Eigentlich wollten wir zur Einführung von Liquid ein Tutorial schreiben. Kurzfristig hat sich aber eine noch bessere Idee ergeben, die an anderer Stelle erarbeitet und voraussichtlich im Laufe dieser Woche online gehen wird. Seid gespannt! Wenn ihr Tipps zur Benutzung von LQFB sucht, schaut einmal bei Pavel im Wiki vorbei – es lohnt sich! Bei uns geht es nun weiter mit dem Thema Delegationen.
– Flaschenpost: Hallo Simon. Erklär bitte noch einmal kurz, was Delegationen sind.
Delegationen sind eine Möglichkeit, das eigene Stimmgewicht in LiquidFeedback (sowohl in den Abstimmungen als auch vorher bei der Unterstützung von Initiativen) auf andere Benutzer zu übertragen. Diese Delegationen sind jederzeit widerrufbar und können nicht nur allgemein, sondern auch spezifisch vergeben werden, also in einem Themenbereich wie z. B. „Satzung und Parteistruktur“ oder auch in einem einzigen Thema, d. h. einer Gruppe alternativ zueinander eingestellter Initiativen. Jeder Benutzer kann so frei darüber entscheiden, ob, wo und an wen seine Stimme delegiert wird; diese Flexibilität ist es, die hinter dem Begriff „Liquid Democracy“ steht.
Eine Delegation in einem Thema wird in dem Moment, in dem man sich selbst daran in irgendeiner Form beteiligt, automatisch ausgesetzt. Auch deshalb kann es hilfreich sein, eine Delegation nicht als aus der Hand gegebenes Stimmgewicht zu betrachten, sondern als eine Anweisung an das System, bei eigener Inaktivität das Stimmverhalten dem eines anderen anzupassen.
– Flaschenpost: Unter welchen Bedingungen kann man delegieren?
Man kann auf jeden anderen Benutzer delegieren, allerdings muss man ihn dazu zunächst von seiner Benutzerseite aus zur eigenen Kontaktliste hinzufügen. Beim Einrichten einer Delegation kann man dann zwischen allen als Kontakt gespeicherten Benutzern auswählen.
Delegationen lassen sich auf drei Ebenen einrichten: Erstens als Globaldelegation, die grundsätzlich in jedem Thema greift, solange man sich dort nicht selbst beteiligt. Zweitens als Themenbereichsdelegation, die auf einen Themenbereich beschränkt ist. Drittens als Themendelegation, die nur in einem speziellen Thema wirksam ist; diese lässt sich natürlich nur dann einrichten, wenn das Thema noch nicht abgeschlossen ist. Dabei haben spezifischere Delegationen immer Vorrang, wenn man sich also in einem Thema nicht selbst beteiligt, wird erst die Themendelegation wirksam. Falls man keine eingerichtet hat, gilt die Themenbereichsdelegation, während eine globale Delegation nur in den Themenbereichen und Themen wirksam ist, in denen keine eigenen Delegationen existieren.
– Flaschenpost: Woher weiß ich, wer hinter dem Account steht, auf den ich delegiere?
Durch die Pseudonymisierung ist nicht sicher feststellbar, wer hinter einem bestimmten Account steht, auch wenn dort ein Klarname angegeben ist. Falls man allerdings auf eine bestimmte Person delegieren möchte und sich nicht sicher ist, ob ein bestimmter Account tatsächlich zu ihr gehört, kann man sie natürlich außerhalb von LF nach ihrem Account fragen (falls sie ihn nicht sowieso als ihren identifiziert, indem sie ihn z. B. von ihrer Wikiseite aus verlinkt).
– Flaschenpost: Was ist das Problem mit Globaldelegationen, das so viel diskutiert wurde?
Es sind vor allem Befürchtungen geäußert worden, dass durch die relativ einfache Möglichkeit, eine globale Delegation einzurichten, viele Benutzer genau dies tun und darüber hinaus nicht weiter im System aktiv sein werden. Dadurch bestünde dann die Gefahr, dass einzelne Benutzer, die sich z. B. durch ein Vorstandsamt oder besonders lautstarkes Auftreten als Empfänger von Delegationen anbieten, ein übermäßig großes, nicht mehr kontrolliertes Stimmgewicht erhalten.
