Zweifellos steht im überwiegenden Teil der deutschen Wohnzimmer ein Fernseher. Man muss jedoch nicht lange suchen um Haushalte zu finden, in denen der Fernseher nicht mehr benutzt wird oder ganz entsorgt wurde. Wir veröffentlichen Originalstimmen eines jungen Ehepaares aus Ludwigsburg, einer Krankenschwester und eines Studenten in München, einer Familie aus Kleve sowie Ein- und Ansichten von Manèle und mir selbst. Im Mittelpunkt steht stets, was Leben ohne Fernseher konkret ausmacht.
Ein Ingenieurehepaar in Ludwigsburg
Die jungen Eltern sitzen auf der großen Terrasse des Eigenheimes im Neubauviertel. Vom Rauch des Grills fühlt sich kein Nachbar belästigt, da zwischen den Häusern genug Luft ist um alle Gerüche unter die Wahrnehmungsgrenze zu verdünnen. Der Fernseher wurde beim Umzug einfach stehen gelassen. “Wenn wir früher mal um 8 Uhr Nachrichten am Samstag geschaut haben, kam danach immer Volksmusik. Hin und wieder eine Sendung für unsere Eltern ist schon ok, aber nur Quotenfernsehen?”
Auf die Frage nach der Abendbeschäftigung zählt die Ingenieurin auf: Abends macht man Internet und wenn man auch noch Mutter ist auch so schnöde Sachen wie Küche aufräumen, Vorräte anlegen, Vorbereitungen für den nächsten Tag treffen, kochen, essen und so weiter. Unsere Informationen stammen hauptsächlich aus dem Internet und Tages- bzw. Wochenzeitungen. Wobei ich auch viel die online-Seiten der Zeitungen nutze und manchmal eines der Nachrichtentools auf dem iPad ausprobiere”.
Nach kurzem Nachdenken gibt es sogar noch eine Sache, bei der das Angebot des Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunks im Netz dem klassischen Fernsehprogramm überlegen ist: “Bei Wahlen sind die Web-Angebote der öffentlich rechtlichen meiner Meinung nach auch besser, als die normalen Sendeformate, weil jünger”.
Wie sie es mit der GEZ halten? “Wir zahlen GEZ, Radio eben. Die Haushaltsabgabe finde ich eine Frechheit, zumal ja trotzdem weiter diskutiert wird, ob die bisher freien Web-Inhalte bezahlt werden müssen und ja auch längst nicht alles gestreamt wird, bzw. abrufbar ist. Die Vorstellung, vier Mal im Monat für den Musikantenstadl bezahlen zu müssen, finde ich nach wie vor unattraktiv. Spätestens dann sollten die öffentlich rechtlichen endlich aufhören nur auf die Quote zu schielen und die Programme der ganzen Spartensender zu einer normalen Uhrzeit bei ARD und ZDF senden.”
Später fällt noch ein nachdenklicher Satz: “Nein, mir fehlt nichts, zumal das Angebot im Netz riesig ist und man alles, was man ganz dringend sehen möchte auch sehen kann. Wir leben gut ohne Fernseher! Man muss aber auch sagen, dank Computer muss man trotzdem nicht auf alle Fernsehinhalte verzichten, aber man wählt wahrscheinlich gezielter aus”.
Student in München
Er mag keinen Unterschied zwischen einem Leben mit und ohne Fernseher sehen — dieses sei im Wesentlichen ein Unterhaltungsmedium unter vielen. Mit Internetmedien sei man zeitlich, räumlich und auch thematisch ohnehin
wesentlich flexibler als mit klassischen Medien. Ein Großteil der Abende wird in die Piratenpartei investiert. Dann höre ich von den Problemen die viele Studenten quälen: “Ganz ehrlich, zu viel Freizeit ist wohl mein geringstes Problem. Bei so vielen Twitter-Feeds, Blogs und Mailinglisten, wie man in dieser Partei ständig durchforsten muss, bleiben Studium und soziale Kontakte ja beinahe automatisch auf der Strecke, auch ohne dass ich mir jeden Abend die neueste Folge einer Serie anschauen muss.
Klar gehe ich auch ab und zu mal ins Kino oder lade mir ein Filmchen aus der Mediathek, aber im Großen und Ganzen bin ich eher froh über die gewonnene Entlastung, als dass mir der Zeitvertreib fehlen würde. Allgemeine Nachrichten hole ich aus den Podcasts von Tagesschau und BBC World, netzpolitik.org, 1337kultur, scienceblogs.de und neusprech.org bedienen bei mir die Spezialthemen und über die Piraterie halten mich vor allem Klabautercast, Flaschenpost, Mailinglisten, TelKos, Stammtische, etc auf dem Laufenden. Darüber hinaus weist mich
Twitter ständig auf aktuelle Ereignisse von Relevanz hin.” Gebühren auf Computer mit denen die Tagesschau gesehen wird sind für ihn OK. Nur der Begriff neuartige Rundfunkgeräte wird mit einer gewissen Befremdung begegnet.
