Als vor ein paar Wochen auf der internen Mailingliste der Flaschenpostredaktion gefragt wurde, wer von den Redakteuren denn gerne die Rezension eines neuen Buches über die Piraten schreiben wolle, ließ ich mich nicht lange bitten. Denn nach der spannenden, amüsanten und aufschlussreichen Lektüre der beiden im Netz kostenlos zu erhaltenden E-Books von Henning Bartels ‘Die Piratenpartei’ und Tobias Neumann ‘Die Piratenpartei Deutschland’ war ich mehr als neugierig darauf, wie sich dieses neue Werk über die Piratenpartei lesen würde, das kurz nach der Saarlandwahl 2012 und unmittelbar vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen veröffentlicht wurde.
Ein paar Tage später hielt ich das Rezensionsexemplar in den Händen und griff zum Textmarker. Doch aus der Euphorie wurde flugs Ernüchterung. Denn der erste Teil begeisterte keineswegs – eine langgezogene, aber wenig erhellende Einleitung des Co-Herausgebers Prof. Dr. Christoph Bieber und mehrere äußerst trockene Essays zu den gesellschaftlichen Bedingungen für die Entstehung der Piratenbewegung empfangen den Leser. Aber ich hatte nun einmal den Job und folglich quälte ich mich regelrecht bis zur Seite 87.
Nun gehöre ich vielleicht ja nicht zur Zielgruppe der Autoren oder mir fehlt zu solch wissenschaftlichen Betrachtungen der intellektuelle Zugang. Für den einen oder anderen Leser wird es eventuell doch zu einem Erkenntnisgewinn führen, sich durch diesen ersten Teil zu arbeiten. Für mich war er jedenfalls wenig erhellend.
Glücklicherweise folgt häufig auf einen ersten Teil auch mindestens ein zweiter. Meine Hoffnung wurde nicht enttäuscht: es wurde deutlich besser. Jedenfalls wurde mein Interesse beim Lesen dieses Abschnittes aufrecht erhalten und ich konnte viele Identitäts-Erkenntnisse für mich gewinnen, die ich vorher noch nicht so tiefgründig durchschaut hatte. Als ich im Oktober 2011 zu den Piraten kam und das Parteiprogramm durchlas, war mir klar: „Das ist meine Partei.“ Dass mein Parteibeitritt allerdings zwingend logisch war, erfuhr ich erst durch die Fähigkeiten der Autoren im zweiten Teil, namentlich Michael Seemann, Frieder Vogelmann, Daniel Constein, Silke Helfrich, Kai-Uwe Hellmann, Dirk von Gehlen, Jasmin Siri und Paula-Irene Villa.
Diese stellen die Themen Netz- und Plattformneutralität, Transparenz und Bürgerbeteiligung, Betriebssystem und Parteiprogramm, Commoning und Urheberrecht sowie Postgender hier so anschaulich, deutlich und hintergründig dar, dass ich nur jedem Leser raten kann: Kauf Dir diese ‘Parteibibel’, lies sie, verinnerliche, was „piratig“ tatsächlich heißt und nimm sie zu jedem Stammtisch, Infostand oder Parteitag mit.
Ab Seite 175 wird es aus der praktischen Parteiperspektive leider wieder vergleichsweise langweilig. Hier wird herausgearbeitet, „innerhalb welcher sozialwissenschaftlicher Perspektiven und Debatten wahrscheinliche Schnittflächen und Anschlussstellen“ für die bestehende Parteienlandschaft und das politische System bestehen. Nun mag es wieder an meiner eigenen Wenigkeit liegen, dass ich auch den dritten Abschnitt des mir vorliegenden Werkes so aburteile und vielleicht sind Wiederholungen zum Zwecke der Verinnerlichung des Gelesenen auch hilfreich. Aber wenn die Lese-Motivation so schlagartig nachlässt, sodass dem verantwortungsbewussten Rezensenten und Hutträger doch arg flau im Magen wird, mag die harsche Kritik berechtigt sein. Auch die Reihe von Spekulationen, was die Piraten in Zukunft wohl zu ändern oder auch nicht zu ändern vermögen, hilft dem Leser da nur wenig auf dem Weg zur Erleuchtung. So ein paar Anekdötchen nur zwischendurch, von den so hochlebendigen Piraten, hätten mir doch sehr bei der Lektüre geholfen.
Fazit: Trotz der in weiten Teilen unerträglichen Langeweile lohnt sich die Anschaffung dieses Buches. Dem eifrigen Leser ist jedoch anzuraten, bei Seite 91 zu beginnen und sich nach Seite 171 wieder anderen Beschäftigungen zuzuwenden.
“Unter Piraten – Erkundungen in einer neuen politischen Arena” ist ein von Christop Bieber und Claus Leggewie herausgegebenes Gemeinschaftswerk , das 2012 im Transcript Verlag unter der ISBN 978-3-8376-2071-9 erschien. Eine Leseprobe ist auf den Seiten des Verlages verfügbar.