Die Piratenpartei Großbritanniens hatte an diesem Wochenende im Rahmen ihrer jährlichen Konferenz ein volles Programm. Am Samstag gab es eine Sightseeing-Tour durch London und viel Socialising, an dem etwa 15 Piraten teilnahmen. Abends konnte wer wollte einen Gig im Süden Londons besuchen, auf dem bis in den Morgen gefeiert wurde. Dennoch waren die meisten Piraten früh wieder auf den Beinen, um am Sonntag an den inhaltlichen Diskussionen im Rahmen der eigentlichen Konferenz “PirateCon 2012” teilzunehmen.
Als deutsche Piratin war es interessant, dieses Event zu besuchen – tatsächlich scheint es, als könnten nicht nur die britischen Piraten von uns lernen (zum Beispiel in Sachen Programmerweiterung), sondern die deutschen Piraten auch eine Menge von den britischen Kollegen – insbesondere in Sachen Pragmatismus.
Die Organisationsstruktur der rund 600 Mitglieder starken Partei unterscheidet sich deutlich von der der deutschen Schwesterpartei. Das NEC (National Executive Committee) ist verantwortlich für die organisatorische Arbeit. Es wird alle zwei Jahre gewählt (bei Rücktritten gibt es Nachwahlen) und ist durch seine Wahl legitimiert, andere Beauftragungen auszusprechen. Der Vorstand hingegen ist eher ein Aufsichtsrat: Er wird für jeweils fünf Jahre gewählt und überwacht die Administration, ist zuständig für Disziplinarmaßnahmen und vermittelt bei Differenzen innerhalb der Partei.
Der Vorstand gab auf der Konferenz einen Überblick zum aktuellen Status der Partei: Im letzten Jahr waren die UK-Piraten primär damit beschäftigt, ihre Satzung in eine brauchbare Verfassung zu bringen, die zum Funktionieren der Partei notwendig ist. Es gab diverse interne Wahlen und Neubesetzungen innerhalb des NEC, sowie Beauftragungen durch dieses Gremium. Im Mai erreichte Loz Kaye in einer lokalen Wahl in Manchester 5% der Stimmen – was leider im Wahlsystem von Großbritannien nicht für einen Einzug ins Parlament genügt (dafür werden 50% (!) benötigt).
Interne Wahlen folgen einem klaren Prozess und finden online statt
Wahlen für den Vorstand, das NEC und Kandidaten sowie Abstimmungen über Satzung und Programm finden in einem Onlinesystem statt. Dort hat jedes Mitglied einen Login, mit dem es an den jeweils relevanten Abstimmungen teilnehmen kann. Kandidaten können einmalig oder für alle Wahlen in ihrer Region ausgewählt werden. Es gibt verschiedene Bedingungen, die erfüllt werden müssen, um Kandidat zu werden – unter anderem Unterstützung von mindestens zwei Piraten und die Erfüllung der rechtlichen Anforderungen (z. B. der Wohnort im Wahlkreis). Das NEC kann auch Kandidaten bestimmen, wenn es in der jeweiligen Region nicht genug Piraten für eine Abstimmung gibt, was wiederum sicherstellt, dass Kandidaten tatsächlich geeignet sind, die Werte und Politik der Piratenpartei zu vertreten. Alle Kandidaten werden mit Hilfe eines Telefongespräches und Livetreffens ausgewählt. Der Prozess wurde von den verantwortlichen Piraten aus dem NEC (Andy und Phil) entwickelt und kann im Wiki diskutiert und verbessert werden. Insgesamt soll der Prozess helfen, mehr Kandidaten zu finden, die dann mit guter Unterstützung die Partei vertreten können.
Mitglieder der PPUK haben selten einen politischem Hintergrund, sondern sind primär technisch orientierte Menschen, die sich für eine gemeinsame Sache einsetzen wollen. Wofür genau sie sich einsetzen war ein Teil der Diskussionen und Panels auf der Konferenz.
Grundpositionen sind notwendig
In einem kontinuierlichen Prozess sollen die Grundpositionen der UK-Piraten erarbeitet werden: Wofür stehen sie? Was bedeuten diese Positionen für die Wähler in ihrer Lebenswelt? Was können die Kandidaten für die vielen Wahlen den Wählern sagen? Wie können diese Positionen entwickelt werden?
