Auf der Webseite https://kirstenmalzwei.de/ findet man das Blog mit dem bezeichnenden Namen: Zwischen Inklusion und Nixklusion
Nixklusion ist dabei die, wie ich persönlich finde, ziemlich zutreffende Verballhornung des Begriffes Inklusion. Denn von einer wirklichen Inklusion kann man in Deutschland noch lange nicht reden. Auf der Webseite haben sich zwei Mütter (Kirsten Ehrhardt und Kirsten Jakob) als Betroffene zusammengefunden und berichten über eben jene Nixklusion.
Das Ergebnis ist ein, wie ich persönlich finde, teilweise sehr bedrückendes Porträt unserer Gesellschaft. Auch bin ich persönlich selbst ebenfalls betroffen von dem Mangel an Inklusion und dem daraus resultierenden Fehlverhalten z.B. bei den Behörden verblasst dies aber völlig, wenn ich Geschichten wie „Post von der Staatsanwaltschaft“ [1] lese.
Ich muss zugeben, dass es mir schwerfällt mir vorzustellen, wie es als Mutter sein muss wenn das eigene Kind betroffen ist. Noch schwerer fällt es mir, wie man es dann trotz all dieser Probleme noch schafft, so eine Webseite zu erstellen. Respekt!
Das Interview
Wie schaffen Sie beide das, ohne am Leben zu verzweifeln und gleichzeitig noch Optimismus zu verbreiten?
Verzweiflung ist doch gar keine Option. Warum auch? Wir haben tolle Familien und tolle Kinder. Und dann gibt es vieles, das nicht so toll ist. Vor allem, wie mit unseren Kindern umgangen wird und wie wenig unsere Gesellschaft sie schätzt und als wichtige Mitglieder ansieht. Kirsteneins (Kirsten Ehrhardt) hat eine Postkarte über ihrem Schreibtisch hängen, auf der steht: „Wenn ich jemals meinen Kopf hängen lasse, dann nur, um meine Schuhe zu bewundern.“
In Ihrem Blog veröffentlichen Sie Geschichten, die sich so abgespielt haben, sie wurden lediglich anonymisiert. Was mir als Erstes dabei aufgefallen ist: Sie kommentieren die Geschichten nie. Warum nicht?
Weil sie für sich stehen. Und wir unseren Leser*innen nicht unsere Sichtweise und unsere Wertungen aufzwingen möchten. Wir sind keine Moral-Apostel-innen.
In den Geschichten wird sehr viel aus dem Alltag berichtet und darüber, wie schwierig der sein kann. Vor allem in den Köpfen der „normalen“. Glauben Sie, dass die Geschichten in Ihrem Blog helfen können?
Ja, sie haben schon so manchen zum Nachdenken gebracht. „Nixklusion“ ist übrigens keine Verballhornung, sondern markiert das Spektrum: Zwischen Inklusion und Nixklusion gibt es vieles, das nur wie Inklusion aussieht, anderes, das gut gemeint, aber eigentlich schwierig ist, manches, das brutal ausgrenzt und vieles mehr. Zwischen schwarz und weiß gibt es viele Grautöne.
Deutschland ist eine Servicewüste und digital unterentwickelt. Das ist schon so spürbar, aber für Menschen mit Behinderung noch viel mehr. Das beginnt bei Geldautomaten, die für Menschen im Rollstuhl kaum bis gar nicht zu bedienen sind und geht weiter bis zum ICE, der selbst in der neuesten Version wieder nicht rollstuhltauglich ist. Und Schulen sind, was die Digitalisierung anbetrifft, schon grundsätzlich schlecht aufgestellt.
Gibt es etwas, das speziell im Bereich Digitalisierung grundsätzlich bei der Inklusion helfen könnte? Und wenn ja, was wäre das?
Na ja, wenn wir mal anfangen würden, ALLE dabei mitzudenken? Das wäre der Anfang und das Wichtigste zugleich.
In der Politik wird nur selten von Inklusion geredet. Mein Eindruck ist, das meiste davon ist, wenn überhaupt, Wahlkampf. Was wäre in Ihren Augen ein politisches Ziel, das die Inklusion wirklich voranbringt?
Die UN-Behindertenkonvention umzusetzen. Ohne Wenn und Aber. Ohne Schwurbel und Lügen. Das ist das Ziel.
