitik angesiedelt ist und eigentlich exemplarisch dafür ist, wie es nicht laufen sollte.
Private Interessen, das sind vor allem Lesen, ich glaube auch da habe ich sicherlich viel herausgezogen, weil ich auch sehr viele Bücher gelesen habe, über Themen wie Wahlkampf oder Kampagnen und dergleichen, einfach hobby-mäßig. Ansonsten Ausdauersport, wobei Ausdauersport ist eben auch recht zeitintensiv und das wirkt sich momentan tendenziell so aus, dass der Ausdauersport den ich betreibe eher Unterschriftensammeln mit viel zu Fuß spazierengehen oder Leute auf der Straße anquatschen ist. Im eigentlich Sinne Ausdauersport treiben ist im Augenblick schlichtweg zeitlich nicht drin.
Flaschenpost: Du hast es gerade angesprochen, mit Wirtschaft und Verkehr: Wie und welche programmatische Weiterentwicklung wünschst Du Dir insgesamt für die Piraten?
M: Also, insgesamt wünsche ich mir bei den Piraten, dass die Programmentwicklung professioneller abläuft. Ich stelle häufig fest, das gute Ideen da sind, die auch dann als Programmanträge zum Beispiel in Chemnitz eingereicht worden sind. Die sind aber häufig noch nicht wirklich endgültig ausformuliert oder ausgereift. Teilweise werden diese Programmanträge auch nur von einigen wenigen Leuten einseitig ausformuliert. Ich würde mir hier wünschen, dass die gesamte Arbeit auch eher in die Richtung einer Pro-und-Kontra-Abwägung kommt.
Das heißt, dass zum Beispiel zu einem Programmpunkt der vorgeschlagen ist, dann eine Gruppe ganz gezielt Pro-Argumente formuliert und für diesen Punkt argumentiert, und eine andere Gruppe gegen den Punkt argumentiert, so dass dann eine fundierte Entscheidung möglich ist für die Basis. Weil, ich muss gestehen, bei den meisten Themen höre ich mir an was da vorgetragen wird, und wenn es sich gut anhört dann stimme ich dafür, und wenn nicht, dann stimme ich dagegen. Ich bin mir aber bewusst, dass das eigentlich keine fundierte Entscheidungsgrundlage ist.
Wir haben in der Partei meines Erachtens Experten zu nahezu jedem Themenkomplex. Ich würde mir wünschen, dass diese Experten auch tatsächlich mehr Gehör finden und damit auch eine fundierte Beurteilung von Programmvorschlägen möglich ist.
Flaschenpost: Im Prinzip würdest Du also eine professionelle Struktur von programmatischen Anträgen unterstützen und fördern?
M: Auf jeden Fall! Die Schwierigkeit ist oftmals: Wir haben auf dem Parteitag Fragemöglichkeiten beziehungsweise Redeslots von einer Minute. Da kann sich ein ausgewiesener Experte für Thema XY hinstellen und anfangen Gegenargumente zu einem solchen Punkt aufzuzählen, hat aber kaum die Möglichkeit, diesen Punkt wirklich fundiert zu zerlegen, wenn er denn aus fachlicher Sicht tatsächlich Unsinn sein sollte.
Wenn der Antragssteller dann eben seine Zeit nutzt und ansonsten ein paar, ich sag jetzt mal bewusst “Jubelperser” – ohne das wörtlich zu jedem Programmpunkt zu meinen – aber wenn sich ein paar Leute hinstellen und sagen “Ich find den Punkt toll”, dann geht dieser eine Experte mit diesem kurzen Beitrag einfach unter. Und das halte ich für ein Problem. Dadurch kann es durchaus sein, dass wir im einen oder anderen Fall vielleicht Unsinn ins Parteiprogramm aufnehmen und die eigentlich fundierten Kenntnisse, die in dieser Partei vorhanden sind, auf die Weise kein Gehör finden.
Flaschenpost: Also würdest Du im Prinzip diesen Experten, egal auf welcher Seite sie nun stehen zu einem Programmpunkt, zum Beispiel einen Slot von fünf Minuten geben?
M: Zum Beispiel, ja.
Flaschenpost: Du würdest also die Geschäftsordnung in dem Sinne ändern.
