„Ich denke, wir haben es mit der größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte zu tun“. Zu dieser Einschätzung kommt Christopher Busby vom ECRR (Europäisches Komitee für Strahlenrisiken), der die Langzeitschäden des Gaus in Fukushima untersucht.
Dennoch ist die Katastrophe in Japan relativ schnell aus den Topschlagzeilen verschwunden. Dies hat einerseits damit zu tun, dass sich Angst nur auf bestimmte Zeit vermarkten lässt, andererseits betreiben Tepco und die japanischen Regierungsbehörden das Kleinreden bis zur Perfektion. Busby bringt es auf den Punkt:„Die japanische Regierung verhält sich auf kriminelle Weise unverantwortlich“.
Zwar haben sich die Sorgen mittlerweile von den akuten technischen Problemen um die Stabilisierung der Reaktoren und Abkühlbecken hin zu den Auswirkungen für Land und Leute verlagert, dennoch werden die Aufräumarbeiten im AKW unter unvorstellbaren Bedingungen vorangetrieben. Am 16. Dezember 2011 gab Japans Premierminister Yoshihiko Noda eilig – und so noch vor Jahresende – die Kaltabschaltung des AKWs Fukushima Daiichi bekannt. Er tat dies, obwohl bis heute keinerlei Kriterien für den so genannten “cold shutdown” erfüllt sind und tagtäglich rund 3500 Arbeiter teilweise in unmittelbarer Nähe der havarierten Reaktoren ihren Dienst tun.
Das Chaos auf dem hermetisch abgeriegelten Gelände, aus dem aufgrund massiver Drohungen und Knebelarbeitsverträgen mit Schweigeklausel kaum Informationen nach außen dringen, ist nach wie vor unvorstellbar gross. Erst Mitte Dezember liefen 45 Tonnen hochradioaktiv verseuchtes Wasser durch Risse in einem Betondamm ins Meer. Das derzeit größte Problem stellen die rund 165.000 Kubikmeter kontaminiertes Abwasser dar, für deren Entsorgung man laut Tepco-Sprecher Matsumoto „noch keine wirklich praktikable Idee“ hat.
Immer wieder werden an Hotspots bis zu 10 Sievert/Std. gemessen ( 7-8 Sievert gelten als unmittelbar tödlich). Den Arbeitern vor Ort werden diese Informationen gezielt vorenthalten, bestenfalls erfahren sie Tage später aus den Nachrichten davon.
In der Region gibt es kaum noch Arbeit, so bleibt vielen Familienvätern nur der Job bei Tepco und deren Subunternehmern. Bis zu 200 Dollar am Tag werden den Arbeitern für die „dreckigsten“ Jobs bezahlt – die Unternehmen kassieren das Zigfache. Es ist ein offenes Geheimnis in Japan, dass das Aufräumgeschäft mittlerweile fest in der Hand der japanischen Mafia ist. Auch diese Katastrophe ist längst zu einem erträglichen Business geworden, einem Geschäft das durchaus Zukunft hat, denn bis zur endgültigen Stilllegung werden noch mindestens 40 Jahre vergehen.
Außerhalb der geräumte Zone geht das Leben weiter. In den 61 Gemeinden der 14 000 Quadratkilometer großen Präfektur Fukushima lebten vor dem 11. März 2011 über 2 Millionen Menschen. Nur geschätzte 5% haben ihre Heimat verlassen. Dies ist ziemlich genau der Bevölkerungsanteil, der ehemals in der jetzigen 20-Kilometer-Sperrzone um das AKW lebte.
Die Strahlenbelastung in der Region ist immens. Im Januar 2012 zeigten private Messungen in der 60 Kilometer entfernten Stadt Date Werte, die den Grenzwert für deutsche AKW-Mitarbeiter um das 35 fache übersteigen. Eine Untersuchung von Shiitakepilzen ergab 7000 Becarell pro Kilo. „Das ist Atommüll, aber kein Lebensmittel“ bilanziert Studienleiter Watura Iwata vom privaten MA-Testlabor in Date.
Kinder sind für Strahlung besonders anfällig. Um ihnen einigermaßen Schutz zu bieten sorgen Eltern dafür, dass sich die Kleinen niemals draußen aufhalten. Keiko Mashikos, deren Tochter die Sonne nur vom Blick aus dem Fenster kennt, ist verzweifelt: „Manchmal wünsche ich, ich hätte meine Tochter nie bekommen, sie wird um ihre Zukunft gebracht“. Längst wollte sie weg, doch dann würde die Familie zerbrechen, da ihr Mann seine Arbeitsstelle nicht aufgeben möchte. Seine Existenzängste sind nachvollziehbar. Die Regierung beschloss im letzten Jahr, dass mit dem Verlassen des Wohnortes alle Ansprüche auf Entschädigung erlischen. Wer wegzieht, steht mit leeren Händen vor dem Nichts.
Eine gerade veröffentlichte unabhängige Studie zeigt, dass bei 45% von 1080 untersuchten Kleinkindern eine hohe Dosis an Nukliden in der Schilddrüse nachweisbar ist. Die zu erwartenden Hauptkrankheitsbilder werden Leukämie, Schilddrüsen- und Lungenkrebs sein. Verschiedene Schätzungen sind sich im Ergebnis einig: innerhalb der nächsten 20 Jahren werden 200.000 Menschen an diesen Folgeschäden sterben.
Für Familien mit bereits älteren Kindern ist auch die psychologische Belastung ein riesen Problem. Seit 12 Monaten können die Kinder zum Austoben nicht raus. Im 35 Kilometer entfernten Tamura wurden vor ein paar Wochen auf Kinderspielplätzen 1,6 Mikrosievert gemessen. In deutschen Großstädten liegt der Wert bei 0,08 Mikrosievert
Es ist nicht absehbar was die Zukunft bringt. Irgendwie machen die Menschen in Fukushima einfach nur weiter – leben mit den Einschränkungen der Gegenwart und der Angst vor dem, was kommt. Die Katastrophe vom 11. März 2011 macht deutlich, dass es nicht alleine darum geht, das Restrisiko einer möglichen Katastrophe zu bewerten, sondern vielmehr noch um unsere Machtlosigkeit im Umgang mit möglichen Unfällen selbst.
Da die Atomenergiegleichung alleine durch logische Betrachtung zu dem Ergebnis führt, bedarf es noch nicht einmal einen grünen Gedanken, um diese Technik abzulehnen.