Die Flaschenpost interviewt alle Spitzenkandidaten der einzelnen Bundesländer für die Bundestagswahl 2013. Wir fragen genauer nach, was ihre Ziele für Deutschland sind und wie man sie im Wahlkampf unterstützen kann.
Heute: Sebastian Harmel
Name | Sebastian Harmel |
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Nick | Altstadtpirat |
Alter | 31 |
Wohnhaft in | Dresden |
Beruf | Soldat |
Spitzenkandidat in | Sachsen |
Direktkandidat für Wahlkreis | Dresden I WK 159 |
altstadtpirat@posteo.org |
Flaschenpost: Warum bist Du der Piratenpartei beigetreten? Was macht für Dich die (Politik der) Piratenpartei aus?
Sebastian: Als Soldat wird man sehr direkt mit den Auswirkungen von Politik konfrontiert. Bei meinen Einsätzen im Kosovo und Afghanistan wurde mir klar, dass viele Dinge grundsätzlich falsch laufen. Was tun? Die Vorgesetzten oder gar Einheimischen als Sündenbock nehmen? Alles in sich reinfressen und selbst daran kaputt gehen? Verstand und kritisches Denken ausschalten? Die Soldaten meines Teams haben nicht ohne Grund unsere Fahrzeuge nach Don Quijote und Sancho Panza benannt. Es macht auch keinen Sinn, die hierarchische Bundeswehr von Innen verändern zu wollen, mehr als geringfügige Prozessoptimierungen sind dabei nicht möglich. Die Politik ist für die Ausgestaltung der Exekutive verantwortlich, dort ist anzusetzen. Doch wie kann ich mich daran als einzelner Mensch beteiligen und die Welt hin zum Positiven verändern? Bei diesem Gedanken angekommen, erkennt man als Bürger sehr schnell die eigene vermeintliche Ohnmächtigkeit, wäre ich da nicht an einem Infostand in Dresden angesprochen und zum Stammtisch eingeladen worden. Die Aufforderung „Finde andere Piraten und tue Dinge!“ begeisterte mich sofort.
Flaschenpost: Was macht für Dich die (Politik der) Piratenpartei aus?
Sebastian: Ich möchte da besonders Teilhabe, Offenheit und neue Ideen hervorheben. Parteimitglieder sind nicht entmündigt wie in anderen Partei. Reden dürfen sie da zwar, aber nur sehr begrenzt mitbestimmen. Den Versuch, grundsätzlich Dinge anders anzugehen und sich der direkten Demokratie anzunähern, finde ich inspirierend. Auch wenn die Debattenkultur manchmal zu wünschen übrig lässt, so ist zumindest für mich die Ergebnisoffenheit ausschlaggebend. Nirgendwo sonst haben ich so viele neue Ideen kennengelernt, sei es beim Lesen von Anträgen, Barcamps oder Ideenwerkstätten.
Flaschenpost: Was hat Dich motiviert für den Bundestag zu kandidieren?
Sebastian: Die Kandidatur war einfach eine logische Konsequenz aus meinem Engagement in der Untergruppe Verteidigungspolitik. Es ist ein Bundesthema und das entscheidende Gremium ist der Verteidigungsausschuss. Ich möchte Politik gestalten und nicht nur Anträge für den Papierkorb schreiben. In den über 12 Jahren bei der Bundeswehr konnte ich einen Einblick in den Themenbereich bekommen und kann somit uns als Partei mit dem Wissen unterstützen. Ich mache mir Illusionen. Unsere werteorientierte Politik ist nicht konform mit dem realpolitischen Mainstream. Der Gegenwind wird uns eiskalt ins Gesicht blasen in Berlin und man wird alle Möglichkeiten nutzen unsere Anliegen zu diskreditieren. Nach Afghanistan erschüttert mich so schnell nichts mehr. Der ausschlaggebende Grund für die Kandidatur ist, dass ich mir für unsere Kinder eine friedliche und gewaltfreie Zukunft wünsche. Dafür lohnt sich jeder Einsatz und ich habe den festen Willen das durchzuziehen.
Flaschenpost: Was war Dein erster Gedanke, als Du das Listen-Wahlergebnis gesehen hast?
Ich habe mich sehr gefreut über diesen großen Vertrauensbeweis. Wir haben mit den vierzehn Kandidaten ein großartiges und vielfältiges Team in Sachsen aufstellen können.
Flaschenpost: Wie möchtest Du unsere Politik und unser Programm den Wählern näher bringen?
Sebastian: Wir sind in Dresden gerade dabei verschiedene Möglichkeiten unter dem Motto „Ponyhof“ auszuprobieren. Der direkte Kontakt zu den Menschen steht dabei an vorderster Stelle. Klassische und unorthodoxe Aktionsformen werden sich ergänzen. Beispiele dafür sind Infostände, Flashmobs, Nachttanzdemos, Kiezspaziergänge, Floßfahrten und die Teilnahme an Straßenfesten wie der Bunten Republik Neustadt. Zudem wollen wir eine starke Verbindung zwischen Offline und Online Wahlkampf. Alle Aktionen werden dokumentiert und mehr Nutzern online per Dresdner Piratencast zur Verfügung gestellt. Zudem schwebt uns für die finale Wahlkampfphase ein interaktiver 24h Stream vor. Dort wird jeder Pirat Programm, Ideen oder die Kandidaten sich selbst vorstellen können. Zudem sind Kandidatenportale angedacht, wo für den Wähler die Möglichkeit bestehen wird sich durch Blogeinträge und Informationen einen möglichst barrierefreien Eindruck von den Kandidaten zu verschaffen.
