Ein Gastartikel von Jürgen Stock
„Die Medien sind entweder oberflächlich oder stecken mit den Mächtigen unter einer Decke.“. Ist die Internationale Münchner Friedenskonferenz auf Augenhöhe mit der Münchner Sicherheitskonferenz?
Hans-Christof Graf von Sponeck, einer der Ehrenkuratoren der Internationalen Münchner Friedenskonferenz und ehemaliger UNO-Koordinator des Programms „Oil for Food“ für den Irak, hat den Satz, mit dem dieser Artikel überschrieben ist, fast genau wörtlich in der Podiumsdiskussion „Frieden für Syrien“ am Samstagabend auf der 12. Internationalen Münchner Friedenskonferenz gesagt.
Die Internationale Münchner Friedenskonferenz, organisiert und koordiniert von der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK Bayern) und gefördert vom Kulturreferat der Stadt München, versteht sich als Gegenveranstaltung zur Münchner Sicherheitskonferenz. Das war sie in gewisser Weise auch. Sie tagte öffentlich, dieses Jahr im Literaturhaus am Salvatorplatz und im DGB-Haus, und es gab keine, wirklich absolut keine Sicherheitsvorkehrungen. Sie versteht sich als eine Veranstaltung der Friedensbewegung.
Drei Themen standen auf dem Programm, das im Wesentlichen auf zwei Abendveranstaltungen begrenzt war, nämlich „Friedensbildung im Alpen-Adria-Raum“ und, aktuell, Mali und Syrien.
Alpen-Adria-Raum
Das Thema „Friedensbildung im Alpen-Adria-Raum“ erschloss sich aus mehreren Gründen nicht recht. Als „Alpen-Adria-Raum“ definierte die Referentin Magistra Dr. Bettina Gruber von der Universität Klagenfurt das Gebiet Kärnten – Norditalien – Slowenien. Zum einen ist dort für uns wahrnehmbar kein aktueller Konflikt, kein latenter Krisenherd. Zum anderen musste auch Gruber einräumen, dass die Bevölkerung sich nicht mit dieser Region identifiziert und dass die verschiedenen, auch verschieden-sprachigen Gruppen nicht sehr viel voneinander wissen. Diese Region sei eine „soziale Konstruktion“, so Gruber. Dass eines der größten Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges in diesem Raum lag, war auch mir, dem Autoren dieses Artikels, nicht geläufig, aber dieses Kriegsgeschehen liegt knapp Hundert Jahre zurück. Was immer in den Köpfen und Erinnerungen davon zurückgeblieben sein mag, war später vom Ost-West-Konflikt zugedeckt. Es ist danach nicht mehr virulent geworden, anders als die tiefer im Balkan liegenden Konflikte Ex-Jugoslawiens, die mit dem kurzen Krieg Serbiens gegen Slowenien einen Teil dieser Region direkt betroffen haben, allerdings nur einen kleinen Teil dieser Region und sozusagen nur vom Rande her, ist man zu sagen geneigt. Die Kriegshandlungen in Ex-Jugoslawien waren kein Konflikt innerhalb dieser Region. Es wurde im Vortrag nicht klar, was das Ergebnis von Gruber‘s verschieden Projekten und Forschungen ist. Sie resümierte, es müssten in Zukunft die verschiedenen Aktivitäten zur Friedensbildung gebündelt werden, und das klang dann doch ein wenig zu sehr wie ein Antrag auf weitere finanzielle Forschungsmittel.
