Ein Gastartikel von Gerd R. Rueger
Nach der erfolgreichen Abwehr von ACTA blüht uns CleanIT: der neueste Anlauf der EU-Bürokratie gegen ein freies Internet. Wenig einfallsreiche Begründung: Cyber-Terrorismus. Dem aggressiven Durchsetzen eines rigiden Staatsgeheimnisses gegen Bürgerrechtsbewegungen wie Wikileaks steht der immer gierigere Griff nach den Daten der Menschen im Netz gegenüber. Das letzte CleanIT-PDF stammte vom Mai 2012 und spielte gleich zu Anfang die Islamistenkarte bei der Beschwörung des Cyber-Terrorismus aus:
“The Internet plays a central role and is of great strategic importance for terrorists and extremist networks… Al Qaida influenced extremists for example, have made increasing use of this medium.” The CleanIT-Project
Anders als INDECT, gegen das Anonymous und andere vor zwei Monaten mobilisierten, ist CleanIT kein Forschungsprojekt, sondern eher eine IT-Sicherheits-PPP (Public Private Partnership): Unter der Ägide von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström sollen Strafverfolgungsbehörden zusammen mit Providern und Filter-Herstellern “freiwillige Verhaltensregeln” entwerfen, um die “terroristische Nutzung” des Internets zu bekämpfen. Jetzt ist eine neue Version des Entwurfs aufgetaucht, die offenbar noch nicht für die Öffentlichkeit gedacht war.
Die European Digital Rights (EDRi), ein Zusammenschluss von 32 europäischen Bürgerrechtsgruppen, hat damit ein vertrauliches CleanIT-Dokument ans Licht gebracht, das die EU-Bestrebungen zum Ausbau der Netzkontrolle beleuchtet. Begonnen hatte CleanIT mit Diskussionen über einen nicht näher spezifizierten “Terrorismus” im Internet – die Medien machten mit und warfen eine Reihe von Panik-Berichten zu diesem Thema auf den Meldungsmarkt. Eifrige Diskussionsteilnehmer waren Unternehmen, die Filtertechnologien vermarkten wollen und ihr Lobbyismus hat sich ausgezahlt: CleanIT präsentiert einen Vorschlag zur Filterung nach dem anderen. Unternehmen, Provider, Behörden und sogar NGOs sollen dafür eingespannt werden, so das Wiener Datenschutzportal unwatched.org. Es gebe Vorstöße zur Haftungserweiterung für den Fall, dass nicht weitgehend genug gefiltert wird und natürlich die Forderung nach mehr Geld für neue Filtertechnologien.
CleanIT will eine umfassende Infrastruktur zur Kontrolle des Netzes schaffen, unerwünschte Inhalte jeder Art könnten erfasst werden. Zunächst sollen Internetprovider künftig für “terroristische Aktivitäten” (was das ist bestimmen die Behörden) auf ihren Websites haften. Provider sollen mal wieder als Hilfs-Sheriff-Online unliebsamen Content löschen oder zumindest sperren – unter Androhung von Sanktionen. Die Polizeibehörden sollen ihnen dafür “automatische Detektionssysteme” installieren, die Websites nach Schlüsselbegriffen durchsuchen, Meldebuttons für “terroristische Inhalte” inklusive.
Dabei geht es scheinbar vor allem um fragwürdige Auftragsbeschaffung für die Online-Sicherheitsindustrie, Motto: “Setzte Filter ein oder hafte für terroristische Angriffe”. Den Internetanbietern wird empfohlen, in ihren AGBs unerwünschte Aktivitäten zu untersagen, wobei geraten wird, die entsprechenden Bestimmungen “sollten nicht sehr detailliert” sein -Willkür und Zensur werden damit ebenso Tür und Tor geöffnet, wie die Angst vor freier Meinungsäußerung geschürt.
Das geleakte Papier steht laut unwatched.org auch im Widerspruch zu jenen Versicherungen, dass das Projekt “nicht auf die Einschränkung von Verhaltensweisen abzielt, die von Gesetzes wegen nicht verboten sind”. Denn wer in seinen AGBs verbiete, was theoretisch gesetzlich verboten sei, betreibe eine Form der Selbstjustiz durch die Privatwirtschaft. Die einzige Möglichkeit für ein Unternehmen, alles auszuschließen was gesetzlich verboten ist, bestehe darin, die Geschäftsbedingungen so zu gestalten, dass sie noch breiter, ungenauer und weniger nachvollziehbar sind als die gesetzlichen Vorschriften.
Das von der EU-Generaldirektion für Inneres finanzierte CleanIT (Terrorismus) befasst sich mit denselben Problemen wie die CEO Coalition, die ebenfalls von der EU finanziert wird. Die 2011 auf EU-Betreiben gegründete CEO “Coalition to make the Internet a better place for kids” umfasst die ganze IT-Industriepalette: unter seinen 30 Mitgliedern finden sich Apple, BSkyB, BT, Dailymotion, Deutsche Telekom, Facebook, France Telecom – Orange, Google, Hyves, KPN, Liberty Global, LG Electronics, Mediaset, Microsoft, Netlog, Nintendo, Nokia, Opera Software, Research In Motion, Samsung, Skyrock, Stardoll, Sulake, Telefonica, TeliaSonera, Telecom Italia, Telenor Group, Tuenti, Vivendi, Vodafone und natürlich der größte europäische Medienkonzern und Polit-Lobbyist Bertelsmann, vertreten durch seine Tochter RTL Group.
