Die Flaschenpost interviewt alle Spitzenkandidaten der einzelnen Bundesländer für die Bundestagswahl 2013. Wir fragen genauer nach, was ihre Ziele für Deutschland sind und wie man sie im Wahlkampf unterstützen kann.
Heute: Jens-Wolfhard Schicke-Uffmann
Name | Jens-Wolfhard Schicke-Uffmann |
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Nick | Drahflow |
Alter | 25 |
Wohnhaft in | Braunschweig |
Beruf | Programmierer / Wissenschaftlicher Mitarbeiter / Kommunalpolitiker |
Spitzenkandidat in | Niedersachsen |
Direktkandidat für Wahlkreis | 50 Braunschweig |
drahflow@gmx.de |
Flaschenpost: Warum bist Du der Piratenpartei beigetreten? Was macht für Dich die (Politik der) Piratenpartei aus?
Jens: Ich bin der Piratenpartei beigetreten als klar wurde, dass die großen Proteste gegen die Vorratsdatenspeicherung keinen erkennbaren Effekt in der Bundespolitik hatten. Da habe ich eingesehen, dass im Zweifel sinnvolle Netzpolitik nur durchsetzbar wird, wenn die anderen Parteien hinreichend Angst vor einer politisch erfolgreichen Netzbewegung bekommen.
Die Politik der Piratenpartei ist für mich vor allem gekennzeichnet durch transparente und nachvollziehbare Entscheidungsprozesse, die möglichst viele Bürger frühzeitig einbeziehen. Indem wir den Bürgern auch zwischen den Wahlen möglichst viele formal bindende Entscheidungsmöglichkeiten schaffen, zwingen wir die Politiker und im Zweifel natürlich damit auch uns, jede Entscheidung so gut zu begründen, dass die Mehrheit mit der Entscheidung einverstanden ist.
Flaschenpost: Was hat Dich motiviert, für den Bundestag zu kandidieren? Was war Dein erster Gedanke, als Du das Listenwahlergebnis gesehen hast?
Jens: Mich hat vor allem motiviert, dass viele Themen, die ich persönlich gerne angehen möchte, auf Bundesebene entschieden werden, wie z. B. OpenData, OpenAccess und die Reform des Urheberrechts. Außerdem glaube ich, dass im Bundestag, genau wie im Stadtrat, die Parlamentarier wieder mehr dazu angetrieben werden müssen, ihre legislative Aufgabe auch wirklich wahrzunehmen und nicht einfach nur darüber abzustimmen, was die Exekutive und deren Experten vorschlagen. Ein paar Piraten, die das – unter heftiger Verwendung von Computermagie – vormachen können, wären da sicherlich eine gute Sache.
Mein erster Gedanke, als klar war, dass ich gewählt wurde: „Uff. Eventuell noch viel mehr Verantwortung.“ Ich erinnerte mich sehr lebhaft an das Gefühl 2011, als ich als frisch gewählter Ratsherr zum ersten Mal aus dem Haus trat und einem Riesenhaufen Selbstverständlichkeiten begegnete, für die ich jetzt mitverantwortlich war: Gehweg ist benutzbar, Ampel funktioniert, Busse fahren, Stromleitungen sind in Ordnung, Trinkwasser ist sauber und so weiter.
Flaschenpost: Wie möchtest Du unsere Politik und unser Programm den Wählern näher bringen?
Jens: Nach ein bisschen Überlegen zu Reichweitenfragen bin ich momentan der Meinung, dass es neben dem Pflichtprogramm wie Infoständen und Podiumsdiskussionen vor allem sinnvoll wäre, Themenvideos für Youtube zu machen, in der Hoffnung dass sie dort ernstzunehmende Verbreitung finden: 10.000 Views sind realistisch machbar (gegeben: ein gutes Video), aber einen Infostand mit 10.000 Besuchern organisiert man auch nicht in wochenlanger Arbeit. Insofern wäre die Arbeitszeit für Videos deutlich effizienter eingesetzt, als für Infostände.
Ich stelle mir vor, dass man zu einzelnen Punkten des Wahlprogramms oder auch sonstigen wichtigen politischen Themen Videos produziert, die irgendwo zwischen unterhaltsam und informativ liegen. Keine ganz platten Wahlkampfvideos, sondern eher so sechs bis sieben Minuten möglichst neutrale, gut illustrierte Faktenlage, und danach die politischen Schlussfolgerungen der Piratenpartei aus diesen Fakten. Durchaus so, dass die Videos auch von bisherigen Nicht-Piraten-Wählern genutzt werden könnten, um sich über ein Thema zu informieren.
Flaschenpost: Was möchtest Du im Wahlkampf machen und wie kann man Dich dabei konkret unterstützen?
Jens: Natürlich zum einen das übliche: Interviews geben, Infostände machen und weiter gute Kommunalpolitik erledigen. Dabei könnte ich vor allem Hilfe gebrauchen beim Formulieren von Pressemitteilungen über das, was wir kommunalpolitisch tun oder lassen. Wir haben zwar Fraktionsmitarbeiter, aber die sind oft genug in der Erarbeitung weiterer Ergebnisse eingespannt und die pressetechnische Verwurstung bleibt häufig auf der Strecke.