Mali
Beeindruckend durch ihre Präsenz war aus Mali die ehemalige Ministerin für Tourismus und Kultur und – wie sie sich selbst bezeichnet – sozio-kulturelle Aktivistin Dr. Aminita Traoré in ihrem auf Französisch gehaltenen (und simultan übersetzen) Vortrag über „Perspektiven für Frieden und Entwicklung in Mali“. Diese blieb sie den Zuhörern zwar schuldig, nicht zuletzt wegen der begrenzten Redezeit. Aber Traoré war authentisch in ihren Aussagen, dass das Ende des Kolonialismus (Mali war bis 1960 unter französischer Herrschaft) nicht das Ende der Abhängigkeit bedeutet hat, sondern die vollständige durch die nicht weniger drückende wirtschaftliche Abhängigkeit („Industrieprodukte gegen Bodenschätze“) ersetzt habe. Sie wolle Mali nicht als ein Opfer darstellen, und Stellvertreterkriege – als solchen beurteilt sie den Bürgerkrieg in Mali wohl nicht zu Unrecht – habe es in Afrika auch während des Kalten Krieges gegeben. Das Eingreifen von Frankreich und Deutschland in Mali wird ja offiziell nicht nur humanitär begründet, sondern man will ganz klar verhindern, dass al-Qaida und die Dschihadisten in Mali eine Operationsbasis aufbauen und sich ein Rückzugsgebiet schaffen. Es gehe um Bodenschätze und um die Rückgewinnung von Einfluss, so Traoré. Frankreich sehe seine Anwesenheit in Mali strategisch, auch wenn es sich anders als Retter darstelle. Afrika sei reich – die Afrikaner aber seien arm. Afrika sei gewissermaßen Opfer seines Reichtums. Traoré ist kein Gegner des Exports von Bodenschätzen, wohl aber Gegner eines Ausverkaufs. Zusammenarbeit sehe anders aus, sagt sie. Und darum müsse es gehen. Durch den Kolonialismus sei Afrika von seiner Geschichte abgeschnitten, und Afrika Demokratie und Wirtschaftswachstum zu verkaufen gehe schon aus diesem Grund nicht einfach so. Mali sei in diesen Feldern durchaus eine Zeit lang ein Musterschüler gewesen. Dennoch sei man ein „Friedhof alter Technologie“. Es fehlten dazu auch heute noch weitgehend Grundlagen wie Sicherheit, allein schon Nahrungsmittelsicherheit, und Bildung, nicht nur aufgrund der Bürgerkriegssituation. Von internationalen Institutionen erzwungene Sparprogramme kenne Afrika schon lange. Und wenn die Europäische Union Mali für die Zeit nach dem Krieg jetzt schon zu Konzepten wie Privatisierung von Unternehmen zwingen wolle, sähe sie, Traoré, sehr wohl, dass dieses Modell selbst in den Reihen der Industrieländer scheitere, auch wenn diese das leugneten. Diese Anspielung auf die Euro-Krise genannten Probleme in der Europäischen Union trifft. Traoré hat kein Konzept dafür, aber sie meint, Mali und Afrika brauchten eine zweite Befreiung. Was sie sagt, ist nicht neu, nicht überraschend. Aber die Eindringlichkeit und klare Einfachheit, mit der sie vorträgt, machte es dem Zuhörer möglich, zumindest ein bisschen mit einer afrikanischen Perspektive auf die heutige Situation dort zu blicken.
Syrien (1)
Prominentestes Thema der Internationalen Münchner Friedenskonferenz war natürlich Syrien. Eingeleitet durch einen Vortrag von Prof. Mohssen Massarrat, Ingenieur, Politikwissenschaftler und Ökonom, emeritiert von den Universität Osnabrück und gebürtiger Iraner, zum Thema „Frieden für den Nahen und Mittleren Osten?“, mit dem Untertitel „ UN-Konferenz über Abschaffung der Massenvernichtungswaffen“ am Freitag und weitergeführt mit einer Podiumsdiskussion über „Frieden für Syrien“ am Samstagabend.
Prof. Massarrat versuchte zunächst die Frage, ob es für die Region des Nahen und Mittleren Ostens eine spezielle Form des Friedens gibt, anhand kurzer Analysen des Syrien-Konfliktes und des Atomstreits mit dem Iran zu beantworten. Die Frage allein mag irritieren. Denn Frieden ist immer zuerst die Abwesenheit eines gewaltsamen, mit militärischen Mitteln ausgetragenen Konflikts. Noch mehr irritieren mag die Analyse. Prof. Massarrat sieht in beiden Fällen eine „unheilige“ Allianz auf der Seite derer am Werk, die gewaltsames Vorgehen befürworten oder fördern, Allianzen angeführt von einem „militärisch-industrielle Komplex“ und den US-amerikanischen Neokonservativen. Nun gibt es nicht einen militärisch-industrielle Komplex, sondern weltweit deren mindestens drei: einen westlichen (1), einen russischen und einen chinesischen. Das ist insofern von Bedeutung, als Russland aktiver Waffenlieferant des Assad-Regimes ist, wohingegen westliche Waffen ja wohl eher an nicht-islamistische Regime-Gegner (2) geliefert werden. Welcher dieser Komplexe schürt den Konflikt also? Massarrat differenziert hier nicht. Verwunderlich ist auch, dass in seiner Analyse des Atomstreits Israel als Player nicht auftritt – obwohl Israels Rolle nicht unterschätzt werden sollte, kann man doch bisweilen den Eindruck gewinnen, Israel versuche, mit seiner Kriegsrhetorik den Westen in Geiselhaft zu nehmen, um es milde auszudrücken. Was hat es nun mit den US-Neokonservativen auf sich? Massarrat führt das nicht aus. Ich denke, dass er auf etwas anspielt, was ich nach Francis Fukuyama [6] die Kristol-Kagan-Agenda nenne; wie in einer umgedrehten Domino-Theorie würden nun «nach 9/11» die «Feinde» der USA aufgerollt. Erst Afghanistan, dann der Irak, dann der Iran und schließlich China (?).
