Das Bavaria war das erste Stammlokal der Piraten in München. Ein kleines Hinterzimmer, die Pommes waren essbar, die Luft wurde schnell stickig, aber immerhin gab es WLAN und, zumindest bis zum Bundestagswahlkampf, genug Platz für alle. Aus heutiger Sicht waren die Müncher Piraten 2009 eine weitgehend homogene Gruppe. Der Kampf gegen “Zensursula” und die “Stasi 2.0” hielt die Piraten zusammen.
Heute scheint der Schwung nachgelassen zu haben. Es gibt zwar deutlich mehr aktive Piraten als 2009, doch die Begeisterung für Infostände oder die Bereitschaft, Unterstützerunterschriften zu sammeln, könnte größer sein. Vor allem gingen im Lauf der letzten vier Jahre einige Piraten verloren, die 2009 noch die treibenden Kräfte in München waren. Um nach Ursachen zu forschen und Abhilfe zu ersinnen wurden aktive und inaktive Piraten in das alte Stammlokal Bavaria eingeladen.
Der Einladung folgten etwa 25 Piraten und genau vier Freibeuterinnen. Die meisten waren bereits 2009 dabei, einige relativ neue, besonders aktive Piraten waren aber auch gekommen. Darunter viele Ex-Vorstände, einige aktive Vorstände. Der aktuelle Vorstand des KV München war sogar “beschlussfähig”. Anwesend waren auch zwei Piraten mit zweistelliger Mitgliedsnummer – das zählt viel in Bayern. Der kleine Raum war so voll wie zu den Zeiten, als das Bavaria zu klein wurde. Bei einigen war die Wiedersehensfreude groß. Altbekannte Gesichter, die man schon lange nicht mehr gesehen hatte. Die anfänglichen Diskussion drehten sich um die Entstehungsgeschichte der Piratenpartei und darum, dass die Politk 2009 Steilvorlagen lieferte. Ein Pirat erzählt davon, was sich für ihn seit 2009 geändert hat: “Wie denken Leute, die mich kennen darüber, dass ich mich den den Piraten engagiere? Früher trug ich mein Piraten-T-Shirt mit Stolz und lies mich gerne deswegen ansprechen, heute liegt es nur noch im Schrank”. Den meisten Anwesenden sitzt das Thema BGE wie ein Stachel im Fleisch. Es ist nicht so, dass das BGE für die Anwesenden ein “no go”-Thema sei. Jedoch spielt es im Vergleich zu anderen Themen eine untergeordnete Rolle. In der Außenwahrnehmung scheinen die Piraten dagegen zur BGE-Partei geworden zu sein. Die innere Wahrnehmung sagt jedoch: “Die Listenkandidaten für den Bundes- und den bayrischen Landtag sind zum Großteil Kernies”. Viele der Anwesenden vermissen Sozialpositionen abseits vom BGE. Wahrgenommen werden nur die beiden Gruppen BGE und die Liberalen der Partei, die keine Sozialpolitik wollen. “Anders als die SPD früherer Zeiten”, sagt einer der Anwesenden, “weiß man von der Piratenpartei nicht wo sie hier steht.”. Einigkeit besteht darin, dass es OK war, dass BGE-Befürworter in die Piratenpartei eintraten. Denn allen ist bewusst, dass auch sie wegen eines Themas, das ihnen am Herzen lag, zu den Piraten kamen. Kritisiert wird jedoch, dass es nie eine Verbindung zwischen den Gruppen gab, dass die Ablehnung der einen Gruppe so konsequent war wie der Unwille der anderen, auch andere Themen zu akzeptieren.
Jeder der Anwesenden weiß, dass es jetzt darauf ankommt raus zu gehen und Wähler anzusprechen. Das fängt bei den Unterstützerunterschriften an und geht über die Infostände weiter bis zu den den beiden Wahltagen, die alles entscheiden. Doch Wählerstimmen sind nicht alles. Neue Parteien, die ihren Wählern das Blaue vom Himmel versprechen, sind schnell wieder weg vom Fenster. Besser sei es, bei der Wahl nur 2% einzufahren statt für einige Prozentpunkte mehr die Themen und Werte der Piraten zu verraten. “Es wird nicht klappen, mit vier bis sechs “nicht-Kernthemen” jeweils ein Prozent zu sammeln, um dann in Summe 6-7 % zu bekommen. Die Wähler werden die Originale wählen. Als Kernkompetenz überzeugen wir bei Sozial/Wirtschaftspolitik nicht”.
Neben Ursachenforschung gab es auch ganz konkrete Tipps: “Gute Erfahrung habe ich gemacht an Infoständen von Konsequenzen zu sprechen, nicht von Konzepten. Wenn Amazon pleite geht, sind alle E-Books weg. Wenn Apple pleite geht, die Musik.”
Was keiner sagt, was aber alle wissen: Wenn die Piraten nicht in den Bundestag kommen, wenn CDU und CSU, die FDP, die SPD und auch die Grünen sehen, dass sich mit Bürger- und Freiheitsrechten keine 5% der Wähler motivieren lassen, wird man in Berlin von Gesetzen träumen, gegen die Websperren und die Vorratsdatenspeicherung harmlos wirken. Dazu passt, was @validom sagt: “Wahlkampf-Modus heißt einen Bereich seines Hirnes zu deaktivieren: Die Selbstzweifel”.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.