Beim Thema Haushaltsabgabe hört jedes Verständnis schlagartig auf “Die Haushaltsabgabe hat vor allem den Effekt, dass sie die Kosten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks noch stärker als bisher auf die Haushalte umlegt, die ihn nicht oder nur in eingeschränkter Form nutzen. In einer Zeit, in der das Fernsehen als Hauptkostenfaktor vom Leitmedium immer mehr zu einer allzu entbehrlichen Nebensache verkommt, wirkt dieses Modell auf mich nur wie ein Versuch, ein im Sterben befindliches Finanzierungsmodell mit der Brechstange am Leben zu erhalten. Ich denke, hier sollten die Verantwortlichen eher überlegen, wie sie ihre Inhalte und letztlich auch ihr Medium als solches attraktiver gestalten können, anstatt die staatliche Gebührenkeule zu schwingen und alle Haushalte zu Zwangsabgaben zu verpflichten.”
Kleve am Niederrhein
Wir sitzen in der Wohnküche einer großen Jugendstilvilla. Wir, das sind ein junger Anwalt, seine Frau, ihr Kind und ich. Die jungen Eltern kennen sich aus dem Studium. Als Mitglieder des deutsch-holländischen Wirtschaftsverbandes gehören sie zu den Honoratioren der Stadt. Er schaltete den Fernseher 1999 final ab, sie behielt ihr Gerät, bis sie 2005 zusammen zogen.
Offensichtlich ist die Abschaffung des Fernsehers ein derart einschneidendes Ereignis, dass ausnahmslos alle die ich traf noch genau wussten wann und aus welchem Grund dieser Schritt gegangen wurde. Sie erzählt von den Studentenzeiten: “Bei ihm war es gemütlich, wir haben abends zusammen gekocht. Bei mir haben wir zwar auch zusammen gekocht, aber dann wurde die Tageschau angeschaltet und wir blieben vor dem TV hängen. Das fanden wir nicht wirklich schön, gingen wegen des laufenden Fernsehers sogar später ins Bett. Es ist schöner in einem Haus in dem kein Fernseher steht.
Wenn du dich für eine Dokumentation interessierst musst du um 20:15 Uhr die Küche fertig haben und alles muss aufgeräumt sein. Denn du kannst ja nicht erst um 20:30 Uhr einschalten.” Nach dem Umzug änderte sich für die Zwei einiges. Die vielen Zimmer machen Arbeit, in einem derart großen Haus gibt es auch immer etwas zu tun. “Jetzt machen wir alles mögliche. Nichts festes. Vor allem essen wir in Ruhe. Gut, unser Sohn will ins Bett gebracht werden. Wir lesen, werkeln rum, bekommen Besuch, aber wir schauen nicht auf die Uhr. Ich telefoniere fast täglich mit meiner besten Freundin – sie hat auch keinen Fernseher. Uns fehlt nichts.
Wir waren letzten Monat brunchen, es waren 4 Familien dabei. Und drei davon hatten keinen Fernseher. Unsere Kinderfrau vermisst den Fernseher und bezeichnete uns deswegen als selten. Wir haben viele Freunde ohne Fernseher. Sicher nicht die Mehrheit, aber es ist in unserem Umfeld nicht ungewöhnlich keinen Fernseher zu besitzen. Freunde von uns haben 4 Kinder und schafften den TV vor 4 Jahren ab. Auch wenn DSDS und Germany’s Next Topmodel für die Kinder in der Schule ein wichtiges Thema sind. Zuerst protestierten sie, inzwischen finden sie es super!”
Ich will wissen, ob sie Rundfunkgebühren zahlen, denn das Notebook liegt auf dem Beistelltisch. “Wir zahlen auch nach dem Umzug noch für den Fernsehen. Da wurde ich wohl vor Jahren an der Tür falsch beraten. Er sagte, man müsse den vollen Preis zahlen weil ja alles im Internet kommt. Inzwischen weiß ich dass das Unsinn war, aber wegen der 2 Jahre bis zur Haushaltsabgabe mache ich keinen Aufstand mehr. Es gibt ja 3Sat, Phönix und Arte, aber die haben nicht das ganze Programm online. Aber wir schauen eh nur wenn wir Zeit haben, also fast nie!”