Richtig bemerkt Massarrat, dass man Iran unterstellen darf, die stärkste islamische Macht der Region werden zu wollen, ganz zum Ungemach Saudi-Arabiens. Hier sind zwei Aspekte verschränkt. Der Iran ist mehrheitlich schiitisch, Saudi-Arabien, der Beschützer der islamischen Heiligtümer von Mekka und Medina, mehrheitlich sunnitisch. Iran ist konventionell schwach gerüstet – es hat die Verluste nach dem iranisch-irakischen Krieg (Erster Golf-Krieg,1980-1988) nie wieder vollständig ausgeglichen – , Saudi-Arabien ist eher stark einzuschätzen. Das erklärt, warum Iran und Saudi-Arabien im Syrien-Konflikt sich auf feindlichen Seiten gegenüber stehen, und es erklärt auch in gewisser Weise, warum Iran nach Nuklearwaffen streben könnte. Iran bestreitet dies, aber wie Prof. Christian Hacke (Bonn) im Oktober auf einer Veranstaltung der Hanns-Seidel-Stiftung zum Thema „Bewegung im Atomstreit“ plausibel ausgeführt hat, könnte eine iranische Nuklearkapazität zusammen mit dem faktisch existierenden, wenn gleich geleugneten israelischen Nukleararsenal zu einem regionalen Gleichgewicht (des Schreckens) führen (3). Nichts davon in Massarrat‘s Vortrag. Das Undenkbare wird nicht gedacht.
Massarrat sieht verschiedene Ansätze für „Perspektiven für Demokratie und nachhaltigen Frieden“ in der Region. Massarrat sagt nichts dazu, ob diese Ansätze alternativ oder ergänzend zu sehen sind oder wie anders sie sich zueinander verhalten.
Erster Ansatz: Iran und Irak sollten oder könnten dem Golf-Kooperationsrat beitreten. Das rundete den Rat zwar geografisch ab, aber wie realistisch das ist, mag sagen, wer die Fragen beantworten kann, ob Iran und Irak im Verhältnis zueinander den Ersten Golf-Krieg politisch und gedanklich überwunden haben. Was Saudi-Arabien bewegen sollte, mit Iran zu kooperieren, obwohl zur Zeit allem Anschein nach das Trennende überwiegt? Weiterhin: Ist der Irak außenpolitisch zur Zeit überhaupt handlungsfähig? Käme es wider Erwarten zu solch einer Erweiterung, wäre dies vielleicht gut für den Frieden, aber nach europäischen Maßstäben ist keiner der bisherigen Mitgliedstaaten des Golf-Kooperationsrates eine Demokratie. Wie man Iran und Irak dahingehend beurteilen soll, lassen wie einmal dahin gestellt sein. Dasselbe gilt auch für die heutigen Aufnahme-Kandidaten des Golf-Kooperationsrates Jemen, Jordanien und Marokko. Dass die von Massarrat ins Spiel gebrachte Erweiterung gleichsam automatisch Frieden nach Syrien brächte, ist bestenfalls Spekulation. Er sagt nichts dazu.
