Durch einen glücklich Zufall haben wir einen direkten Draht zu den Geschehnissen in Ägypten. Via Satellitentelefon wurden mir Informationen zugespielt. Sie geben zwar ein subjektives, jedoch eher konträres Bild zur überwiegenden Berichterstattung in den deutschen Medien wieder.
So wurde häufig nur von Gewalttaten der Demonstranten berichtet bzw. in den Mittelpunkt gestellt. Die Demonstrationen fingen aber immer friedlich an. Erst durch das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte war die Situation irgendwann so stark aufgeladen und die Demonstranten in die Ecke getrieben, dass eine gewalttätige Konfrontation quasi unvermeidlich wurde. Ausschreitungen hätten eigentlich nur durch Aufgabe verhindert werden können. Das dies für den überwiegenden Teil der Menschen keine Option darstellte ist offensichtlich. Das zeigt aber nicht die Gewaltbereitschaft, wie uns manche Journalisten glauben machen wollen, sondern die pure Verzweiflung der Menschen.
Rädelsführer wurden von der Polizei auf offener Straße misshandelt und/oder verschleppt, weibliche Inhaftierte sollen vergewaltigt worden sein und einige Aktivisten, Blogger und Journalisten, sowie Hacker wurden auch gezielt verhaftet. Viele Anwälte sollen gar keine Gelegenheit bekommen haben, mit ihren Mandanten zu sprechen.Vielfach sind die Aufenthaltsorte der Gefangenen nicht einmal bekannt. Einige Mandaten von unserem Informanten wurden direkt am Flughafen beim Versuch der Ausreise verhaftet und verhört. Erst nach mehr als 2 Tagen kamen sie wieder auf freien Fuß. Drei dieser Personen wurden krankenhausreif geprügelt. Allesamt lokale Journalisten und Blogger. In der Nacht standen dann bei den Nachbarn um 2 Uhr Polizisten vor der Tür und nahmen einen Familienvater mit.
Auch bestehen manche Bürgerwehren zu einem sehr großen Teil aus Polizisten in Zivil. Sie sollen Desinformationen verbreitet haben, um den Aufstand auszutrocknen oder zu stören. Außer der Armee waren zwischenzeitlich kaum Sicherheitskräfte in den Wohngebieten unterwegs um ihre eigentlichen Aufgaben zu erfüllen. Demonstranten werden als Plünderer diffamiert um bei der Bevölkerung größere Unsicherheit auszulösen. Unter anderem gab es auch Kämpfe zwischen Bürgerwehren. So wollten Familien ihre Kinder wieder aus der Gefangenschaft einer Bürgerwehr befreien. Gefängnisse wurden von den zuständigen Beamten geöffnet, berichteten aufgebrachte Angestellte eines Gefängnisses nahe Kairo. Das macht aus der Sicht des Regimes auch Sinn. Wenn die Bevölkerung mit sich selbst beschäftigt ist, dann kann das Regime etwas verschnaufen und sich neu sortieren. Mittlerweile wird diese Einschätzung auch von einigen internationalen Berichterstattern verbreitet. Das ist auch ein Signal nach Innen und Außen: „Seht her, OHNE mich bricht das Chaos aus. Ich habe 30 Jahre lang für Ruhe und Sicherheit gesorgt.“
Nicht immer ist klar wer hinter den (angeblich) so zahlreichen Plünderungen steckt. Die marodierende Horde von Demostranten, welche das ägyptische Museum in Kairo geplündert haben soll, entpuppt sich jetzt als das eigene Personal. Museumsdirektorin Wafaa el-Saddik hat dies selbst in einem Interview zugegeben. Der Grund für die Plünderungen von Supermärkten liegt auf der Hand. Durch die Einstellung des gesamten Zugverkehrs, und durch die zahlreichen Straßensperren wurden in manchen Gebieten die Lebensmittel knapp. Da diese Aktion zu Recht als pure Schikane empfunden wurde, nahmen manche Leute das Recht in die eigene Hand und beschafften sich die benötigen Ressourcen eben einfach selbst. Natürlich geschahen auch viele Straftaten aus purer Lust an der Zerstörung, aus unbändiger Wut heraus. Ein Hexenkessel kocht nun mal manchmal auch über. Das ist sehr bedauerlich, lässt sich aber nicht vermeiden. Diese Auswüchse werden aber in zahlreichen Medien zu stark in den Mittelpunkt gestellt. Was soll das? Selbst die Springer Presse müsste verstanden haben worum es den Menschen wirklich geht. Es ist eine Revolution der jungen Menschen. Aber auch ganze Familien nehmen teil. Auch gehören verhältnismäßig viele Frauen zu den Demonstranten.
Die Zahl der Toten und Verletzten ist vermutlich viel höher, als die 300 von den Medien berichteten. Zum Beispiel dürfen Ärzte keine Informationen über Schusswunden und die Anzahl der Verletzten etc. an Journalisten weiter geben. Das Regime möchte mit Zugeständnissen die Bevölkerung und die westliche Welt wieder auf die Seite von Mubarak bringen, damit dieser noch bis zur nächsten Wahl weiter regieren kann. Selbst Menschen die dem Regime früher positiv gegenüberstanden, weil es ihnen recht gut ging, zweifeln nun an Mubarak. Das Militär beteiligt sich zumindest noch nicht an einer Entmachtung. Es stellt sich den Demonstranten aber auch nicht in den Weg. Für Mubarak wird die Luft langsam mehr als nur dünn. Rund um den Tahrirplatz wird die Nacht buchstäblich zum Tag. Die Panzer stehen noch da, und auch die Soldaten darum herum sind immer noch die selben. Aber sie lassen die Demonstranten in Ruhe. Einige von ihnen sagen ganz offen das sich gar nichts von Mubarak halten. Manche verurteilen sogar das Vorgehen der Polizei. Es gab auch Polizisten die einfach die Seiten gewechselt haben! Wenn jetzt Journalisten des Springer Verlages Al-Dschasira angreifen und den Kollegen vor Ort Unsachlichkeit vorwerfen entbehrt dies nicht einer gewissen Ironie. Die halten den Journalisten von Al-Dschasira nahezu unverstellte Parteinahme für die Demonstranten vor. Al-Dschasira würde durch markante Bilder mehr an Gefühle appellieren als durch Kommentare und Argumente an den Verstand. Weiterhin wird vorgeworfen Al-Dschasira würde in die Vorgänge eingreifen und so die Nachrichten selbst formen.
