oder: Deshalb könnte Solbach sich selbst umgerissen haben
Bisweilen hat der Cicero etwas BILDhaftes. Und das bei weitem nicht nur bezogen darauf, was er den Piraten so alles aufs Fähnchen pinselt. Natürlich ist jedem klar, wer hinter Cicero steht. Dennoch verwundert ab und an diese dramatische Anspruchslosigkeit an sich selbst. Das beste Beispiel für den Blindewutjournalismus, den selbst der Spiegel in den heißen Franz-Josef-Jahren noch besser im Griff hatte, ist der Jasmin Maurer-Artikel von Solbach, den der Cicero letzte Woche publizierte. „Verhängnisvolle Spuren im Netz“ sucht Solbach wohl noch immer, denn so wirklich gefunden hat er nichts über Saarlands Landesvorsitzende Jasmin Maurer. Publiziert hat er dennoch. War auch nötig, schließlich musste er was bringen, zu den Piraten, zum Wahlerfolg im Saarland. Und was eignet sich besser, als ein handfester Skandal – selbst recherchiert und aktuell publiziert.
Ich will versuchen nachzuvollziehen, was schreibende Kollegen an so sonnigen Frühlingstagen antreibt, wenn der Redaktionsauftrag zum Zwang wird. Sicher, du willst raus, dir die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, am Leben teilnehmen und nicht bei kaltweißem Neonlicht im Leben einer 23 jährigen rummachen, die noch vor zwei Wochen kaum einer kannte. Ich meine: Hey, du hast es geschafft, du bist Cicero, die Sonne scheint und die Sonnenbrille war teuer.
Und – du hast schon eine Spur. Eine Spur, die schnell zum Sonnenstrahl auf die andere Seite des Raumes führen könnte: Erotikromane! Scheiß auf die Pornocockies im eigenen Cache, schließlich geht’s nicht um dich, sondern um eine 23jährige, die Politik machen darf. Wenn ich „Vorliebe“ und „Erotikromane“ zum Kontext paare, bin ich mitten drin. Je mehr du an eine Story zu glauben beginnst, umso leichter fällt es dir. Der Punkt, an dem du deine fertige Geschichte bereits glaubst, eh du auch nur einen vollständigen Namen recherchiert hast, ist schneller erreicht als man gemeinhin denkt. Mit dieser, gegenüber dir selbst betriebenen Augenwischerei läufst du scharf geradeaus. Fragen Sie einen Ackergaul, der seinen Stall schon riecht. Auch der schaut selbst scheuklappenlos nur noch in eine Richtung. Merken Sie sich das Bild: Sie werden es noch brauchen!
Apropos Pferde. Jasmin Maurer debattierte im Netz über Pferdezucht. Wahnsinn eigentlich – gerade inhaltlich! Sei’s drum. Irgendwie fehlt dir noch immer der Storyhammer, der Recherchelohn – und du weißt genau, dass es ihn gibt. So findest du den Weg zu Spin, einer Chatplattform. Weil diese Chatplattform schon uralt ist, Skandale ja meist auch uralt sind und weil das Netz ja nichts vergisst, wirst du in Spin etwas finden. Das ist so sicher, wie die Piraten unsicher sind, weil du ja Cicero bist.
Hättest du dich exakt an dieser Stelle noch mal auf Anfang gestellt, hätte das deinen Verfall in die Sucht des Findens stoppen können, dann wäre vermutlich Satansbraut89 einer unter vielen Nicknamen im weltweiten Web geblieben. Aber – Sie erinnern sich an das Bild vom Ackergaul der seinen Stall riecht – dazu war dein Erfolg schon zu weit geschrieben.
Hier beginnt das eigentliche Drama journalistischen Selbstbetrugs. Einer im Übrigen, der, so ganz nebenbei, eine 23 jährige Politanfängerin schuldlos an die Wand bügelt. Du triffst den wahrhaftigen Satan des Details. Und seine Satansbraut wird zu deiner. Zumindest zu deinem Storykern. Erotikromane – sorry, Vorliebe für Erotikromane – laszive Posen – Grabsteine – Antipole aus Tierliebe und Provokation…all das hämmert in deinem Finderhirn. Urplötzlich ist er da, liegt vor dir wie der Fata der Morganas, der Höhepunkt der Banales zum wahrhaftigen Skandal erhebt: primitiver Chatfirlefanz einer Satansbraut. Mittlerweile genug erblindet, um selbst banalste Logik zu besiegen, bist du dir sicher: das ist mein Maurerfall – die Satansbraut der Saarpiraten!
High durch die Euphorie des Moments, kreierst Du nun farbenfroh den Background der Geschichte. Erhebst Lebensgefährten zu Mitgewählten, Kuschelpiraten zu Satansbrautanhängern und Themen wie Nutztierhaltung, Wahlrecht und Leiharbeit zu Nebensachen. Selbst dein Zeigefinger mahnt nun selbstgefällig den vermeintlich pubertären Internetnutzer: „Viele Jugendliche gehen zu kritiklos mit dieser Kulturtechnik um.“
„Manch ein Cicero geht zu kritiklos mit sich selbst um.“ Zumindest ist das die Botschaft deiner Entschuldigung. Auch das kann nachvollzogen werden. Ist das Delirium aus Skandal und Selbstverliebtheit erstmal überwunden, folgt der Fall ins Tatsächliche stets auf dem Fuße. Doch richtig scheiße daran ist, was bleibt: Verhängnisvolle Spuren im Netz!