Der zweite Ansatz ist eine „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten“ (KSZNMO), der zunächst die Türkei, Iran, Irak und Syrien beitreten könnten. Könnten, wenn nicht Syrien und Irak eher als kollabierende Staaten denn als Akteure zu sehen wären. Wenn die Türkei nicht Giftgas-Angriffe aus dem Iran befürchtete – gebannt ist diese Gefahr heute noch nicht, doch schon kolportiert der US-amerikanische Nationale Geheimdienstdirektor James Clapper die Gefahr eines möglichen Einsatz von biologischen Kampfstoffen in Syrien. Dieser zweite Ansatz ist verwirrend, weil er die gegenwärtige Lage zu ignorieren scheint. Wie sollten sich in der gegenwärtigen Situation diese Länder zu solch einer Konferenz zusammenfinden? Tatsächlich stammt Massarrat‘s Vorschlag bereits aus dem Jahr 2007. Damals sah die Welt im Nahen und Mittleren Ost anders aus. Dass OSZE-ähnliche Strukturen in anderen Weltregionen sinnvoll sein könnten, ist übrigens auch von anderen politischen Gruppen, etwa der SPD und der Piratenpartei, prinzipiell angedacht worden.
Den dritten Ansatz schreibt Massarrat dem Kurdenführer Öcalan zu. Danach sollten sich die Kurden, eine mehrheitlich sunnitische Ethnie, die im Wesentlichen über die Türkei, Iran, Irak und Syrien verteilt ist, sich als Region auf kultureller Ebene unter Beibehaltung der nationalen Grenzen zusammenschließen. Massarrat hält diesen Ansatz für realistisch, weil dieser Zusammenschluss einen einzigen sozialen Träger, nämlich die Kurden hätte. Das letzte ist richtig, aber realistisch betrachtet trifft dieser dritte Ansatz auf dieselben Schwierigkeiten wie der zweite.
Vierter Ansatz ist die Errichtung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten. Das ist ein mindestens seit der Überprüfungskonferenz für den (Nuklearwaffen-) Nichtverbreitungsvertrag 2010 international anvisiertes Ziel. Massarrat‘s Aussage jedoch, es werde (in) der Öffentlichkeit verschwiegen, dass für das Jahr 2012 eine UNO-Regionalkonferenz dazu hätte stattfinden sollen, gehört allerdings in Reich der Verschwörungstheorien (siehe etwa hier und hier). Die Konferenz hätte stattfinden sollen, ist aber auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Und inzwischen diktieren andere Ereignisse den Kalender.
Massarrat favorisiert keinen der Ansätze eindeutig, er lässt somit offen, wie er sich den Weg zu einem Frieden in Nahen und Mittleren Osten vorstellt. Dass ein solcher Weg notwendigerweise über die Errichtung einer massenvernichtungswaffenfreien Zone führt, zeigt er genauso wenig. Allerdings wünscht er sich, dass dieses Thema 2015 auf die Münchener Sicherheitskonferenz (sic!) kommt.
Syrien (2)
Dieses Manko der Unentschiedenheit hätte die Podiumsdiskussion wettmachen können. Im Grußwort redet Brigitte Wolf (Stadträtin, DIE LINKE) von Rüstungskonversion, von Drohnen, davon, „dass jede Waffe ihren Krieg findet“, von Gewaltbereitschaft und Militarisierung, aber nicht von Syrien. Die Moderatorin des Abends, Dr. Angelika Holterman, redet viel von Afghanistan, von der Nähe von Top-Journalisten zu den Mächtigen, davon dass die Journalisten jetzt den „erweiterten“ Sicherheitsbegriff verteidigten wie früher die transatlantische Bindung, und sie hätten alle austauschbare Argumente. Die anti-militaristische Ausrichtung der Bevölkerung werde jedoch ignoriert. Syrien rückt Holterman nicht in den Vordergrund. Das überlässt sie Mouna Sabbagh, die, in Aleppo gebürtig, aber bereits als Kind nach Deutschland gekommen, sozusagen die unter den kriegerischen Handlungen leidenden Syrer repräsentiert. Und das tut sie in ihrem Eröffnungs-Statement mit Berichten von Verwandten aus Aleppo und anderen Gesprächspartnern, mit