M: Ja, das wäre ein Ansatz, wobei das natürlich auch im Vorfeld schon stärker wahrgenommen werden sollte. Aber das wäre sicherlich ein guter Ansatz, dass dann nicht nur derjenige der den Punkt vorschlägt und naturgemäß dann befürwortet, den Punkt fünf Minuten lang vorstellen kann, sondern dass eben auch eine bewusst eingesetzte “Gegnerkommission”, also nicht jemanden der den Punkt einfach schlecht findet, sondern das es gezielt immer gesucht wird nach Gegenargumenten und diese Gegenargumente auch aufgeführt und erläutert werden. Bei fast jedem Punkt gibt es Punkte die gegen einen solchen Programmpunkt sprechen. Und die sollte man sich meines Erachtens einfach anhören und dann muss man eben abwägen, möglicherweise auch überlegen ob man den Punkt modifiziert, und dann im Extremfall vielleicht sogar zurückzieht. Das passiert für meinen Geschmack momentan zu wenig.
Momentan ist es tendenziell so, dass immer nur für Punkte argumentiert wird und diese Sachen gesammelt werden und das funktioniert insgesamt glücklicherweise noch ganz gut. Sonst könnte ich hinter dem Programm nicht in dem Maße stehen. Aber es birgt eben die Gefahr, dass wir auch mal im einen oder anderen Fall ausgemachten Unsinn ins Programm rein nehmen und es dann sehr schwer haben das dann auch entsprechend nach außen darzustellen.
Ein schönes Beispiel wo man das sehen kann was das für Folgen hat, wenn man einfach nur gut klingende Punkte ohne fundierte Meinung argumentiert, ist in Baden-Württemberg der Wahl-O-Mat. Wir haben da die Thesen, die wir nicht aus dem Parteiprogramm ableiten konnten, der Basis vorgelegt, und die hat die beantwortet, im Prinzip einfach mit Ja oder Nein. Und hier kamen in ein paar Einzelfällen tatsächlich dann Ergebnisse raus, wo ich jetzt nach den erfolgten Diskussionen, nachdem der Wahl-O-Mat öffentlich ist, auch festgestellt habe, dass ich selber auch Punkte abgelehnt oder zugestimmt habe, wo man bei fundierter Betrachtung feststellt: Hoppla, da hat man ein paar eklatante Dinge einfach nicht beachtet und das sind Dinge die passieren uns auf Parteitagen bei dem aktuellen Vorgehen möglicherweise auch mal.
Flaschenpost: Ein weiteres Thema: Wie findest du sollten die Piraten auch untereinander kommunizieren? Einmal horizontal und natürlich auch die Vorstände mit der Basis.
M: Ja, das ist genau was ich eingangs meinte mit stärkere Vernetzung. Momentan haben wir das Problem, dass, speziell im Wiki, eigentlich ungefähr alles zu finden ist, aber dann doch wieder eben nicht zu finden. Das ist ein Kommunikationsproblem. Das heißt, wir brauchen einerseits mehr Übersicht in unseren sehr unterschiedlichen Kommunikationswegen, über Mailinglisten, Wiki, Twitter, alle möglichen sonstigen Webseiten, wo noch irgendwo Informationen sind. Das muss systematisch passieren, es müssen zumindest mal zentrale Dinge einfacher auffindbar sein.
Das fängt schon an mit Terminkalendern oder ähnlichen Dingen. Die gibt es bis heute nicht in dem Sinne, dass man weiß, wann was stattfindet, wann welche Parteitage stattfinden, um die überhaupt besuchen zu können. Das kriegt man oftmals nur per Zufall in letzter Minute mit, dass im Nachbarland am Wochenende ein Parteitag ist und kann das so auch nicht einplanen. Das Gleiche gilt auch für Anleitungen für beispielsweise Unterschriftensammelaktionen oder ähnliches, oder Tipps wie man Infostände effizient baut oder irgendwelche Aktionen, an denen sich Leute beteiligen können, die man auch einfach mal kopieren könnte. Das ist ein Kommunikationsproblem.
