In unserer Reihe der Kandidateninterviews wollen wir euch die Kandidaten für den Bundesvorstand und das Bundesschiedsgericht vorstellen. Heute geht es mit Markus Gerstel weiter, der für einen Posten im Bundesschiedsgericht kandidiert.
Flaschenpost: Stell dich am besten einfach mal kurz vor. Wer bist du, wie alt bist du und was machst du?
Markus: Ich bin Markus, mein Name ist Programm. Ich mache ziemlich viel Schmarrn in dieser Partei, insbesondere vertrete ich komische Meinungen an komischen Stellen, von daher werden mich einige Leute schon mal irgendwo gehört haben oder schon mal von mir gelesen haben. Als ich damals in Bingen dem Wolfgang Dudda über den Weg gelaufen bin, das war ein sehr einprägender Moment, weil er hatte so gemeint „Ja, Markus Gerstel? Ja, kenn ich doch. Wie, dich gibt’s wirklich? Ich dachte, das wär’ so der Karl Ranseier der Piratenpartei.“
Ja, keine Ahnung, was mache ich. Also ich war früher mal im Vorstand vom Landesverband Bayern und habe das ein Jahr lang gemacht. Bin jetzt Richter im LSG Bayern und hab das jetzt ein halbes Jahr gemacht. Gut, wir hatten nicht wahnsinnig viel zu tun, von daher, was heißt gemacht, ich war halt dabei. Andererseits, in der Partei bin ich schon öfter mal in allen Ebenen rumgekrebst. Sei’s von irgendwelchen Kreisverbänden, mit denen ich ziemlich viel Stress gemacht hatte von meiner Seite, bis hin zum Beispiel zur LiquidFeedback-Geschichte auf Bundesebene, die Klage, da hab ich den Bundesvorstand vertreten. Und keine Ahnung, wir hatten noch so jede Menge andere Gelegenheiten, uns gegenseitig an die Gurgel zu gehen.
Flaschenpost: Das ging jetzt eher in Richtung des Piratendaseins, was hast du denn….
Markus. Ach so, mein Privatleben – wie, sind wir hier post privacy? Ich bin aktuell Student, wobei in Deutschland würde man dazu sagen Doktorand, aber ich treibe mich sehr sehr viel meiner Zeit in Großbritannien herum. Ich hab früher mal… also die gesamte Geschichte kann ich jetzt nicht erzählen, denn dafür ist der Talk nicht lang genug. Also ich habe ursprünglich mal mit Jura angefangen, hab mich dann besinnt und Informatik gemacht und hab mir dann gedacht, Informatik ist mir eigentlich zu langweilig, deshalb mache ich jetzt Biologie.
Flaschenpost: Wie bist du denn zu den Piraten gekommen beziehungsweise warum bist du Pirat?
Markus: Von den Piraten, zumindest von den ursprünglichen Piraten in Schweden, habe ich schon bei der Gründung was gelesen, heise sei Dank. Hab’s aber nicht wirklich für, ja… mein Gott, das ist eine nette Idee, find ich gut, ändert aber nichts. Deshalb hab ich’s erst mal ignoriert. Auch als die Gründung in Deutschland war, gelesen, gelacht, ignoriert. Und im Prinzip vor der Wahl zum Europaparlament war das dann, da bin ich über einen Talk von Rick Falkvinge gestolpert und habe mir das angeschaut und hab mir gedacht, OK, da ist doch was dahinter. So wie der das vertritt, da besteht ’ne Chance, dass das vielleicht doch was Sinnvolles wird.
Dann hab ich mich einfach mal auf den Stammtisch nach München begeben, lauter lustige Leute kennen gelernt. Und von da ab ging das dann so seinen Lauf, da hat man dann die Unterstützerunterschriften mit sortiert und verschickt und solche Sachen gemacht und sich an allen möglichen Ecken und Enden beteiligt. Und von da ab ging halt aufwärts. Ich wollt’ schon sagen abwärts.
Flaschenpost: Die Standard-Piratenlaufbahn also sozusagen.
Markus: Genau, absolut.