denen sie regelmäßig telefoniert. Ihre Berichte sind bestürzend wie viele andere Berichte aus Syrien. Christiane Reymann, Politologin, Soziologin, Journalistin und Autorin, gibt sich danach emotional aufgewühlt, sie könne angesichts der Berichte nicht sachlich bleiben. Sie verneint, dass der Syrien-Konflikt ein Bürgerkrieg sei, es sei ein Stellvertreterkrieg geworden, auf internationaler Ebene – sie nennt als Akteure die USA, Großbritannien und Frankreich –, auf regionaler Ebene – hier nennt sie Saudi-Arabien, Katar und Iran, die jeweils bestimmte Gruppen des Assad-Gegner finanziell, logistisch und personell unterstützen. Drittens sei es auch inner-syrisch ein Stellvertreterkrieg, da hier zu einer Konfessionalisierung und Ethnisierung des Konfliktes gekommen sei. Sie nennt das auch eine Jugoslawisierung, die die Einheit Syriens gefährde. Diese Tendenzen sind erkennbar, aber was daran hat Stellvertretercharakter hat, bleibt unklar. Der bereits erwähnte Hans-Christof Graf von Sponeck sieht in dem Syrien-Konflikt ein Element einer Entwestlichung, wie er es nennt, und meint damit, dass sich immer mehr Regierungen und Länder die Beherrschung durch ca. 12% der Weltbevölkerung – die er aber nicht näher spezifiziert – nicht länger gefallen ließen. Iran sei dabei eines der ersten Länder gewesen. Das ist durchaus ein Aspekt, unter dem man den Atom-Streit des Westen mit Iran sehen kann, aber sicher ist es nicht die vornehmliche Absicht Irans, eine westliche Vormachtstellung zu brechen oder den Westen „vorzuführen“. Das, so könnte man von Sponeck in seinen weiteren Ausführungen interpretieren, habe eher Russland getan, als es (zusammen mit China) UN-Resolutionen blockiert habe, bis es dann schließlich den Vorschlag von US-Außenminister Kerry hinsichtlich der syrischen Chemie-Waffen aufgegriffen habe. Die vierte auf dem Podium, die SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Ute Finckh-Krämer meint, die Regime-Gegner in Syrien hätten von vornherein Gewalt eingeplant. In der späteren für das Publikum offenen Diskussion wird dem von einem Syrer zu Recht klar widersprochen. Weiter sieht Finckh-Krämer in der Stationierung der Patriot-Luftabwehrsystemen in der Türkei weniger eine Versicherung der Solidarität dem Bündnispartner Türkei gegenüber, sondern einen Eskalationsschritt. Sie lässt aber offen, wer dadurch provoziert werden sollte oder provoziert worden sein könnte. Dass die Regierung Erdogan mit der Stationierung auch innenpolitische Wirkung erzielen wollte, ist keineswegs ausgeschlossen, aber das ist für den Syrien-Konflikt und seine Lösung unerheblich. Soweit die Eröffnungs-Statements der Podiumsgäste.
Die anschließende Podiumsdiskussion – es ist eher ein Gespräch, in dem Stellungnahmen, Fakten und Spekulatives geäußert wird, für eine richtige Diskussion hätte es unter den Gästen eine Contra-Position geben müssen – nimmt keine Richtung an und die Moderatorin versucht auch nicht, der Diskussion eine Richtung zu weisen. So kann von Sponeck insinuieren, die US-Regierung verfolge möglicherweise neben der neokonservativen Kristol-Kagan-Agenda – ist Barack Obama nicht eigentlich Parteimitglied der US-Demokraten? – noch die versteckte Agenda, die Syrien-Verhandlungen scheitern zu lassen. Warum auch immer. Reymann pflichtet bei, nur die Gewaltbereiten säßen bei den Verhandlungen am Tisch, denn es gehe nur noch um „Regime Change“, die Bevölkerung sei außen vor in Genf; insbesondere werde die UNO-Resolution 1325 missachtet , die dazu aufruft, „die Rechte von Frauen zu schützen und Frauen gleichberechtigt in Friedensverhandlungen, Konfliktschlichtung und den Wiederaufbau mit einzubeziehen“.