Marsch der Millionen
Kritik am eigenen Präsidenten, wäre vor wenigen Wochen noch undenkbar gewesen. Und nun platzt der Der Befreiungs-Platz in Kairo aus allen Nähten. Die Millionen-Grenze in ganz Kairo ist erreicht. Die Botschaft an den verhassten Präsidenten ist unmissverständlich: „Wir werden nicht gehen!“ Auf die Forderungen von Teheran, einen mächtigen islamistischen Staat zu errichten reagieren die Menschen mit Ablehnung. Sie wollen nicht einen Diktator durch einen anderen ersetzen. Die Oppositionsparteien konnten sich auf eine gemeinsame Strategie für einen Neubeginn einigen. Zunächst soll eine neue Verfassung her. Einen politischen Kompromiss mit Mubarak lehnen alle Parteien und Bewegungen strikt ab. Mubaraks Satz, dass er in Ägypten sterben werde, löste auch einige zynische Bemerkungen aus. Viele Leute aus dem eher liberalen Bürgertum fürchten sich allerdings vor den Muslimbrüdern. Sie denken das diese ihr wahres Gesicht erst zeigen würden, wenn sie an der Macht wären.
Update 02.02.2011:
Unglaublich wie schnell die Stimmung umschlagen kann. Al-Dschasira berichtet um 13:30 Uhr, dass Regimeunterstützer auf die zahlreichen Demonstranten losgehen. Bewaffnet mit Messern und Knüppeln, aber auch Schusswaffen wurden angeblich gesichtet. Die Polizei scheint vielfach einfach nicht einzugreifen. Gerüchten zufolge soll sie dies auch nicht. Angeblich befinden sich unter den Regimeunterstützern viele Polizisten. Es gibt einige Verletzte. Die Armee hat die Demonstranten Stunden zuvor aufgefordert, nach Hause zu gehen, um eine „Rückkehr zu Sicherheit und Stabilität“ zu ermöglichen. Bis auf einige wenige Menschen, die sich wirklich mit den Plänen des Staatschefs zufrieden gaben, hat dies niemand befolgt. Anhänger Mubaraks und seiner Nationaldemokratischen Partei NDP drängen nun mit aller Gewalt auf den Platz. Im Kairoer Stadtteil Mohandesien sollen sich ca. 10.000 Pro-Mubarak-Demonstranten befinden. Die Unterstützer des Mubarak-Regimes tragen Plakate mit der Aufschrift „Ja zu Mubarak“. Wie die Armee jetzt reagieren wird ist dagegen völlig offen. Der Iran feiert derweil die Unruhen in den arabischen Ländern als Beginn eines islamischen Zeitalters im Nahen Osten: „Die Proteste in Ägypten und anderen arabischen Ländern sind eine Welle des islamischen Erwachens“, sagte Außenministeriumssprecher Ramin Mehmanparast.
Update 2 02.02.2011:
Es gibt erste Berichte von Toten auf Seite der Anti-Mubarak Fraktion. Aus Häusern heraus wurde auf die Anti-Fraktion geschossen. Krankenwagen haben es schwer die Opfer zu erreichen. Die Polizei tut gar nichts. Die Pro-Mubarak-Demonstranten werden in Bussen zu den Demonstrationen gefahren. Manche tragen sogar kugelsichere Westen. Bewaffnet sind diese mit Macheten und Handfeuerwaffen kleinen Kalibers. Das Militär wollte offenbar nicht auf Volksleute schießen, jetzt scheint es als ließe es Mubarak dies von seinen „Anhängern“ tun, um die Protestbewegung zu unterdrücken und die Zeit bis zur Neuwahl im September dazu zu nutzen, Regimeunterstützer an die wichtigen Stellen des Staates zu bringen. Mubarak ist politisch inzwischen unhaltbar. Jetzt kämpft seine Partei um ihren Einfluss. Damit hat kaum jemand gerechnet. Oder besser: Jeder hat gehofft, dass das Regime endlich zur Vernunft gekommen ist. Die Regierungspartei NDP hat ca. drei Millionen Mitglieder. Genug Potenzial um die Pro-Mubarak Demonstrationen mit gewaltbereiten Rekruten zu versorgen. Ob sich die Protestbewegung gegen die Erstickungsversuche behaupten kann, muss sich in den nächsten Tagen zeigen. Unterstützung könnte die NDP von Mächten bekommen, denen mehr am Status-Quo liegt als an einer positiven Entwicklung hin zu mehr Demokratie und Menschenrechten in Ägypten. Dazu gehören nicht nur arabische Autokraten, sondern auch Israel und dessen Unterstützer. Der Westen sagt zu Mubarak: „Bleib solange du brauchst“ Jetzt fallen Schüsse.