Ein Gastartikel von Schulym Apelojg.
Machen wir uns nichts vor: Allein mit unseren Hauptthemen (Transparenz, Netzpolitik etc) werden wir auch bei den nächsten Wahlen keinen Blumentopf gewinnen. Zwar sind unsere Hauptanliegen politikfähig, gesamtgesellschaftlich wichtig , und werden zukünftig immer wichtiger werden – aber es ist ein langer Weg bis sie ins Bewusstsein größerer Wählerschichten eindringen und wahlwirksam werden. Bis es soweit ist, wird der verschärfte globaler Wandel die Menschen zwingen, ihre Wahlentscheidungen an deren Auswirkungen auf die eigene wirtschaftliche und soziale Lage auszurichten – denn sogar bei uns gibt es kaum Piraten, deren materielle Existenz oder Wohlstand von der Verwirklichung piratiger Politikentwürfe abhängt.
Dies gilt erst recht für 99% der Wähler und Nichtwähler, die entweder gar nicht zur Wahl gehen oder ihr Kreuz bei den etablierten Parteien abliefern: Die Hoteliers bei der FDP, die Bauern bei der CDU, die gutverdienenden Arbeitnehmer bei der SPD, der Mittelbau des öffentlichen Dienstes bei den Grünen und die Hartzler, „Ossis“ und Schröder-geschädigten Gewerkschaftsfunktionäre bei der Partei DIE LINKE.
Der Hype, der uns in einige Landesparlamente hineingespült hat, ist längst verebbt. Die diffusen Erwartungen unserer Sympathisanten, wir wären anders als die anderen, wir könnten neue und realistische Konzepte entwickeln, die repräsentative Demokratie vor Umklammerung der Partikularinteressen zu befreien, wurden zwangsläufig enttäuscht. Es ist kein Vorwurf: Wir sind lediglich den Weg fast aller Protestbewegungen gegangen, nämlich auf Missstände hinzuweisen, ohne aber überzeugende, große Alternativentwürfe anzubieten. Im Gegenteil, wir haben uns mit unseren bisherigen Auftritten und Politikangeboten unvermeidlich in die Ecke der „Sonstigen Parteien“ hineinmanövriert, wo wir uns die wirkungslosen, kümmerlichen Brösel von der Wähler-Reste-Rampe mit Spinnern, Sektierern und Esoterikern teilen.
Nun, „Was tun ?“, sprach Zeus, wie kommen wir raus der Ecke der „Sonstigen Parteien“, raus dem impotenten Herumkreisen von Visionen und Debatten in AGs und AKs , die vor unser aller Augen und Ohren langsam sanft entschlafen? Wie holen wir uns die Ausgetretenen und Verzagten zurück?
Dazu stehen zwei strategische Alternativen zur Verfügung , von denen die erste lautet: Langfristig spielt die Zeit für uns, denn mit jedem Neugeborenen und mit jedem Abhör- und Datenskandal gewinnt die Netzpolitik fast unmerklich aber stetig an Bedeutung; Da sind wir zu Hause, da haben wir Kompetenz und Glaubwürdigkeit. Wer diese Strategie verfolgen will, kann getrost das weitere Lesen beenden. Wer aber nicht solange warten will, muss die Realität zur Kenntnis nehmen, dass nämlich für 99% % der Wahlberechtigten unsere Zentralanliegen nicht mal an dritter Stelle, sondern viel weiter hinter Themen wie Einkommen, Arbeitsplatzsicherheit, Geld- und Sozialstabilität stehen.
Somit hat eine Wahlstrategie, die unsere Urthemen in den Fokus der Argumentation stellt, keine Chance die nötigen 5% auch nur zu streifen. Gewiss, unsere Zeit wird kommen, aber wann? Und wollen wir solange warten? Oder suchen wir eine andere Strategie, um zu Mandaten zu kommen? Eine Strategie, die nicht direkt über die Mitte sondern über die Flanken führt, über andere Themen, die uns dann den Zugang zur Öffentlichkeit auch mit unseren Themen erlauben werden. Die bittere Wahrheit ist aber, dass die anderen Themen schon vergeben sind: Der Wähler sucht nicht eine politische Kraft, die grüner ist als die Grünen oder linker ist als DIE LINKE. Das generelle Spiel über die Flanken allgemeiner ideologischer Themen funktioniert also auch nicht, diese Flanken sind von den anderen besetzt mit Mannschaftsstärken, von denen wir nur träumen können.