Behörden, Ämter, Schulen, Polizei und Staatsanwaltschaften sind alle angehalten, Menschen gleichzubehandeln. Davon sind wir meilenweit entfernt. Eben Nixklusion. Ich glaube, dass hier nicht nur politisch etwas getan werden muss. Hier braucht es auch gesellschaftlich ein Umdenken. Ihr Blog ist sicher eine Möglichkeit, mit dem öffentlich und bewusst machen von Problemen.
Welche Möglichkeiten und Wege sehen Sie aus Ihrer Erfahrung heraus eventuell noch?
Der Blog ist für uns eine Ergänzung unseres langjährigen Eltern-Engagements in der Selbsthilfe. Die steht für uns weiterhin im Mittelpunkt: Eltern unterstützen sich gegenseitig. Nur gemeinsam sind wir stark für Inklusion. So haben sich übrigens auch Kirsteneins (Kirsten Ehrhardt) und Kirstenzwei (Kirsten Jakob) kennengelernt.
Europa ist zusammengewachsen, das ist in vielen Bereichen spürbar. Gibt es etwas bei unseren europäischen Nachbarn in Sachen Inklusion, das Sie sich auch für Deutschland vorstellen könnten bzw. das Deutschland übernehmen sollte?
In Schulen nicht immer und überall zu trennen.
Viele Parteien haben Inklusion als Thema. Was kann oder muss eine Partei wie wir, aus Ihrer Sicht heraus tun, um glaubwürdig bei dem Thema Inklusion zu sein?
Sie sorgt dafür, dass Deutschland endlich die UN-BRK (Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen [2]) umsetzt und fängt damit in jeder KiTa und jeder Schule an. Damit alle inklusiv aufwachsen können. Und wir nicht weiterhin unseren Kindern ohne Behinderung die Kinder mit Behinderung vorenthalten.
In einer idealen Welt müssten wir uns über Inklusion gar nicht unterhalten, sie wäre einfach selbstverständlich. Wenn Sie einen Wunsch freihätten, der dann sofort realisiert werden würde, welcher wäre das?
Doch, wir würden weiter darüber reden: Über Vielfalt insgesamt, aber mit einer positiven Zielrichtung: Was können wir in einer inklusiven Gesellschaft voneinander lernen? Alle von allen. Eine inklusive Gesellschaft ist keine ohne Diskussionen oder Konflikte. Aber eine, in der klar ist: Das kriegen wir hin, weil wir es hinkriegen wollen.
Im Blog habe ich von dem unbekannten Künstler gelesen und dass er, bis er berühmt wird, auch Auftragsarbeiten annehmen muss. Wie würde für den Künstler Inklusion aussehen, wenn er es zeichnen würde?
Er hat sie schon vor Jahren so gezeichnet: Siehe Bild. Inzwischen möchte er übrigens eher ein berühmter Schriftsteller werden und schreibt mehr als er malt. Aber beim Blog ist er weiterhin treu jede Woche als Illustrator dabei.
Wir würden uns freuen, wenn wir zusätzlich ein Bild bekommen, das wir als Titelbild über dem Interview veröffentlichen dürfen … das Bild haben wir bekommen, vielen Dank dafür.
Im Namen der Flaschenpost: Danke für das Interview.
Ullrich Slusarczyk
[1] https://kirstenmalzwei.de/2022/03/post-von-der-staatsanwaltschaft.html
[2] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/das-institut/monitoring-stelle-un-brk/die-un-brk
Redaktionsmitglied Ullrich Slusarczyk
1963 in West-Berlin geboren. Jetzt in Hannover. Sehr viel gemacht im Leben und sehr viel gesehen. Schreibe gerne. Bin für direkte Sprache bekannt, manchmal berüchtigt. Halte nichts davon, Fakten auf einem DIN A4 Blatt breitzutreten, wenn das Wort „Idiot“ ausreicht. Schreibe jetzt hier die Kolumne hauptsächlich. Meine Themen sind: Gesundheit, Digitalisierung, Urheberrecht und Energie. Ich bin kein Wissenschaftler, logisches Arbeiten und Denken ist mir aber nicht fremd. Bin ein Wissenschaftsfan. Lese Science Fiction. Habe Karl May gelesen, aber auch Antoine de Saint-Exupéry oder Stanislav Lem.