Flaschenpost: Was möchtest Du im Wahlkampf machen und wie kann man Dich dabei konkret unterstützen?
Sebastian: Der Wahlkreis Dresden Altstadt ist in mehrerer Hinsicht sehr spannend. Als Teil einer dynamischen Großstadt unterscheidet er sich von den anderen meist ländlich geprägten Wahlkreisen im Freistaat Sachsen. Ich freue mich auch auf den politischen Austausch mit den konkurrierenden Direktkandidaten, allen voran mit Katja Kipping von der Partei Die LINKE. Das Motto der Dresdner Neustadtpiraten 2013 ist „Machen!“, dem kann ich mich als Altstadtpirat nur anschließen. Wir haben engagierte Wahlkampfkoordinatoren und jeder ist herzlich eingeladen Dinge, zu tun.
Flaschenpost:Wofür möchtest Du Dich im Bundestag einsetzen, welches Ressort / welche Ausschüsse möchtest Du besetzen?
Als Offizier liegt es auf der Hand, dass ich mich engagiert im Verteidigungsausschuss sowie im Auswärtigen Ausschuss einbringen möchte. Die Neuausrichtung der Bundeswehr erfolgt für die falschen Ziele und wird schlecht umgesetzt. Die Armee soll nach dem Willen der Regierung als macht- und wirtschaftspolitisches Instrument der Außenpolitik den Weg für eine deutsche Führungsrolle bereiten. Mittels Neusprech werden Menschenrechte, Verantwortung und Vernetze Sicherheit als Kampfbegriffe missbraucht und zur Rechtfertigung ganz anderer Ziele instrumentalisiert. Alternative Konfliktbearbeitung wird ausgeblendet und am Ende steht die gewollte Illusion der absichtlich herbeigeführten Alternativlosigkeit. Anders lässt sich wohl Krieg in einer post-heroischen, aufgeklärten und humanistischen Gesellschaft nicht mehr propagieren. Orwell hatte leider Recht – Krieg wird uns Bürgern als Frieden präsentiert. Das Schlimme daran ist, wir nehmen es hin. Tote Kinder sind Kollateralschäden und gefallenen Soldaten Randnotizen. Man kann ja eh nichts machen und so geben wir uns brav weiterhin dem Konsumrausch als Ablenkung hin. Für mich ist der Einsatz von Kriegswaffen und damit der absichtlich herbeigeführte Tod und das in Kauf genommene Leid von Menschen kein Mittel der Politik. Der permanente Auslandseinsatz der Bundeswehr widerspricht dem Friedensgebot des Grundgesetzes und meinem Selbstverständnis als Pirat. Ich möchte treffende Anfragen stellen und andere Parteien durch neue Konzepte vor uns hertreiben. Es wird mir eine Freude sein die Verantwortlichen zur Rede zu stellen und die Doppelmoral zu entlarven. So hält Bundesverteidigungsminister Thomas de Maiziere die Frage der Menschenrechte bei Waffenlieferungen an arabische Staaten für nachrangig. Gleichzeitig fordert er aber deutsche Kampfeinsätze ohne UN-Beschluss bei Menschenrechtsverstößen. Als Krönung unterstellt er den von der schlechten Umsetzung seiner Neuausrichtung verunsicherten Soldaten und Zivilisten eine Gier nach
Anerkennung. Es gibt unglaublich viel zu tun, packen wir es an. Die Damen und Herren in ihren elitären Politzirkeln und Lobbyclubs werden sich noch wünschen wir wären politikverdrossen!
Flaschenpost: Was ist dein thematischer Schwerpunkt?
Sebastian: Durch mein Engagement in der Untergruppe Verteidigungspolitik ist mir klar geworden, dass es viele Verbindungen zu anderen Politikfeldern gibt. Entscheidungen in der Außen-, Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik stehen miteinander in Verbindung. Ich versuche mich daher in alle Arbeitsgruppen in diesem Bereich einzubringen. Mein zentrales Ziel ist eine nachhaltige Friedenspolitik. Frieden ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung unserer politischen Ziele. Im Bereich der Verteidigungspolitik suche ich nach neuen Konzepten für eine alternative, effektive und effiziente Verteidigung unserer Gesellschaft.
Flaschenpost: Wenn Du eine Sache in Deutschlands Politik ändern könntest – was wäre das?
Sebastian: Ich träume davon, dass wir einen Paradigmenwechsel zu einer präventiven und nachhaltigen Friedenspolitik durchführen. Das wir eine glaubwürdige, werteorientierte und gewaltlose Politik zum Wohle aller Menschen verfolgen. Das wir die Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit ins Zentrum unser Interaktion mit anderen Gesellschaften stellen, statt Gewalt zu verbreiten. Träumen kann man viel. Ich bin überzeugt, dass wir das Rückgrat und Durchhaltevermögen haben dies auch durchzuziehen und freue mich darauf diese Herausforderung anzugehen.
Flaschenpost: Danke für das flauschige Gespräch!
In ein bis zwei Wochen erscheint das nächste Interview, dann mit Melanie Kalkowski aus Nordrhein-Westfalen.