Flaschenpost: Nun bist du schon im Landesverband Bayern Schiedsrichter. Was hat dich denn bewogen, jetzt für’s Bundesschiedsgericht zu kandidieren?
Markus: Oh, die Kandidatensituation (lacht). Ich habe ein Projekt, das habe ich Anfang dieses Jahres mal versucht zu starten. Und zwar, jeder sagt immer so schön, wir haben mit unserer Satzung ein Problem. Also ich bin ein eingeschriebener Satzungsnerd, nur so am Rande, wem das nicht klar war. Und ein Problem, das wir in dieser Satzung haben, ist, dass die Schiedsgerichtsordnung eine sehr merkwürdige Zusammenstellung von komischen Ideen ist.
Es ist nicht so, dass sie nicht funktionieren würde. Nein, man kann mit der aktuell auch leben. Sie ist aber nicht unbedingt sinnvoll, denn gerade auf Bundesebene gibt’s auch massig Personalverschleiß. Das hat man im jetzigen BSG schon gemerkt. Und, na ja, ist vielleicht jetzt auch nicht besonders toll. Und eine der Sachen oder eine der Ausprägungen davon ist halt, dass Kandidaten oder Leute die jetzt im Bundesschiedsgericht hocken, zum Beispiel Stephan Urbach, nicht mehr für’s nächste Schiedsgericht kandidieren werden und allgemein einfach nicht genug Personal da ist oder nicht genug Leute, die sich’s zutrauen.
Ich meine, das müssten ja nicht alles Juristen sein, aber es gibt halt einfach nicht genug Leute, die diesen Job machen wollen, weil der Job ist – mit Verlaub – ein Scheißjob. Man kriegt dafür sowieso schon mal kein Lob und man kann’s auch nie allen Recht machen, vom Prinzip her schon gar nicht. Dafür kriegt man jede Menge Schmarrn von außen eingeschenkt, und das passiert auf Bundesebene natürlich genauso wie auf Landesebene. Ich meine, gerade in Rheinland-Pfalz wurde über das alte Schiedsgericht sehr viel schon erzählt, da gab’s ja einen etwas bekannteren Fall, und das wird wahrscheinlich beim aktuellen demnächst auch nicht mehr anders sein.
Also zusammengefasst, wir haben nicht viele Kandidaten, wir haben aber einen Personalbedarf, weil wir haben gerade auf Bundesebene viele Fälle. Aber so richtig zusammenpassen tut das nicht. Und deswegen haben wir halt für das jetzige Bundesschiedsgericht momentan, ich weiß es nicht, du weißt es besser als ich, wieviele Kandidaten wir jetzt insgesamt haben – sechs, sieben?
Flaschenpost: Gute Frage, ja, in der Richtung.
Markus: Ja, aktuell jedenfalls sieht’s so aus. Und wieviele Posten haben wir? Naja, sieben sollen belegt werden. Das ist jetzt vielleicht nicht unbedingt die beste Situation. Und da habe ich mir gedacht, soll ich jetzt noch mal… ja, soll ich meine Gesundheit auf’s Spiel setzen? Ja, und deswegen habd ich mich dann entschieden, OK, ich schmeiß meinen Hut doch in den Ring.
Flaschenpost: Was qualifiziert dich denn für das Bundesschiedsgericht?
Markus: Muss ich mir jetzt überlegen, dass ich nicht die arrogante Antwort gebe (lacht). Ja, was qualifiziert mich da denn? Tja, keine Ahnung. Also ich bin ein absoluter Held, wenn’s darum geht, irgendwelche komischen juristisch klingenden Schriftsätze zusammenzuschreiben und jeder, der mein Blog mal gelesen hat oder zu irgendeiner Sache einen Schriftsatz mal gelesen hat, wird das bestätigen können.
Ich weiß allerdings nicht, ob das wirklich eine Voraussetzung für ein Schiedsrichteramt ist oder ob das wirklich sinnvoll ist, das zu haben. Ich meine, es ist sicher nicht schlecht, einen von der Sorte im Schiedsgericht hocken zu haben. Und deswegen sehe ich jetzt auch kein großes Problem darin zu kandidieren, aber wenn das jetzt nur solche Leute wären, oh mein Gott, dann glaube ich, müsste ich mich in jeder Sitzung erst einmal umbringen müssen.