Es ist in der Tat wichtig, wer dort von syrischer Seite außer den Repräsentanten der Assad-Regierung in Genf am Verhandlungstisch sitzt. Recht transparent ist dies für die Öffentlichkeit nicht. Auch nicht, warum nur die syrische Nationalkoalition die Nicht-Assad-Seite vertritt. Reymann sieht noch andere Gruppen, die ihrer Meinung nach vertreten sein sollten. In einer Situation, in der das wahrscheinlichste Szenario das langsame Ausbluten des Konfliktes ist, wenn es nicht zu einer massiven Intervention von außen kommt, kann es tatsächlich sein, dass sich Teile der Bevölkerung eine Re-Stabilisierung des Assad-Regimes wünschen, weil sie niemanden sonst sehen, der ihnen wenigstens rudimentäre Sicherheit bieten könnte. Da wüsste man schon gerne, wer an den Verhandlung beteiligt ist und wer wen repräsentiert. Das alles sieht das Podium sicherlich richtig. Die wirklich spannende Frage, warum Iran nicht in die Verhandlungen einbezogen ist, stellt aber niemand auf dem Podium. Die Antwort ist ja nicht in dem unglücklichen Taktieren des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon zu suchen. Die Frage, die beantwortet werden muss, ist, warum wer glaubt, dass ohne Irans Beteiligung eine Lösung für den Syrien-Konflikt gefunden werden kann, wo doch Iran ebenso Hauptakteur ist wie z. B. Saudi-Arabien?
Auch ist richtig, dass für wirksame humanitäre Hilfe sichere Korridore nötig sind, aber nicht gesehen wird, dass zur Sicherung solcher Korridore einige 10.000 Mann starke Bodentruppen plus Luftunterstützung unabdingbar sind. Das erfordert eine Intervention von außen. Vielleicht will man das auf dem Podium genauso wenig sehen, wie die westlichen Länder bereit sind, Truppen nach Syrien zu entsenden. Bislang sind sie es jedenfalls nicht. Eine Politik der „Responsibility-to-protect“ („R2P“), die Schutzverantwortung, hat ihren Preis, und der geringste wäre noch eine langfristige Friedensmission. Wenn man ihn aber nicht zahlen will, kann man aber nicht wie Reymann schlussfolgern, die „USA lassen jetzt kämpfen“, weil ihnen mit eigenen Kräften geführte Kriege zu teuer geworden sind. Das sei die Enthumanisierung des Krieges. Was meint sie? Was heißt das? Man darf wohl solche Statements nicht umdrehen, um ihrem Verständnis näher zukommen. Humane Kriege gibt es nicht, da würde Reymann sicher zustimmen. Aber ist es zwingend human, ein eigenes Blutopfer zu bringen, wenn man Krieg führt? Meint Reymann, es müsse tote GIs geben, wenn die USA schon Krieg führen wollen? Es ist mehr als wahrscheinlich, dass die USA neben dem Irak- und dem Afghanistan-Krieg keine dritte militärische Auseinandersetzung in Übersee hätten führen können. Außerdem sind die US-Amerikaner kriegsmüde. Steht dahinter die Einsicht, dass beide Kriege im politischen Desaster geendet haben (werden) und militärisch auch keine Erfolge sind? Nicht unbedingt. Staaten sind keine rational handelnden Entitäten, genauso wenig wie einzelne Menschen oder Menschengruppen es sind. Aber jeder versteht, dass diese Kriege niemandem Frieden, niemandem Sicherheit und Auskommen und niemandem langfristige ökonomischen Vorteile gebracht haben. Die USA und ihre Verbündeten haben ihre Stellung in der Welt durch diese Kriege auch nicht verbessert.
Es wäre müßig, die vielen weiteren ratlosen Statements der Podiumsgäste wiederzugeben. Ich will hier niemandem seine Ratlosigkeit vorwerfen, denn die Personen auf dem Podium stehen mit ihrer Ratlosigkeit nicht allein. Selbst auf der Münchner Sicherheitskonferenz gab es keine Lösungsansätze, auf die man sich verständigt hätte. Als dezidierte Gegenveranstaltung hätte man jedoch offen feststellen können, dass es aus dem Tagesgeschehen heraus heute keine Ansätze für langfristige stabile Lösungen in Syrien gibt. Und wohl auch nicht für die gesamte Region des Nahen und Mittleren Ostens. Im Grunde weiß niemand, wie man den Syrien-Konflikt heute lösen könnte. Geschweige denn, was eine langfristig stabile Perspektive für Syrien ist.
