Henry Kissinger ist ein Politiker, der von seinen Gegnern mehr gehasst als von den eigenen Anhängern geliebt wird. Der promovierte Politikwissenschaftler begann in den späten 50-er Jahren seine politische Karriere. Zuerst als Berater von Gouverneur Rockefeller, später im Präsidentenstab von Kennedy, Johnson und Nixon. Kissinger galt von Anfang an als strammer Antikommunist. Dennoch war er es, der die Entspannungspolitik mit China und die Rüstungskontrolle mit der UdSSR begründete. 1973 wurde Kissinger Aussenminister der USA. Im selben Jahr bekam er den Friedensnobelpreis für seine Friedensvermittlungen im Krieg gegen das damalige Nordvietnam. Im Jahr 1973 putschte allerdings auch das Militär in Chile gegen die demokratisch gewählte Regierung. Kissinger wird nachgesagt, die Putschisten logistisch, finanziell und materiell unterstützt zu haben. Beim blutigen Putsch in Argentinien stellte er den Militärs amerikanisches Stillhalten in Aussicht. Nach seinem Ausstieg aus der aktiven Politik 1977 blieb Kissinger ein Mann mit öffentlicher Aufmerksamkeit. Er selbst behielt das politische Treiben im Auge. Nun ist er auf die Piratenpartei aufmerksam geworden und suchte das Gespräch mit Bernd Schlömer. Für die Flaschenpost berichtet Bernd von dem Treffen mit dem Mann, der einmal als der mächtigste Mann der Welt galt.
Bernd, du hattest dich mit Henry Kissinger getroffen. Wie kam es dazu?
Bernd: Die stellvertretende Chefredakteurin der WELT hatte mir (und weiteren Piraten) eine E-Mail gesendet. Sie fragte mich in dem Schreiben, ob ich bereit sei, mich mit Henry Kissinger in Berlin zu treffen.
Henry Kissinger suchte das Gespräch mit dem Vorstand der deutschen Piratenpartei? Sind wir in den USA so bekannt?
Bernd: Es sind in den USA mehrere Zeitungsartikel über die Piratenpartei erschienen, darunter mehrfach in den New York Times. Wolfgang Dudda hatte mir berichtet, dass amerikanische Journalisten auf die Nord-Piraten zugekommen waren und entsprechende Interviews gegeben wurden. Ich selber habe mit einem Journalisten der Los Angeles Times gesprochen.
Flaschenpost: Du hattest dieses Treffen via Twitter angekündigt. Es gab im Vorfeld viel Kritik. Hattest du das erwartet?
Bernd: Ja und Nein. Henry Kissinger ist nicht umunstritten. Er hat die Weltpolitik in den vergangenen Jahrzehnten geprägt – sowohl im Guten als auch im Schlechten. Ihm werden beispielsweise schwere Unrechtstaten in verschiedenen Staaten zur Last gelegt, für die er die politische Verantwortung tragen soll. Mir war wichtig, dass die Öffentlichkeit um den Termin weiß.
Flaschenpost: Kannst Du mit ein bis zwei Argumenten belegen, warum das Treffen für die Piraten trotz Kritik wichtig war?
Bernd: Als Vorsitzender habe ich die Aufgabe, die Außendarstellung der Piratenpartei vorzunehmen. Dieses sollte sachlich und unaufgeregt erfolgen und sich an den Grundsätzen des Programms orientieren. Aus der Teilnehmerliste und einer vagen Vorankündigung wusste ich, dass das Thema Urheberrecht eine zentrale Rolle spielen sollte. Andere Parteien waren eingeladen; auch Vertreter aus Wissenschaft und Kultur. Mir schien es wichtig, auch die Position eines unerschrockenen Piraten zu vertreten.
Flaschenpost: Worüber habt ihr denn gesprochen?
Bernd: An dem Gespräch haben Führungskräfte des Axel-Springer-Verlages teilgenommen sowie u.a. folgende Personen:
- Thierry Chervel, Mitbegründer des Perlentauchers, einem deutschen Onlinemagazin für Literatur und Kultur.
- Christian Lindner, MdB (FDP) und zukünftiger Fraktionsvorsitzender in NRW.
- Günter Krings, MdB (CDU).
- Elisabeth Ruge, gilt als eine der einflussreichsten und angesehensten Lektorinnen in Deutschland.
- Constanze Stelzenmüller, Juristin, Politikwissenschaftlerin und Publizistin,
Das Gespräch hat ungefähr 90 Minuten betragen. Als Themenschwerpunkte können
- die politische Lage der USA vor den US-Wahlen
- die Chancen von digitaler Beteiligung
- die Reform des Urheberrechts
benannt werden.
Flaschenpost: Wie wertest du Kissingers Interesse an den Piraten?
Bernd: Er hat konkretes Interesse an der Piratenpartei. Er bezweifelt, dass es gelingen kann, politische Partizipation über digitale Kommunikationsinstrumente zu erreichen. Nach seiner Auffassung müsste zunächst eine solide Position und Struktur definiert werden, ehe eine politische Kraft an der politischen Meinungsbildung teilhaben kann; ein klassischer Top-down-Ansatz. Ich habe auf “Bottom-up” abgestellt.
Flaschenpost: Welchen Eindruck hast du über ihn gewonnen?
Bernd: Es ist kein Problem, ihm zu widersprechen. Er sprach Englisch, die Anwesenden Deutsch. Letztlich konnte ich aber keine überbordene Weisheit in seinen Äußerungen zur (welt-)politischen Lage identifizieren. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass seine Äußerungen denen der lebensalter-gleichen deutschen Politiker gleichen. Letztlich ist er aber geistig rege und neugierig auf Positionen.
Flaschenpost: Gab es Fragen, die du für dich selbst ausgeschlossen hast?
Bernd: Nein, ich hätte und habe jede Frage beantwortet. Fragen an ihn hatte ich nicht.
Flaschenpost: Gibt es Fragen, auf die Herr Kissinger nicht antworten wollte?
Bernd: Nein, Henry Kissinger hat auf jede Frage und jeden Kommentar reagiert. An der am Anfang recht emotional geführten Diskussion ums Urheberrecht hat er sich aber nicht beteiligt und nur den verschiedenen Argumenten gelauscht. Es spielte in dieser Phase des Gesprächs keine Rolle mehr.
Flaschenpost: Hast Du das Thema Bradley Manning mit Herrn Kissinger besprochen? Wie ist seine Einstellung zum Whistleblowerschutz und will er sich dafür und für Bradley einsetzen?
Bernd: Neben den drei schon angesprochenen Haupttehmen haben wir – wenn auch nur kurz – über die Bedeutung von Transparenz gesprochen. Wir redeten über Transparenz und deren Bedeutung. Kissinger findet Transparenz blöd; sagt es auch deutlich. Regierungshandeln könne nicht vollkommen transparent sein; er machte indirekt auf Wikileaks aufmerksam und dessen für ihn nichtakzeptabele Verbreitungspraxis.. Da sind wir nicht einer Meinung – ein Punkt, bei dem er offensichtlich aber nicht zu überzeugen ist.
Vielen Dank für den Bericht.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.