Andy Halsall (NEC Campaigns Manager) hat Vorschläge und Ideen gesammelt und aus 3.000 Einsendungen einen Gesamtvorschlag erarbeitet, der nun diskutiert, angepasst und dann als Grundsatzprogramm abgestimmt werden soll. Diese Grundlage soll dann “evolutionär” weiterentwickelt, geändert und immer wieder angepasst werden. Den Fokus legten die UK-Piraten dabei auf “evidence-based policy”: Die Positionen sollen richtig und belegbar sein. “Wir wissen, dass wir Recht haben. Aber für die Menschen da draußen müssen wir das beweisen, damit sie auch verstehen dass – und warum – wir damit Recht haben”, sagte Andy. Auf Basis der abgestimmten Grundpositionen sollen dann Kampagnen, Infomaterial und ganze Wahlkämpfe aufgebaut werden – natürlich mit Anpassungen für die jeweiligen regionalen Bedürfnisse.
Dabei verfolgen die Piraten genau was sie tun und welchen Einfluss das hat – egal, ob sie Flyer verteilen, lokale Webseiten aufsetzen, Online-Inhalte updaten, Events veranstalten oder Veranstaltungen besuchen. Es wird verzeichnet was geschieht und dann geprüft welchen Erfolg es hatte, um zukünftige Aktionen effektiver zu machen. So wurden nun viele Dinge gefunden, die nicht funktionieren, was die Entscheidungen darüber, was als nächstes versucht wird, vereinfacht.
Noch mangelt es an Manpower, um all die guten Ideen umzusetzen. Insbesondere die IT und die Arbeitsgruppen, die die dann abgestimmten Positionen weiter ausarbeiten sollen brauchen Unterstützung. Auch die Nutzung von Liquid Feedback wird diskutiert, um den Prozess zu unterstützen – aber auch hierfür fehlen die Leute. Derzeit wird die gesamte Infrastruktur (von der Mitgliederverwaltung bis zum Frontend der Homepage) von zwei Personen gestemmt.
Auch Kandidaten sind schwer zu finden
Neben der Unterstützung für Arbeitsgruppen und organisatorische Aufgaben werden auch Kandidaten für Wahlen händeringend gesucht – im starken Gegensatz zu den Piraten in Deutschland, die das umgekehrte Problem haben. Die UK-Piraten haben Schwierigkeiten, genug Kandidaten für all die lokalen Wahlen zu finden, um dort entsprechend teilnehmen zu können.
In einer Diskussion mit den Kandidaten Loz Kaye und Marie (Manchester) sowie Laura und Finlay (Glasgow) wurde unter anderem darüber gesprochen, was Piraten von anderen Kandidaten unterscheidet. Die Labour-Kandidaten zum Beispiel hielten auf verschiedensten Wahlkampfveranstaltungen in vielen Kontexten Wort für Wort die selbe Ansprache. Finlay erzählte von seinen Erfahrungen und seiner Absicht, nicht so zu werden wie “diese Politiker”. “Politics should be for everyone!”, sagte er. Jeder sollte teilhaben können, darum müssen die Kandidaten von den Wählern nicht als “noch ein Politiker”, sondern als Menschen wahrgenommen werden. Insbesondere jenseits von Wahlkämpfen ist es für die UK-Piraten wichtig, stetige Aufmerksamkeit zu generieren. Die politische Arbeit konzentriert sich sehr auf persönlichen Kontakt mit den Bürgern. “The more you talk to people, the more they like you!”, sagte Laura.
Zum Schluss der Konferenz hielt Parteiführer Loz Kaye eine mitreißende Rede darüber, was die UK-Piraten im letzten Jahr erreicht haben, was für Erfolge sie verzeichnen konnten und was sie nun erwartet. Sie haben den Schatten der Schwesterparteien verlassen und können nun selbstbewusst als PPUK auftreten. Der nächste Termin ist die Wahl in Manchester Mitte November, danach wird man sich auf die Europawahl 2014 konzentrieren. Genug Zeit, um das Programm auszubauen, Strukturen zu schaffen und vor allem mehr aktive Mitglieder zu rekrutieren und Kandidaten zu finden. Er schloss mit dem Satz “Let’s get to work” – direkt gefolgt von einem “Can we go to the pub now?”, das prompt umgesetzt wurde, um das Wochenende in konstruktivem Miteinander ausklingen zu lassen.