Ne, also ich bin in dem Sinne Formaljurist. Wenn Sachen anliegen, dann versuch ich mich darüber zu informieren an allen Ecken und Enden. Klassischerweise halt, wenn’s da irgendeine Rechtsnorm gibt, die zugrunde liegt, dann versuch ich mich auch darüber zu informieren, wie wird das Zeug ausgelegt, was gibt’s in der Vergangenheit, und versuch’ dann darauf aufbauend ein Argument zusammenzuschustern und irgendwie zu einer Schlussfolgerung zu kommen, die irgendwie logisch begründbar ist.
Das Schöne ist, ich bin an der Stelle relativ unparteiisch. Ich freue mich immer, wenn jemand zur Seite kommt oder jemand mir entgegenkommt und sagt „Schau mal, was du da geschrieben hast, ist Bullshit“. Ich meine, gut, das kriegt man natürlich ständig, aber wenn jemand daher kommt und sagt „Das ist Bullshit, weil…“ das finde ich cool, und da hab ich auch überhaupt kein Problem damit, meine eigene Meinung zu ändern, wenn mir jemand ’ne gut genuge Begründung gibt oder einfach ’nen Case für die Gegenseite macht, sag’ ich mal. Das passiert allerdings viel zu selten.
Flaschenpost: Auf welcher Grundlage möchtest du denn nun die Urteile fällen, die du fällen musst?
Markus: Am liebsten würd’ ich überhaupt keine Urteile fällen, weil kein Fall vor’s Bundesschiedsgericht kommt. Aber wir wissen beide, wie realistisch das ist. Ja, auf welcher Grundlage… Also prinzipiell, du hast bei jedem Fall erst mal zwei Streitparteien, und diese beiden Streitparteien sollen erst einmal klar sagen, was sie wollen. Wenn man nicht nach einer ersten Prüfung das Ding sowieso verwirft, weil’s ne Trollklage ist, sagen wir mal, sondern weil’s was Sinnvolles ist, weil’s irgendwas ist, ein Anliegen, das zumindest den Personen relevant genug ist, dann schreiben sie auch dazu, auf welcher Grundlage das passieren soll, zumindest ist das die Idee.
Und naja, danach ist es dann halt eine Abwägung. Da muss man eventuell selber Infos noch einmal zusammensuchen, zum Beispiel ich glaub, ich war zwar jetzt zweimal beim Bundesschiedsgericht selber, ich hab den Überblick da auch schon wieder verloren. Aber meistens hast du eigentlich zu jedem Fall noch weitere Infos. Das heißt beispielsweise bei der LiquidFeedback-Klage, da ging’s um’s Bundesdatenschutzgesetz, dann hast du dich halt da eingelesen und hast halt da rausgefunden, wie scheiße das Ding eigentlich ausschaut und was da für’n Quatsch drinsteht, aber damit musst du dann halt arbeiten.
Und gerade bei der LiquidFeedback-Sache war das ja so, dass von beiden Seiten massive Schriftsätze daherkamen, wir hatten da so lustige 13-, 14-Seiter. Und da musst du dich als Richter dann auch erst einmal durchkämpfen. Das eigentliche Urteil fällst du dann vielleicht, wenn’s gut ist, nicht aufgrund der Schriftsätze, sondern auch aufgrund einer mündlichen Verhandlung, die du eigentlich führen solltest.
Und immer unter der Voraussetzung, dass du überhaupt so weit kommst, weil du’s nicht vielleicht vorher schon geschafft hast, das Ganze zu schlichten, musst du dir am Ende in irgendeiner Sicht ein Urteil bilden. Es kann bei manchen Sachen… also manchmal liegt’s halt einseitig beim Kläger oder beim Antragsgegner. Und andererseits isses vielleicht auch mal ein Mittelweg, der möglich ist. Das kommt immer drauf an.
Flaschenpost: Traust du dir denn zu, auch Urteile zu fällen, die deiner privaten Meinung widersprechen?