Wenn also das Aufziehen der Großsegel, um ins Nautische zu wechseln, und das Herumstreifen in den großen Ozeanen „soziale Gerechtigkeit“ und „Umwelt“ uns nicht weiter bringt, was wäre dann die Alternative? Die Alternative lautet, um im Nautischen zu bleiben, ausweichen auf die kleineren Meere der sehr konkret definierten Wählerschichten, die von sehr spezifischen existentiellen Problemen bedrängt werden und die wir nicht mit dem Großsegel der allgemeinen, am besten die ganze Menschheit beglückenden Entwürfen bedienen, sondern mit unserem Kleinsegel konkreter, maßgeschneiderter piratiger Lösungsangeboten gewinnen. Und am besten mit solch konkreten Angeboten, die die anderen Parteien nicht anbieten können, weil sie sonst Ärger mit ihrer Hauptklientel bekommen würden.
Die Frage lautet also, welche größere Wählerschichten mit welchen existentiellen Problemen werden nicht und können nicht ausreichend von den etablierten Parteien bedient werden? Daraus ergibt sich die Frage, welche Lösungen wir können anbieten können, damit sie uns wählen. Auf Anhieb und ohne nähere Begründung fallen mir folgende potentielle Wählerschichten ein: Menschen im Niedriglohnsektor, Familien mit Kindern, Hartzler, Abstiegsbedrohte.
Zur Veranschaulichung eines konkreten auf bestimmte Wählerschichten fokussierten Ansatzes, nehmen wir die Niedriglöhner.
Sie bilden mit ca 25% der Arbeitnehmer ein beträchtliches Wählerpotenzial und werden trotzdem von den etablierten Parteien nur mit Aufstockerei und sonstige Wohltaten im bürokratischen „klein klein“ miserabel bedient. Sie verharren vermutlich schon länger überwiegend im Lager der Nichtwähler und sind dadurch leichter zu erreichen als aktive Wähler etablierter Parteien. Eine politische Kraft, die dieses Potential heben will, darf sich nicht auf ein weiteres „klein klein“ beschränken sondern muss einen großen Wurf anbieten, der sich den angesprochenen Niedriglöhnern unmittelbar verständlich vermittelt und deren materielle Situation massivst verbessert.
Solch ein Wurf wäre zum Beispiel eine Neugestaltung der Sozialabgaben – entlang der Idee von Jürgen Borchert, vorsitzender Richter im obersten hessischen Sozialgericht, in seinem Buch „Sozialstaat Dämmerung “ zu lesen, mit dem ausdrücklichen Ziel dem Niedriglöhner zusätzlich zu seinem bisherigen Nettolohn, die gesamten Sozialabgaben inklussive Arbeitgeberanteil auszuzahlen. Dies kann im Einzelfall eine Steigerung des Nettolohnes um 50% bedeuten, ohne dass der Arbeitgeber und damit der Arbeitsplatz eines Niedrigverdieners auch nur mit einem Cent mehr belastet wird.
Solch ein großer Wurf, unter den Begriffen progressive, familiengesplittete, ins Netto inkludierte Gesamtsozialabgaben als Arbeitstitel verschlagwortet, wäre auch geeignet, das Wählerpotenzial der Familien mit Kindern zu heben, aber das wäre eine andere Geschichte.
Nun wie soll es weitergehen? Im Zuge meines Versuchs Mitstreiter für das Projekt „Wahlwirksames Sozialprofil“ zu finden, habe ich mich in zahlreiche Mailinglisten eingetragen, um nur zu erfahren, daß viele von ihnen Geisterschiffen gleichen: Bei den meisten kam lediglich meine eigene Mail zurück, als Beweis, dass sie längst schon tot sind!
Deswegen musste ich nun auf diesen Aufruf ausweichen und hoffe, dass er konkrete Fragen und rege Mitarbeit auslösen wird und nicht die üblichen Selbstschussanlagen der diversen Ideologen (einige ernüchternde Beispiele sind im Pad 192 der Sozialpiraten zu finden ) auslöst.
Die Partei hat eine neue Wahlstrategie bitter nötig! Mit dem „Wahlerwirksamen Sozialprofil“ könnte die neue Wahlstrategie schon bei den nächsten Landtagswahlen getestet werden.
Wenn Du Dich den bereits interessierten Piraten der Projektgruppe “ Wahlwirksames Sozialprofil“ anschließen willst, dann melde Dich unter eurokrise@apelojg.de. Die Projektgruppe hat mit der gekaperten by-fg-wirtschaft@lists.piratenpartei-bayern.de bereits eine eigene Mailingsliste und bei Bedarf werden wir einen der zahlreichen inaktiven Mumble Räume benutzen.
Ab sofort können wir intensiv und ergebnisorientiert arbeiten, fangen wir also an: fertig machen zum Ändern!