Beim Thema Qualitätsfernsehen findet der Anwalt seinen Einstieg ins Gespräch ” Wenn ich von Kollegen höre hast du die Dokumentation gesehen finde ich das manchmal schade. Ich höre im Auto viel Radio. Meistens den DLF, wenn mich das Wetter in NRW interessiert manchmal auch WDR5. Bisher las ich den Spiegel online, aber der hat in den letzten 5 Jahen auch nachgelassen. Das Blatt wurde viel reißerischer, weniger Information, mal ganz ehrlich: es sind die gleichen Überschriften wie in der Bunten. Die lese ich beim Frisör. Die sollten sich nicht mehr Nachrichtenmagazin nennen. Aber es gibt Tage, an denen ich gar nicht rein schaue, weil mir die Zeit fehlt. Wie seriöse Medien so absacken können ist traurig! Dass der Konkurrenzdruck steigt, weil die Werbekunden gehen, und das Internet Nachrichten zum Allgemeingut macht wundert mich nicht. Aber muss man als Reaktion darauf das Niveau senken statt zu sagen jetzt erst recht?. Aber ich weiß auch nicht womit ich den Spiegel ersetzen sollte. Früher war es die TAZ. Ein aktuelles vernünftiges Nachrichtenmagazin wüsste ich nicht. Stern und Fokus kannst du nicht dazu zählen.
Schade, dass ich mit der Haushaltsabgabe auf jeden Fall zahlen muss, aber dann sind wenigstens die Drückerkolonnen weg. Die GEZ rannte mir jahrelang die Bude ein. Ich bin ein ausgeglichener Mann, aber in manchen Fällen stand ich kurz davor von meinem Hausrecht Gebrauch machen. Ich würde ihm sogar die Treppe runter helfen. Natürlich, der technische Fortschritt führt weg vom klassischen Fernsehgerät und hin zu anderen Geräten. Vielleicht wären technische Lösungen denkbar, bei denen man sich am Computer erst einloggen muss bevor man schauen kann. Aber mein offizielles Statement ist: was derzeit im TV kommt ist beleidigend für meinen Intellekt.
Schade auch, dass analoge UKW-Sender bald abgeschaltet werden sollen. Wir haben noch ein altes SABA-Radio mit einem magischen Auge hier stehen. Auf der Skala sind alle Stationen von Brüssel bis Wladiwostok. Da hängen natürlich auch Kindheitserinnerungen dran. Ich sehe ja ein, dass die Produktzyklen für die Industrie kürzer werden müssen, aber muss man deswegen Kulturgut vernichten? Das führt doch nur dazu, dass künftig alle 2 oder 3 Jahre ein neues Radios fällig ist, weil sich ständig die Codierung ändert!”
Gesundheits- und Krankenpflegerin (GKP) in München
Das kleine Apartment bietet nur wenig Platz. Wenn sie einen Fernseher wollte müssten einige Bücher weichen. Aber das Programm findet sie schlecht. Deswegen bleiben die Bücher wo sind sind – und der Fernseher beim Händler.
“Ich schaue amerikanische Serien am Computer. Da die US-Stationen ausländische Surfer oft aussperren, richtete mir ein Freund einen VPN-Tunnel in die USA ein.”
Mein Blick schweift über das raumeinnehmende Bücherregal und prompt kommt die Erklärung: “Im meiner Freizeit lese ich englische Fachbücher und Romane. Abends bin ich oft unterwegs und treffe Freunde. Ich treibe Sport. Gehe schwimmen und laufen. Und Rad fahren. Und in die Berge. Nein, ich trainiere nicht für den Iron Man! Bin aber auch oft im Internet unterwegs. Vor allem Nachrichtenseiten aus Australien, Irland, den USA und Kanada interessieren mich. Ich kam ein bisschen rum, in einigen dieser Länder wohnte ich lange. Ich habe viele Freunde dort. Deswegen interessiert mich was dort los ist. Dank der Webseiten der New York Times, der LA Times und salon.com, einem Livestyle-Magazin, fühle ich mich gut informiert. Bei den deutschen Seiten ist es meistens der Spiegel oder die Süddeutsche. GEZ ist ja ok, ich höre ja auch Radio. Manchmal, aber eher selten, schaue ich auch eine deutsche Fernsehsendung am Computer. Aber ob die paar Stunden gleich 17.- € im Monat wert sind bezweilfe ich. Bin ja kein Power-Glotzer, warum soll ich so viel Geld zahlen?