Innerhalb der Piraten halte ich es für sehr sinnvoll in Veranstaltungen wie die Marina zu intensivieren, auch durchaus regelmäßig. Und ich bin hier nicht der Ansicht, dass man das nur einmal im Jahr machen sollte, so wie es, glaube ich, jetzt umgesetzt wird, sondern gerne auch regelmäßiger. Natürlich können da nicht alle teilnehmen, aber es werden auch unterschiedlichere Piraten teilnehmen. Also ich würde sicherlich nicht alle drei Monate an einer Marina mich beteiligen können, das wäre wahrscheinlich kaum möglich, zumindest nicht jedes Mal. Das ist aber nicht schlimm. Dafür können andere, die dann am einen Termin im Jahr – ja oder nein – eben nicht können, sich bei so was dann auch mal kennen lernen. Also solche Veranstaltungen würde ich sehr viel stärker fördern. Gibt es leider nur relativ selten und gerade wir als junge Partei müssen uns intern gegenseitig auch noch viel besser kennenlernen.
Was die Kommunikation von Vorständen mit der Basis angeht, ist ein Kritikpunkt meinerseits am Bundesvorstand sicherlich, dass ich auch den Eindruck habe, dass er sich ein wenig von der Basis entfernt hat oder durch seine intensiven Beschäftigungen mit einigen Dingen vielleicht nicht so sehr an der Basis mitbekommt, was abläuft. Das wurde ja auch schon versucht, teilweise durch Veranstaltungen wie den Dicken Engel, zu beheben, indem man hier regelmäßig sich trifft. Aber ich glaube das genügt einfach nicht.
Ich sehe zum Beispiel vom Bundesvorstand in Baden-Württemberg im Wahlkampf so gut wie nichts. Auch in Hamburg war es erst in letzter Minute, dass der Vorstand dann doch mal vorbei geschaut hat. In NRW habe ich, abgesehen von Daniel Flachshaar, der ja ohnehin als halber Nordrhein-Westfale anwesend war, auch wenig mitbekommen, obwohl es die einzige Wahl im letzten Jahr gewesen ist und dementsprechend auch wichtig. In Sachsen-Anhalt kann ich auch nicht wirklich feststellen, dass die massiv unterstützt würden. Das ist die nächste anstehende Landtagswahl. Da würde ich mir auch wünschen, dass der Bundesvorstand generell sich stärker einbringt und vielleicht auch andere Länder stärker mitzieht, diese wahlkämpfenden Länder speziell zu unterstützen.
Da sehe ich den Bundesvorstand letztlich auch in der Pflicht. Weil letztlich ist immer der Wahlkampf, der der Nächste ist quasi in der öffentlichen Wahrnehmung, die Speerspitze der Partei, und die sollte man dann einfach stärker unterstützen. Davon profitiert dann auch die Gesamtpartei.
Flaschenpost: Was ein großes Problem ist: Wir haben sehr viele aktive Piraten, aber einige sind sehr abgebrannt, beziehungsweise laden sich sehr viel Arbeit auf. Wie willst du mehr Piraten, auch passive Piraten, dazu ermutigen, dass sie aktiver werden, beziehungsweise gerade den Leuten, die so hemmungslos überlastet sind, die Arbeit abnehmen, beziehungsweise sie vernetzen?
M: Ja, ein Teil, was das Entlasten angeht, kann einfach schon dadurch geschehen, dass man besser kommuniziert, zum Beispiel eben Doppel- und Dreifacharbeit vermieden wird. Da denke ich unter anderem an das Thema der Materialbeschaffung: Kugelschreiber, Fähnchen, Luftballons und ähnliches werden momentan in der Regel maximal auf Landesebene eingekauft. Das könnte man relativ einfach zentral organisieren und auf die Weise dann auch den Aufwand, der damit entsteht, dass jeder sich immer wieder neue Angebote einholt, dass er dann versucht, wenn er selber dann 10.000 Luftballons bestellt, dann doch noch zwei drei andere Länder sich anschließen. Das ist immer ein großer Aufwand, der, unter dem Strich, sehr oft in Enttäuschung mündet, weil es dann eben doch nicht gelingt auf die Schnelle Vorstandsbeschlüsse in anderen Gliederungen herbeizuführen.
Ich hielte es sinnvoll, dass das zentral in einer Stelle gemacht wird. Das hat beispielsweise der Hendrik Stiefel, beziehungsweise Bernd Schreiner in Thüringen auch versucht so was anzustoßen. Ich denke man könnte das auch recht unproblematisch dann auch über eine Gruppe von Leuten machen lassen, sodass dann auch klar ist, wenn jemand ein Angebot für günstige Materialien hat, an wen es zu gehen hat und dass die sich dann darum kümmern, dass die Dinge immer vorrätig sind. Und wenn ein Landesverband eben was braucht einen einzigen Ansprechpartner hat um das umzusetzen.