Zum anderen der Plan mit den Themenvideos. Text für 10 Minuten kann ich aus Wiki-Seiten der Themen-AGs vermutlich problemlos zusammenbekommen. Wo ich Hilfe gebrauchen könnte, wäre Animation und Videoschnitt.
Flaschenpost: Was ist dein thematischer Schwerpunkt?
Jens: Offiziell OpenData, OpenAccess, Urheberrecht. In Wahrheit aber alles was mit Computern zu tun hat, oder eigentlich mit Computern zu tun haben müsste. Dazu gehört auch das große Feld der Verwaltungseffizienz – oder um realistisch zu bleiben: Die sachte Hinführung zu etwas, das man effizient nennen könnte. Ich habe schon zu viele Scans von Buntstiftzeichnungen auf Geoinformationsausdrucken und Screenshots von PDFs in Worddokumenten im Ratsinfo gesehen, als dass ich da an eine schnelle Lösung glauben könnte.
Daneben würde ich gerne im Bereich Gesetzesformulierungen und -vereinfachungen arbeiten. In den letzten Jahrzehnten sind die Texte der Gesetze immer unverständlicher geworden, was auch damit zusammen hängt, dass sie oft nicht mehr vom Parlament sondern von Ministerien oder deren Zuarbeitern geschrieben werden.
Par. 1 StGB „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“
liest sich auch für den Nichtjuristen klar und verständlich, wohingegen z. B.
Par. 4 AbfVerbrG „(1) Der Notifizierende hat die gemäß Artikel 10 Abs. 1 oder 2, jeweils auch in Verbindung mit Artikel 35 Abs. 1, Artikel 37 Abs. 2 Unterabs. 2, Artikel 37 Abs. 5, Artikel 38 Abs. 1, Artikel 40 Abs. 3, Artikel 42 Abs. 1, Artikel 44 Abs. 1, Artikel 45, Artikel 46 Abs. 1, Artikel 47 oder Artikel 48, der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 festgelegten Auflagen, die ihn betreffen, zu erfüllen und sicherzustellen, dass der Empfänger und der Betreiber der Anlage die Auflagen, die diese betreffen, erfüllen und dass der Beförderer die Auflagen für den Transport der Abfälle erfüllt.“
oder
Par. 2 EG-ObstGemüseV „Äpfel und Birnen sind unter Berücksichtigung des Artikels 4 Absatz 3 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 543/2011 der Kommission vom 7. Juni 2011 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates für die Sektoren Obst und Gemüse und Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse (ABl. L 157 vom 15.6.2011, S. 1), unter den dort genannten Bedingungen von der Verpflichtung zur Einhaltung der speziellen Vermarktungsnormen befreit, sofern die Bedingungen der allgemeinen Vermarktungsnorm eingehalten werden.“
eher Schmerzen beim Versuch des sinnerfassenden Lesens verursachen. Ausgehend von letzterem Negativbeispiel behaupte ich außerdem, dass inzwischen viele Gesetze existieren, die niemand wirklich braucht und deren Regelungsinhalt man stattdessen einfach verständlich mit vielen anderen Dingen hätte zusammen fassen sollen.
Und dann gibt es noch diese Gesetze, die man entweder als Altpapier entsorgen oder für das aktuelle Jahrtausend komplett neu schreiben sollte, z.B. das RHBG (Gesetz über die Haftung des Reichs (!) für seine Beamten). Ausnahmeregelungen wie
„(3) Personen des Soldatenstandes mit Ausnahme derjenigen des Königlich Bayerischen Kontingents stehen im Sinne dieses Gesetzes den Reichsbeamten gleich.“
sind beim besten Willen nicht mehr zeitgemäß.
Flaschenpost: Wofür möchtest Du Dich im Bundestag einsetzen, welches Ressort / welche Ausschüsse möchtest Du besetzen?
Jens: Ich würde den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie den Haushaltsausschuss bevorzugen. Ersteren vor allem wegen thematischem Interesse, letzteren weil letztlich die Mittelverteilung über sehr viele Dinge entscheidet und ich im Gegensatz zu vielen anderen Politikern keinerlei Probleme mit Zahlenwüsten habe. Außerdem habe ich im Stadtrat gelernt, dass man in einem Haushalt auch mal eine Million finden kann, die wegen Softwarefehlern nicht zugeordnet werden konnte. Wenn der Bundeshaushalt so ähnlich aussieht, wäre es mir eine Freude, mal ein paar Anfragen zu stellen.
Flaschenpost: Wenn Du eine Sache in Deutschlands Politik ändern könntest – was wäre das?
Jens: Bei der Abstimmung über Gesetzesentwürfe würden neben den Bundestagsabgeordneten noch einmal so viele zufällig geloste Bürger aus dem gesamten Bundesgebiet abstimmen. Dann wäre die „Diskussion“ direkt vor der Abstimmung nicht mehr nur Darstellung der verschiedenen politischen Positionen, sondern hätte tatsächlich noch Einfluss auf die Entscheidungsfindung. Außerdem wäre es praktisch unmöglich, Entscheidungen gegen die Mehrheit der Bevölkerung mit knappen Parlamentsmehrheiten durchzudrücken.
Flaschenpost: Danke für das flauschige Gespräch!
In ein bis zwei Wochen erscheint das nächste Interview, dann mit Sebastian Harmel aus Sachsen.