Allerdings sprechen die Erfahrungen, die insbesondere im Landesverband Berlin mit dem System gesammelt worden sind, eher dagegen. Die meisten Benutzer, die Delegationen einrichten, beteiligen sich auch darüber hinaus aktiv am System. Praktisch kann man beobachten, dass es zwar ein paar Benutzer gibt, die viele Delegationen auf sich vereinigen; während des Prozesses, den ein Thema vom Einstellen der ersten Initiative bis zur Abstimmung durchläuft, sinkt ihr Stimmgewicht aber durch die steigende Beteiligung, bis in der Abstimmung so viele Benutzer selbst aktiv werden, dass es dort kein großes Übergewicht mehr gibt. Eine große Anzahl an Delegationen entspricht also eher einer Verhandlungsvollmacht für die Phasen vor der Abstimmung.
– Flaschenpost: Was passiert, wenn derjenige, auf den ich delegiere, selbst auf jemand anderen delegiert?
Delegationen werden in einem solchen Fall weitergegeben. Wenn also z. B. in einem Thema eine Delegation von Benutzer A an Benutzer B und von Benutzer B an Benutzer C gilt, und sich A und B nicht direkt beteiligen, verfügt C zunächst über ihre beiden Stimmen. So können auch längere Ketten und sogar Kreise von Delegationen entstehen, die aber immer in dem Moment unterbrochen werden, in dem einer der beteiligten Benutzer selbst aktiv wird.
– Flaschenpost: Kann ich auch ablehnen, dass jemand auf mich delegiert?
Die Möglichkeit, Delegationen abzulehnen, besteht nicht. Wenn man eine Delegation als automatische Anpassung des Stimmverhaltens an das eines anderen Benutzers sieht, wäre dies auch insofern problematisch, als kein Benutzer in der Lage sein sollte, das Verhalten eines anderen Benutzers einzuschränken. Auch bei einer offenen Abstimmung auf einem Parteitag ist es ja z. B. immer möglich, seine eigene Stimmabgabe an der eines anderen zu orientieren, ohne dass dieser das verhindern kann.
– Flaschenpost: Wie kann ich nachvollziehen, ob derjenige, auf den ich delegiere, auch so stimmt, wie ich es mir vorstelle?
Auf jeder Ebene, auf der Delegationen eingerichtet werden können, lässt sich an der gleichen Stelle überprüfen, wie eine eingerichtete Delegation weitergegeben wird und an welcher Stelle die entsprechende Kette durch eigene Beteiligung eines Benutzers unterbrochen wird. Somit ist immer sichtbar, ob die eigene Stimme in einem bestimmten Thema von einem anderen Benutzer wahrgenommen wird. Vor der Abstimmungsphase lässt sich somit erkennen, wie man die Initiativen eines Themas durch Delegation unterstützt; nach Abschluss der Abstimmung ist erkennbar, wie ein Benutzer abgestimmt hat, indem man in einer der Initiativen auf „Abstimmdetails“ geht und auf das Symbol klickt, was die Zustimmung bzw. Ablehnung des entsprechenden Benutzers anzeigt.
– Flaschenpost: Verfallen Delegationen irgendwann?
Themendelegationen verfallen natürlich mit Abschluss des Themas. Themenbereichs- und globale Delegationen bleiben hingegen nach Einrichtung so lange aktiv, bis man sie zurücknimmt oder ändert.
Allerdings sprechen durchaus einige Argumente dafür, Delegationen nach einer gewissen Zeitspanne der Inaktivität auszusetzen. In der Berliner LiquidFeedback-Instanz wurde dazu z. B. bereits ein Beschluss gefasst, Delegationen nach einem Jahr verfallen zu lassen. Eine analoge Regelung für das bundesweite LF wird bereits diskutiert.
– Flaschenpost: Herzlichen Dank für deine Zeit!