Weitergeführt kann man auch in ein sogenanntes KanBanSystem umgesetzt werden. Das möchte ich aber an der Stelle nicht ausführlich erläutern. Das heißt, vereinfacht gesagt, dass jeder nur sein Lager im Auge hat und eine Etage höher dann gegeben falls Nachschub anfordert, wenn er neuen Nachschub braucht. Auf diese Weise sind die Verteilerwege auch viel klarer als sie momentan sind. Das würde sicherlich sehr viele Leute entlasten. Das Gleiche gilt auch für viele andere Dinge, die Doppel und Dreifacharbeit auslösen. Das würde also erst mal die Aktiven entlasten und vor allem auch Frust von diesen Aktiven wegnehmen, wenn wir dann mal wieder die übliche Mail rumschicken und hoffen, dass sich irgendjemand meldet und, erfahrungsgemäß, sich eben kaum jemand darauf rührt.
Eine größere Zahl an Mitgliedern aktivieren könnte man, meines Erachtens am Leichtesten, wenn man auch tatsächlich die Mitglieder regelmäßig anschreibt. Ich bin relativ überrascht. Ich bin Mitglied bei den Piraten seit anderthalb Jahren. Ich glaube die einzigen Mails, die ich von Bundesebene bisher bekommen habe, waren die Einladungen zum Bundesparteitag und einmal glaube ich die Registrierung für Liquid Feedback. Ansonsten werde ich bei der Piratenpartei, als Internetpartei die viel mit Internet und Email und so zu tun hat, weitaus weniger regelmäßig mit irgendwelchen Informationen aktiv informiert, als es beispielsweise der ADAC oder ähnliche Institutionen oder andere Vereine es machen.
Da würde ich mir durchaus wünschen, dass aktiver auch informiert wird, wo sich Mitglieder einbringen können, was in der Partei momentan abläuft, welche Möglichkeiten es gibt sich zu engagieren, gegeben falls auch wo Stammtische stattfinden oder ähnliche Dinge. Da wird meines Erachtens ein großes Potenzial schlichtweg verschenkt. Also ich stelle immer wieder fest, wenn ich selber Leute anspreche, die schon länger nicht mehr am Stammtisch waren. Die haben gar keine Ahnung, was eigentlich in der Partei abläuft, was uns momentan beschäftigt. Häufig wissen die noch nicht mal welche Landtagswahlen gerade im Gange sind. Das kriegen die dann eben mit über die Medien, wenn überhaupt.
Und von der Seite her glaube ich, dass man da einfach innerparteilich so etwas wie zum Beispiel die Flaschenpost, da hätte ich persönlich keine Bedenken, dann einmal im Monat allen Parteimitgliedern zuschickt und wer das dann eben nicht möchte kann sich austragen lassen. Momentan ist es aber andersherum. Die Leute müssen erst mal wissen, dass es die Flaschenpost gibt und müssen sich aktiv in den Verteiler eintragen. Auf die Weise erreicht man naturgemäß nur einen Bruchteil der Leute, die dann potenziell diese Informationen gehabt hätten, weil sie nie davon erfahren.
Also von der Seite glaube ich, auch wieder eine Kommunikationsfrage. Übrigens interessanterweise ein Thema, das ich schon vor der Bundestagswahl als Problem gesehen habe und schon damals vorgeschlagen habe, genau das zu machen. Umgesetzt worden ist es leider bis heute nicht.
Flaschenpost: Würdest du mit jemandem im Vorstand zusammenarbeiten, den du persönlich nicht leiden kannst?
M: Zusammenarbeiten müssen, mit Leuten die man nicht unbedingt als Freunde haben möchte, das ist im Geschäftsleben völlig normal. Von daher ist das natürlich auch im Vorstand, muss man damit rechnen, dass man nicht mit allen gleich gut klar kommt. Ich denke, dass ich da umgänglich genug bin, dass das grundsätzlich mit jedem möglich ist. Ich habe da auch eigentlich keine Bedenken.
