Ein Gastartikel von Gernot Reipen. Gastartikel geben nicht zwingend die Meinung der Redaktion wieder.
Auf der festlich geschmückten Straße hatten sie sich wieder versammelt, wie jede Woche. „Ausländer raus! Ausländer raus!“ und „Wir sind das Volk! Wir sind das Volk!“, skandierte die Masse und zog langsam in Richtung Innenstadt, ihre Fahnen schwenkend. „Stoppt die Islamisierung Europas!“ war auf einem breiten Banner zu lesen, das mehrere Demonstranten vor sich hertrugen. Einige hielten demonstrativ einen Galgen aus Latten gezimmert in die Höhe, symbolisch reserviert für bekannte Regierungspolitiker, während ein Dutzend Reporter und Berichterstatter den gespenstigen Zug begleiteten. Aus der grölenden Meute wurde ihnen offener Hass und Missachtung entgegengeschleudert. „Lügenpresse verpisst euch! Ihr habt hier nichts verloren!“
Auf dem Kundgebungsplatz hatten sich schon die Hundertschaften der Polizei formiert. Mannschaftswagen blockierten Zufahrten und Absperrungen waren errichtet worden. Denn hinter der Polizeikette gruppierten sich schon die Gegendemonstranten, mit dem vermummten Block der Autonomen an vorderster Front. „Nazis raus! Nazis raus!“, schalte ihr Geschrei über den Platz. Mit zornigen Blicken und mit erhobenen, geballten Fäusten schoben sie sich demonstrativ vor die Absperrungen, eine Eskalation in Kauf nehmend. Jeden Augenblick konnte die Lage außer Kontrolle geraten, denn die ersten Teilnehmer des Demonstrationszuges betraten den Ort der vorgesehenen Kundgebung. Eine hochgradig explosive Ansammlung von gewaltbereiten Menschen hatten sich an diesem Adventswochenende in der City zusammengefunden.
Gegenüber dem Marktplatz erhob sich das altehrwürdige Stammgebäude eines bekannten Bankhauses. Die Geschäftsräume im Erdgeschoss waren schon in Dunkel gehüllt, während im ersten Stock die großen, hochgezogenen schlanken Fenster hell erleuchtet waren. Hinter den Glasscheiben waren die festlichen Kronleuchter im großen Saal deutlich zu erkennen. Heute Abend gab es im Haus etwas zu feiern. Auch in diesem Jahr konnte das Bankhaus mit einer hohen Gewinnzuwachsrate die Jahresbilanz abschließen. Nicht nur der Vorstand und der Aufsichtsrat konnten sich über eine kräftige Steigerung ihrer Boni freuen, auch für die Aktionäre sollte sich das zurückliegende Jahr in Form einer kräftigen Dividendenausschüttung gelohnt haben.
Auf der Balustrade über dem Portal der Bank standen mit Smoking, dem festlichen Rahmen entsprechend, bekleidet, zwei beleibte ältere Herren, eine edle Havanna rauchend und ein Glas Champagne in der Rechten. Ein wenig irritiert und distanziert ließen sie schweigend ihre Blicke hinunter auf die stetig wachsende Menschenmenge wandern. So vergingen fast zehn Minuten. Dann nahm einer der beiden Herren seine Havanna aus dem Mund, wandte sich seinem Begleiter zu und sagte etwas amüsiert lächelnd: „Solange die sich da unten gegenseitig bekämpfen, haben wir nichts zu befürchten!“
Auch wenn’s ein Gastbeitrag ist, schaut ja sicher noch mal jemand drüber vor dem Veröffentlichen. Und könnte jetzt also die Verantwortung übernehmen. Die Aussage des Textes ist ja:
Wenn sich nur die Demokraten und die Nazis, also das ganze Volk, endlich gemeinsam erheben und die Kapitalisten an die Laternen bringen würden, dann wäre Deutschland wieder ein Paradies. Und dieser Querfront-Antisemitismus läuft unter der Marke „Piratenpartei“?
Deine Interpretation des Beitrags ist – meiner Meinung nach – ziemlich übertrieben. Im Kern sehe ich ähnlich – viele Menschen (auch wir) lassen uns von großen und kleinen Themen, Problemen und Nebelbomben, die die Politik wirft, ablenken. Und übersehen dabei oft größere Übel, die wahren Probleme. Aber gut, jeder kann eine eigene Interpretation haben. Wobei ich finde, dass man schon weit ausholen muss, um darin Querfront-Antisemitismus zu sehen. Bei uns sah ihn niemand. Sonst hätten wir den Beitrag nicht veröffentlicht.
Wir übernehmen übrigens natürlich die Verantwortung für die Veröffentlichung. Besonders, da es ein Meinungsbeitrag/Kommentar ist, heißt das aber nicht, dass wir uns diese Meinung zwingend zu eigen machen. So steht es auch im zweiten Satz des Beitrags.
Der Kampf gegen Rassisten ist also eines der „großen und kleinen Themen, Problemen und Nebelbomben, die die Politik wirft“, wodurch wir dann „größere Übel, die wahren Probleme“ – den Kapitalismus – nicht sehen?
Indirekt, ja. Ursprung des Kampfes gegen den Rassismus ist eine Reaktion auf Rassismus. Das hilft temporär den Rassismus einzudämmen, langfristig kann man damit nicht gewinnen. Dieser Weg führt nur über Bildung, Aufklärung, Integration (und damit meine ich nicht nur Flüchtlinge und Migranten). Natürlich ist es wichtig, die Präsenz dagegen zu zeigen, zu Gegendemonstrationen zu gehen, Aktionen zu starten. Ich bin aus Dresden, ich kenne die Geschehnisse vor Ort nur zu gut und auch, welchen Aufwand es kostet, dagegen vorzugehen.
Dennoch spreche ich dem keinesfalls die Wichtigkeit ab. Doch im Gesamtbild betrachtet gibt es andere Probleme, die unter anderem auch die Ursachen von Rassismus sind. Das ist – meiner Meinung nach – nicht der Kapitalismus insgesamt (wie du hier unterstellst), sondern Probleme wie soziale Ungerechtigkeit, Korruption, Intransparenz und viele mehr. Diese sollten wir nicht aus den Augen verlieren – und das interpretiere ich in dem Beitrag.
Wenn du das anders interpretierst, ist das vollkommen in Ordnung. Aber bitte stelle das nicht als definitive Aussage des Artikels dar und unterstelle uns Dinge wie Antisemitismus.