Staat und IT-Industrie erweisen sich als traulich vereint im Bemühen, die Netzkultur zu kontrollieren. CEO und CleanIT entwickeln Strategien zu Fragen wie Meldebuttons und die Kennzeichnung von illegalen Materialien zur Schaffung eines “freiwilligen” Systems zur Bekämpfung von möglicherweise illegalen Inhalten. Beide haben sich mit Upload-Filtern beschäftigt, um Netzinhalte zu überwachen.
CleanIT fordert verbindliche Zusagen von den Internetanbietern, dass sie Überwachungs-, Sperr- und Filtermaßnahmen einsetzen (obwohl nur auf Ebene der “Endnutzer” – soll heißen, auf Ebene lokaler Netzwerke). CleanIT will ein Netz von zuverlässigen Netz-Informanten aufbauen und von den Mitgliedsstaaten strengere Rechtsvorschriften einfordern. unwatched.org listet wesentliche CleanIT-Empfehlungen auf:
- Aufhebung aller gesetzlichen Bestimmungen, die der Filterung bzw. Überwachung der Internetanschlüsse von Angestellten in Betrieben entgegenstehen
- Strafverfolgungsbehörden sollen die Möglichkeit erhalten, Inhalte zu entfernen, ohne Verpflichtung, sich an “die arbeitsintensiven und bürokratischen Prozeduren wie Notice&Takedown” halten zu müssen
- “wissentlich” auf “terroristische Inhalte” zu verlinken, soll “ganz genauso” strafbar sein wie “Terrorismus” selbst (wobei sich der Vorschlag nicht auf Inhalte bezieht, die von einem Gericht als illegal eingestuft wurden, sondern ganz allgemein auf unbestimmte “terroristische Inhalte”)
- Schaffung gesetzlicher Grundlagen für einen Zwang zu “Klarnamen”, um eine anonyme Nutzung von Onlinediensten zu unterbinden
- Internet Serviceprovider (ISP) sollen haftbar gemacht werden, wenn sie keine “vernünftigen” Anstrengungen unternehmen, technische Überwachungsmaßnahmen zur Identifizierung einer (unbestimmten) “terroristischen” Nutzung des Internets zu installieren
- Anbieter von Filtersystemen für Endnutzer und deren Kunden sollen zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie “illegale” Aktivitäten nicht melden, die sie über ihre Filter identifiziert haben
- Kunden sollen auch zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie “wissentlich” Inhalte melden, die nicht wirklich illegal sind
- Regierungen sollten die Hilfsbereitschaft von ISPs als Kriterium für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen heranziehen
- Soziale Netzwerke und Plattformen sollen Sperr- und “Warn”systeme einführen – irgendwie soll es nicht erlaubt sein, (unbestimmte) “Internetdienste” für “terroristische Personen” anzubieten und wissentlich Zugang zu illegalen Inhalten zu gewähren, während die Endnutzer gleichzeitig “gewarnt” werden sollen, wenn sie auf illegale Inhalte zugreifen.
- Die Anonymität von Personen, die (möglicherweise) illegale Inhalte melden, soll gewahrt bleiben … allerdings muss ihre IP Adresse gespeichert werden, damit Untersuchungen aufgenommen werden können, wenn die Person verdächtigt wird, absichtlich legale Inhalte zu melden und damit den Meldungen zuverlässiger Informationen schneller nachgegangen werden kann.
- Unternehmen sollen Uploadfilter installieren, um hochgeladene Inhalte zu kontrollieren und sicherzustellen, dass gelöschte Inhalte –oder ähnliche Inhalte– nicht wieder hochgeladen werden
- Zudem sollen Inhalte nicht in allen Fällen gelöscht, sondern “gesperrt” (i.e. durch den Hostingprovider unzugänglich gemacht – und nicht im Sinne des Zugangsproviders “gesperrt”) werden. In anderen Fällen sollen Inhalte wiederum online belassen und nur der Domainname gelöscht werden.
Mit dabei ist also wieder der feuchte Wunschtraum aller totalitären Netz-Überwacher: Eine strikte Klarnamenpflicht in Foren und sozialen Netzwerken soll freie Kommunikation unmöglich machen. Anbieter sollen verpflichtet werden, ihre Nutzer rechtssicher zu identifizieren und sogar kontrollieren, dass Nutzer nur echte Profilfotos von sich hochladen. Die Anonymität des Internets wäre damit verloren. Der bislang noch anonyme Blogger Gedankensindfreier meint dazu auf Humanicum:
“Die EU-Kommissarin Cecilia Malmström steht für die totale Überwachung des Internets. Dabei geht sie mit ihrer Vorstellung eines gereinigten Webs weit über ACTA hinaus; und selbst der Iran mutet dabei vergleichweise als Hüter der Meinungsfreiheit an.”
Wie heißt es doch so schön am Beginn des neuen CleanIT-Entwurfs: “This document is not for publication. The recipient may share this document only with others in their organization on a ‘need to know’-basis.” Transparenz sieht anders aus. Aus solchen Methoden und Ideologien kann keine Netzkultur hervorgehen, wie sie seit vielen Jahrzehnten von Netz-Aktivisten wie dem Chaos Computer Club oder Wikileaks angestrebt wird. Nutzen wir die (relative) Netzfreiheit, solange es sie noch gibt.