Markus: Absolut.
Flaschenpost: Kurz und knackig….
Markus: Ja, muss ja nicht immer reden.
Flaschenpost: Noch ein bisschen Formal-Foo. Wie stellst du dir denn die Arbeit im Bundesschiedsgericht vor?
Markus: Ich weiß nicht, ist das Formal-Foo? Ich glaub’, das ist eigentlich so das Zwischenmenschlichste an der ganzen Sache. Also ja, wie stellt man sich das vor? Ich stelle mir das so vor, dass man einen einigermaßen fixen Arbeitsablauf hat, was den ganzen Formalkram angeht. Also im Idealfall hat man irgendwie ein System, dass beim Reinkommen einer Klage – voraussichtlich mal per E-Mail – also beim Reinkommen einer E-Mail einfach mal eine automatische Antwort rausschickt, und gleich mal ein Aktenzeichen generiert und da zurücksendet, dass man den Text sich sparen kann.
Ich meine, das ist sowieso immer der gleiche Text, also „Hallo Ladibla, deine E-Mail ist quasi angekommen, das hat jetzt das Aktenzeichen Blub und du hast jetzt noch Zeit bis zum X-ten, dich da ergänzend zu äußern“. Und dann geht natürlich auch eine E-Mail an die Gegenseite raus. Auch was da drin steht, ist eigentlich eine ziemlich formale Grundgeschichte. Und solche Sachen, das kann man alles automatisieren.
Was ich mir dann wünsche, ist, dass man kurze, aber oft Sitzungen hat. Also innerhalb des Schiedsgerichts. Oder eine sehr gute E-Mail-Kommunikation. Das ist das, was ich aus meiner Vorstandszeit zum Beispiel kenne. Da war E-Mail-Kommunikation eigentlich echt klasse, konntest du einen Umlaufbeschluss innerhalb von drei Stunden haben, wenn’s sein muss. Und das könnte man auf Schiedsgerichtsebene auch machen, warum nicht.
Dann irgendwie einen festen Terminkalender für mündliche Sitzungen, vielleicht auch eine Arbeitsteilung, das muss ja nicht alles immer an einem hängen. Und ich denke, man kann auch in einem Schiedsgericht super in einem Team arbeiten. Und das vor allem, ohne dass man sich intern mit Formal-Foo bewirft oder dass man da anfängt, juristisch zu sprechen.
Flaschenpost: Kommen wir zur letzten Frage. Warum sollten wir gerade dich wählen?
Markus: Das ist eine gute Frage. Aber hier muss ich die Antwort, glaube ich, den Leuten am BPT überlassen. Ich weiß, dass es sehr viele Leute gibt, die das, was ich generell tue, für gut halten. Und ich weiß auch, dass es sehr sehr – noch viel mehr – Leute wahrscheinlich gibt, die ich in meiner Zeit gut vor den Kopf gestoßen habe – und na ja, ich würde es auch wieder tun. Insofern muss es jeder vor sich selbst wissen, ob er’s vereinbaren kann, mich zu wählen. Ich sage mal, keine Ahnung…
Ich hab mich, glaub ich, mit allen oder zumindest mit fast allen, mit denen ich mich mal wegen irgendwelchen Sachen mal so richtig in die Haare bekommen habe, das ist jetzt gerade so Mittelfranken, Nürnberg, diese Richtung, nachher wieder sehr gut vertragen. Denn wir haben ausgemacht, warum wir in diese Situation gekommen sind und warum die Standpunkte so unterschiedlich waren. Aber im Nachhinein konnte man noch recht gut mit den Leuten reden und auch wieder zusammenarbeiten.
Also insofern, wenn du jemand haben willst, der formell auch hart urteilen kann, wenn’s sein muss, aber auch mit den Leuten trotzdem reden kann – ja, dann kannst du auch mich wählen.
Flaschenpost: Vielen Dank, Markus, für das Interview. Viel Glück für deine Kandidatur und ich denke, wir sehen uns dann dort.
Markus: Alles klar.
Flaschenpost: Tschüss!
Markus: Bis dann, ciao!