Mir fehlt nichts, aber manche Unterhaltungen gehen einfach an mir vorbei. In der Klinik wird oft über das Programm von Vorabend gesprochen. Da stehe ich draußen. Dann heißt es immer ‘wie, die hast keinen Fernseher?’. Aber da merkt man auch wie viel Zeit andere Menschen mit unnützen Sendungen verbringen. Wie Germany Next Topmodel oder irgendwelchen Dschungelcamps. Ich verbringe meine Zeit anders als Menschen mit Fernsehen. Aber nicht besser. Denn ich vergeude meine Zeit ja auch irgendwie mit Surfen im Internet. Denn wenn es nur um Information ginge könnte ich in 15 Minuten mit allem durch sein. “Beim Abschied fällt dann doch ein Punkt, den viele Menschen ohne Fernseher als großen Pluspunkt erwähnen: “Ich höre so oft, dass jemand sagt ‘ich war so müde’, schaut aber den Film noch zu Ende. Wenn ich müde bin mache ich einfach das Buch zu und gehe schlafen. Denn das Buch ist morgen ja auch noch da. Der Film eben nicht! Als ich noch einen TV hatte war der immer an. Ohne muss ich mich mit mir selbst beschäftigen – mir scheint das sinnvoller zu sein!”
Das Ehepaar Renner und Roser
Wer bis hierher las wird nicht überrascht sein, dass auch hier kein Fernseher steht. Das Fernsehprogramm spielt im Leben von Manèle und mir schon lange keine Rolle mehr. Schon in jungen Jahren in Hannover saß ich lieber vor dem Computer als vor dem Fernseher. Mich interessierten Netzwerke und ihrer Sicherheit, Möglichkeiten Daten zu übertragen und all die Techniken, die erst viel später massentauglich wurden. Um Missverständnissen vorzubeugen: ich war kein Geek, der Computer war nicht mein Lebensinhalt. Es war ein Interessengebiet unter vielen an den Abenden, die ich Zuhause verbrachte. Später in Tübingen verschenkte ich mal den WG-Fernseher. Das hat 1/2 Jahr lang keiner gemerkt!
Als Manèle und ich beschlossen zusammen zu ziehen, hatte ich eine einzige Forderung: ihr Fernseher musste weg! Das Leben ohne Fernseher bedeutet für uns heute Freiheit! Die Freiheit ins Bett zu gehen wann wir wollen – nicht erst wenn der Film fertig ist. Die Freiheit aus zu gehen wann immer uns danach ist. Wir laden Freunde oft zu uns ein. Eigentlich vergeht kein Wochenende, an dem wir nicht Gäste zum Essen bei uns haben. Wir können nach dem Essen noch am Tisch sitzen und plaudern, denn für uns gibt es keine Sendung die uns pünktlich vor den Fernseher ruft.
Gut, ohne Fernseher weiß ich nicht wer gerade dafür berühmt ist berühmt zu sein. Aber die wichtigen Informationen aus Politik und Gesellschaft holen wir uns aus den Nachrichten des DLF. Und aus den vielen Zeitungen, die Seiten im Netz haben. Zusätzlich haben wir viele Zeitschriften abonniert. Computermagazine, eine Wochenzeitung, eine Sonntagszeitung und mehrere monatlich erscheinende Kochzeitungen. Meine Musik kommt von byte.fm. Deren Musiksendungen sind wie sie sein sollten: abwechslungsreich, informativ. Was sie spielen gefällt mir meistens. Die Moderatoren nennen sich DJ, und keiner ist krampfhaft lustig. Da kommen die UKW-Sender mit ihrer Heavy Hit Rotation nicht gegen an.
Auf die Haushaltsabgabe sind wir beide schlecht zu sprechen. Wir werden künftig für etwas zahlen, das wir nicht nutzen. Das sind rund 150.- € im Jahr, die an einer anderen Stelle nicht ausgegeben werden. Die Vorstellung, dass meine Fernsehgebühren an korrupte Funktionäre oder gedopte Sportler gehen werden, dass dafür Stars und Sternchen zu einem kurzen Auftritt oder einem Interview eingeflogen werden macht mich richtig wütend! Ganz klar: wer das Angebot von ARD und ZDF nutzt soll auch zahlen.
Die Haushaltsabgabe nimmt mir aber die Möglichkeit, über das Programm mit den Füßen abzustimmen. Mir wäre eine Lösung wie Pay per View lieber. Man zahlt für die Sendungen die man schaut einen kleinen Betrag. Vielleicht nur bis zu einer monatlichen Obergrenze der derzeitigen Fernsehgebühr. Technisch wäre es bestimmt kein Problem die Mediatheken mit einem Benutzernamen und einem Passwort zu versehen. Politisch ist das sicher nicht gewollt.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.