Es gibt natürlich auch Leute die ich mir sicherlich als Vorstandskollegen besonders gut vorstellen könnte. Beispielsweise habe ich mit Wolfgang Dudda ein sehr gutes Verhältnis schon vor der Bundestagswahl gehabt. Er kandidiert leider jetzt nicht mehr. Bei anderen ist es kein Geheimnis, dass ich da in der Vergangenheit auch mal ein bisschen angeeckt bin. Beispielsweise mit dem Christopher Lauer. Aber ich hätte auch keinerlei Probleme mit ihm zusammen zu arbeiten und ich glaube auch, dass wir gegenseitig in den letzten Monaten festgestellt haben, dass wir auch doch viele Dinge tun, die der andere jeweils schätzt.
Und das sollte eigentlich ja auch so sein, dass man dann, wenn man feststellt, dass jemand, mit dem man sich bisher nicht so gut vertragen hat, eben sich einfach einmal näher kennen lernt und dann auch feststellt, dass der Andere in der Regel gar nicht so schlimm ist, wie man vielleicht im ersten Moment gedacht hat und eben auch seine Fähigkeiten hat. Also von daher habe ich da sicherlich keine Bedenken, egal wer gewählt wird, mit dem auch zusammen zu arbeiten zu können.
Flaschenpost: Welche Zukunft wünschst du dir für die Piratenpartei?
M: Also ich glaube, dass die Piraten das Potenzial für eine Volkspartei haben. Es liegt letztlich an uns, ob wir das selber realisieren. Wir haben ja einen völlig neuen Ansatz, was die Demokratie angeht, sind die einzige basisdemokratisch agierende Partei. Wenn wir es schaffen, dass schnell genug auch umzumünzen in politische Erfolge, in entsprechende Landtagseinzüge, ohne dass die anderen uns diese Dinge, sozusagen die Butter vom Brot nehmen, dann glaube ich, dass die Piraten wirklich eine ganz große Zukunft haben. Auch als weltweite Bewegung.
Der erste Schritt muss sicherlich jetzt sein, dass wir uns als Bewegung etablieren. Ich denke mit der Hamburg-Wahl spätestens kann man auch sagen, das ist uns gelungen. Ich denke auch, dass wir im Laufe diesen Jahres den oder die ersten Landtagseinzüge sehen werden. Zumindest aber dann so deutlich sichtbar sind, dass man uns nicht mehr einfach als vorübergehende Erscheinung wegdiskutieren kann.
Die Finanzkraft ist ja durch die erste Runde der Parteienfinanzierung auch entsprechend gekommen. Das ist bisher ein großes Handicap gewesen. Jetzt können wir erstmals halbwegs ordentlich finanziert in die Wahlkämpfe rein gehen und ich glaube, das wird man auch durchaus spüren, dass wir unsere Energie auch sehr viel stärker richtig umsetzen können. Und uns nicht mangels Finanzmitteln dann alles selber machen und gar nicht die Möglichkeit haben Wahlkampf effizient zu betreiben.
Als Ziel für die Piraten sehe ich ganz klar die politische Landschaft grundlegend zu verändern, was die Mitbestimmung und die demokratischen Grundprinzipien angeht. Ob wir das selber umsetzen, als Mit-regierende, oder zumindest im Parlament sitzende Partei oder durch unseren Druck es schaffen die anderen Parteien da hin zu bringen, dass sie diese Dinge selber umsetzen und letztlich uns dann überflüssig machen.
Mir persönlich muss ich sagen ist es egal. Mein Ziel ist es, dass diese politische Art und Weise, wie Politik gemacht wird, geändert wird. Ob wir das selber umsetzen oder die anderen dazu bringen das zu tun sollte uns, wenn es uns nur um die Ziele geht, unter dem Strich gleich sein.
Flaschenpost: Und kommen wir gleich zur letzten Frage. Warum sollten wir dich wählen?
M: Ich glaube, dass ich bewiesen habe, dass ich bei den Piraten viel bewegen kann. Und ich glaube, dass ich das aus der Funktion als Bundesvorstand einfach noch deutlich besser könnte. Vielleicht sollte man da einfach mal Leute fragen, die mit mir zusammen gearbeitet haben, zum Beispiel in Baden-Württemberg, und beurteilen ob das Sinn machen würde, dass ich das auf Bundesvorstandsebene umsetzte was ich auf Baden-Württemberg-Ebene schon gemacht habe.
Flaschenpost: Dann vielen Dank Matthias Schrade für dein Interview. Wir wünschen dir viel Erfolg, dass du die anderen Piraten mit deinen Zielen überzeugen kannst und bis spätestens zum Bundesparteitag in Heidenheim. Tschüss!
M: Danke!