Natürlich war es verlockend: Ein halbwegs liberales Land in der arabischen Welt, ein verlässlicher Vermittler im israelisch-palästinensischen Konflikt, ein echtes Bollwerk gegen Al-Quaida und andere radikal-islamistischen Bewegungen.
Ägypten hat sich als Partner für den Westen geradezu aufgedrängt. So wie Saddam Hussein lange ein attraktiver Partner war. Leider haben jedoch weder die USA noch Deutschland aus dem Irak-Desaster gelernt und sind mit Ägypten wieder mitten in die Falle gerannt.
Denn Ägypten ist alles andere als ein Hort der Freiheit. Präsident Muhammad Husni Mubarak regiert das Land seit dem Erlass der Notstandsgesetze 1982 autoritär – die Wahlen sind nicht frei, Polizei-Willkür und Folter sind an der Tagesordnung, Bereicherung der dem Präsidenten und seiner Partei nahestehenden Eliten an der Tagesordnung, während der Durchschnittsägypter von weniger als 2 Euro am Tag leben muss.
Dem Westen war das wohlbekannt. Dank Wikileaks wissen wir zum Beispiel vom Bericht CAIRO-000079 der Botschafterin Margaret Scobey vom 15. Januar 2009:
Torture and police brutality in Egypt are endemic and widespread. The police use brutal methods mostly against common criminals to extract confessions, but also against demonstrators, certain political prisoners and unfortunate bystanders. […] NGO contacts estimate there are literally hundreds of torture incidents every day in Cairo police stations alone. Egyptians are bombarded with consistent news reports of police brutality, ranging from high profile incidents such as accidental but lethal police shootings in Salamut and Aswan this past fall (refs B and C) that sparked riots, to reports of police officers shooting civilians following disputes over traffic tickets. In November 2008 alone, there were two incidents of off-duty police officers shooting and killing civilians over petty disputes.
Quelle: http://wikileaks.ch/cable/2009/01/09CAIRO79.html
Schon die CDU/FDP-Regierung unter Helmut Kohl hat Diktator Mubarak fleißig mit Waffen und Investitionen versorgt. Insbesondere die FDP pflegte eine intensive Freundschaft zu arabischen Diktatoren, die in der Möllemann-Affäre nur ihren krassesten Ausdruck fand. Auch unter Rot-Grün wurden die Waffenexporte – getrieben vom (Waffen-)Industrie-freundlichen rechten SPD-Flügel – nicht reduziert.
Doch erst unter der großen Koalition und der geschürten Angst vor Islamisten stieg Ägypten zum Waffenempfänger Nummer 1 auf.
2009 war Ägyptens Diktatur größtes Empfängerland für legale Waffenexporte aus Deutschland: Es erhielt deutsche Waffen im Gesamtwert von 77,5 Mio. €. Auch die Diktatur in Tunesien kam übrigens in den Genuss von Sammelausfuhrgenehmigungen mit einer mehrjährigen Geltungsdauer.
Quelle: Telepolis vom 21.12.2010
Daran hat sich auch nach der Bundestagswahl unter Schwarz-Gelb nichts geändert. Noch heute preist das Auswärtige Amt (FDP) die Wirtschaftsbeziehungen zur ägyptischen Diktatur:
Ägypten ist für Deutschland der drittwichtigste Handelspartner im arabischen Raum. Der Warenaustausch lag 2009 bei ca. 3,5 Mrd. Euro. Im 1. Halbjahr 2010 hat der Export von Deutschland nach Ägypten auf ca. 1,55 Mrd. EUR zugenommen und hat damit den durch die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise verursachten Einbruch der letzten Jahre nahezu wieder ausgeglichen. […] Die deutschen Direktinvestitionen unterlagen in den vergangenen Jahren starken Schwankungen und lagen 2009 bei rund 260 Mio. EUR.
Quelle: Auswärtiges Amt
Auch sonst werden enge Kontakte gepflegt:
Bundeskanzlerin Merkel war im Januar 2009, Bundesaußenminister Westerwelle war 2009 und 2010 mehrfach zu bilateralen Besuchen in Ägypten. Der ägyptische Staatspräsident Mubarak war im März und September 2010 in Deutschland. Beim Besuch von Außenminister Abul-Gheit in Berlin im Dezember 2008 wurde ein bilateraler Lenkungsausschuss vereinbart.
Quelle: Auswärtiges Amt
Dieses steht im krassen Gegensatz zur Realität der ägyptischen Bürger. In Ägypten gibt das herrschende Ausnahmerecht Polizei und Justiz nahezu unbeschränkte Macht. Jeder kann ohne Grund verhaftet, beliebig lang festgehalten und misshandelt werden. Menschenrechtler schätzen, dass bis zu 14.000 Bürger ohne Anklage in den Gefängnissen sitzen. Nach Angaben des ägyptischen Nationalrats für Menschenrechte wurden 2009 allein 1.124 Anzeigen wegen Folter gegen Polizisten erstattet – die Dunkelziffer liegt weitaus höher.
Quelle: FR, 5.7.2010
Als der ägyptische Diktator Husni Mubarak sich im September 2005 nach den Methoden der SED-Wahlbetrügereien wählen und im Vorfeld Demonstrationen niederknüppeln ließ (etliche Tote waren die Folge), konnte die CDU hier nichts Undemokratisches ausmachen. Auch als der bekannteste Oppositionskandidat Eiman nur wegen der offensichtlichen Wahlfälschungen forderte, die Wahl müsse wiederholt werden, konnte Frau Merkel dieser Forderung nichts abgewinnen.
Quelle: kladeradatsch.de
Auch die brutale Ermordung des Bloggers Khaled Mohammed Said im Juni 2010, die international durch die Presse ging, war kein Grund für die CDU/FDP-Bundesregierung, ihre Politik zu überdenken.
Seit Anfang der Proteste der Bevölkerung 2011 sind nun wieder mindestens 100 Menschen von der ägyptischen Polizei getötet und mehr als 2.000 verletzt worden. Allein 2009 wurden – unter anderem – 884 Maschinenpistolen aus Deutschland nach Ägypten geliefert. Wieviele davon hier zum Einsatz kamen, wird nie zu klären sein.
Doch wenn der Aufstand in Ägypten blutig niedergeschlagen werden sollte, dann ist schon jetzt klar: Viele der Opfer werden mit Waffen getötet werden, die in deutschen Fabriken hergestellt wurden und mit Segen der Bundesregierung exportiert wurden.
Eine blutige Unterdrückung der Proteste in Ägypten würde übrigens noch einen anderen schlimmen Nebeneffekt haben: Sie wird den radikalen Islamisten massiv neue Unterstützer zuführen. Und diese werden nicht vergessen, woher ihr Unterdrücker seine Waffen und Millionen bekommen hat. Damit hätte die Bundesregierung das krasse Gegenteil dessen erreicht, was ihr eigentliches Ziel war.
Wenn wir also in Deutschland etwas für die Demokratie- und Freiheitsbewegungen in der Welt tun wollen, dann sollten wir damit beginnen, den Export von Waffen massiv einzuschränken und die Unterstützung für Diktatoren einzustellen – auch wenn sie uns gerade politisch nützlich erscheinen.
Und wenn Politiker von CDU, CSU, FDP, SPD jetzt ihre Liebe zur ägyptischen Freiheitsbewegung entdecken, dann sollten wir sie fragen, wen sie in den letzten 30 Jahren unterstützt haben.