Zuerst erschienen auf http://petertauber.wordpress.com/2010/11/22/wer-schutzt-uns-vor-den-jugendschutzern/
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Die Intention des Jugendmedienschutzstaatsvertrages ist es, Kinder und Jugendliche von entwicklungsgefährdenden Inhalten fern zu halten und illegale Inhalte nicht über Presse und Rundfunk zu verbreiten. Der Staat kommt damit seinem Schutzauftrag nach. Mit der Verbreitung von Internetanschlüssen in Haushalten, Schulen, Bibliotheken und anderen öffentlichen Einrichtungen scheint es auch online ein solches Schutzbedürfnis zu geben.
In der Gesetzgebung sind Gesetze zum Internet bei den Ländern angesiedelt. Die Landesmedienanstalten zeigen sich zuständig, und hier liegt schon der erste Fehler. Das Internet ist kein klassisches Medium wie Zeitung, Radio oder Fernsehen. Es folgt nicht dem Konzept, dass es wenige lokale Sender und viele Empfänger gibt, und stellt kein klassisches Broadcasting-Medium dar. Im Internet ist jeder Nutzer sowohl Sender als auch Empfänger. Und dies weltweit. YouTube und soziale Netzwerke wie SchülerVZ zeigen, wie stark die klassische Grenze zwischen Produzenten und Konsumenten verschwimmt. Eine Unterteilung in Anbieter und Empfänger scheitert also schon von Grund auf.
Gesetze, die es TV-Sendern nicht gestatten, bestimmte Inhalte nur nach 22 Uhr zu senden, können auf ein globales Medium nicht angewandt werden, denn irgendwo ist immer 22 Uhr. Das Grundproblem liegt also in einer lokalen Gesetzgebung für Inhalte, die keine Grenzen kennen. Und selbst bei TV-Sendern lässt sich diese Regel in Zeiten von Satellitenfernsehen nur noch schwer einhalten, denn auch hier sind Inhalte in der Regel global verfügbar.
Die deutschen Jugendschützer lassen sich davon aber natürlich nicht beirren. Es wird fröhlich weiter reglementiert und eingeschränkt, um das alte Konzept wieder herzustellen: Nicht jeder darf alles zu jeder Uhrzeit sehen. Ganz perfide umgeht der aktuelle Entwurf des Ergänzungsvertrages zum JMStV nun das Problem, dass die Erde eine Kugel ist. Mit Jugendschutzfiltern. Diese sollen angeblich helfen: Die Webseiten müssen nur gekennzeichnet werden. Dann bekommt keiner, der zu jung ist, irgend etwas Anstößiges zu sehen. Zumindest, wenn die Seite sich mit ihren Inhalten an Kinder und Jugendliche wendet, greift dieses Modell. Aber hier beginnt ein merkwürdiger Differenzierungsprozess, denn wie wird beurteilt, ob ich mich an Kinder und Jugendliche wende?
Wer darf eigentlich darüber urteilen, was für Kinder und Jugendliche geeignet ist und für welche Inhalte sie sich interessieren? Ist eine Website über Aufklärung erst ab 16 oder doch schon ab 12 geeignet? Der Arbeitskreis gegen Internet-Sperren und Zensur (AK Zensur) hat dazu ein spannendes Experiment gemacht. Das Ergebnis, wie zu erwarten war: Man ist sich nicht sicher.
Also stelle ich die Frage, warum eines der schärfsten Jugendschutzgesetze der Welt nun auch noch weltweit agieren möchte. Eine positive Auswirkung auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist jedenfalls nicht erkennbar, wenn man sie der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in Ländern mit weniger restriktiven Gesetzen gegenüberstellt. Eine Studie von pro familia aus dem Jahr 2006 gibt an, dass 25% aller schwangeren Minderjährigen unter 16 Jahre alt sind – trotz eines vorhanden Jugendschutzes konnte dies nicht verhindert werden. Manch einer argumentiert nun, dass der Schutz nicht stark genug sei – ich sehe es eher so, dass er nicht funktioniert. Wir können unseren Kindern und Jugendlichen nicht vorschreiben, was sie lesen, hören und denken sollen.
Es liegt an uns, für sie da zu sein, wenn sie Fragen haben oder sich über Gelesenes oder Gehörtes austauschen möchten. Sie brauchen diesen Freiraum, die Impulse und Gedanken anderer. Es ist dann unsere Aufgabe, das gemeinsam mit ihnen aufzuarbeiten, damit sie auch weiterhin differenzieren können. Und deswegen müssen wir sie vor den Jugendschützern schützen.
Autor: Stephan Urbach