Natürlich hätte man fordern können, dass die Genfer Verhandlungen sich
- einen umfassenden unbefristeten Waffenstillstand in ganz Syrien
- die Entflechtung der kämpfenden Gruppen, die Entwaffnung aller Gruppen (einschließlich der Assad-Armee) – vielleicht nicht vollständig, sondern nur bis zu dem Punkt, wo ihnen die Angriffsfähigkeit genommen wird
- die Sicherung durch internationale Truppen unter UN-Kommando als Mindest-Ziele vornehmen müssen. Bei der Androhung, Syrien beim Verfehlen dieser Ziele in Chaos, Elend und Tod versinken zulassen.
Auf der Basis dieser Mindest-Ziele, wenn sie erreicht wären, und dem Vertrauen, das sich bei ihrer Verwirklichung gebildet hätte, könnten dann die syrischen Kriegsparteien mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft versuchen, eine innere Lösung zu finden. Innere Lösung heißt hier, dass es in erster Linie nicht um neue Grenzziehungen und territoriale Verschiebungen geht, sondern um den Aufbau einer neuen staatlichen Ordnung in Syrien, sofern die heutigen Kriegsparteien sie für möglich halten. In dieser Perspektive spielt Assad keine Rolle mehr. In diesem Kontext müsste man über ihn wohl gar nicht mehr nachdenken.
Die Mindestziele hätte natürlich auch die Münchner Sicherheitskonferenz aufstellen können, was die MSC nicht hätte leisten können, denn deren Akteure sind die Tagesgeschäftler, ist eine Analyse ex post der Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens in der Folge des Ersten Weltkriegs. Dort liegen viele der Gründe für das heutige Dilemma der Region. Die Internationale Münchner Friedenskonferenz hätte hier mit neuen Ansätzen punkten können. Wenn man mit der MSC auf Augenhöhe sein will, dann wäre das ein Weg dazu. Diesmal hat man ihn vergeben.
Ich sagte anfangs, die Internationale Münchner Friedenskonferenz verstehe sich als Teil der Friedensbewegung. Beide Veranstaltungen, von denen ich berichtet habe, waren sehr gut besucht, die Säle (mit ca. 300 bzw. 180 Plätzen) waren voll. Der Friedensbewegung scheint aber die Jugend abhanden zukommen, schaut man sich das Publikum der beiden Veranstaltungen an. Es war deutlich die Altersgruppe 50+. Ob ich den jungen Leuten riete, sich die ratlosen Älteren anzuhören? Ich glaube nicht, solange diese sich ihrer Ratlosigkeit nicht bewusst sind oder sie sich nicht eingestehen, und solange sie nicht daran arbeiten, wie sie mit dieser Ratlosigkeit umgehen sollen.
An Medienkritik wurde nicht gespart vom Veranstalter wie von den Vortragenden. Aber die Probleme der Welt sind weder von falscher oder schlechter Berichterstattung verursacht, noch könnte aufgeklärte Berichterstattung sie lösen. Mir genügte es allein, wenn die großen deutschen Tageszeitungen jedenTag eine Seite über den Nahen und Mittleren Osten, über Asien, über Afrika hätten, damit wir das Geschehen dort in der Welt kontinuierlich verfolgen können. Drücken wir es einmal pointiert aus: Damit etwa Afrika nicht länger der immer einmal wiederkehrende katastrophische Reflex einer gelangweilten Landkarte ist, die fürchtet vergessen zu werden.
Dann aber kam von Sponecks unsäglicher Satz in seinem Schluss-Statement: „Die Medien sind entweder oberflächlich oder stecken mit den Mächtigen unter einer Decke.“ Natürlich gibt es in den Medien Oberflächlichkeit, Parteilichkeit, verdeckte Interessenvertretung. Es gibt allerdings auch heute noch investigativen Journalismus. Aber so ausgesprochen ist dieser Satz das Tor zur Welt der Verschwörungstheorien. Dorthin würde ich junge Leute nicht unbedingt einladen wollen.
Nennen sie diesen Beitrag ruhig oberflächlich oder macht-afin. Es würde mich nicht stören. Ich persönlich finde übrigens Verschwörungstheorien amüsant. Die Internationale Münchner Friedenskonferenz war es weniger. Und auf Augenhöhe mit der MSC war sie sicher nicht.
Fussnoten
- Zu fragen wäre dann noch, ob der westliche homogen ist, oder ob er sich nicht vielmehr in einen US-amerikanischen, einen britischen, französischen und deutschen etc. untergliedert, die nur partiell deckungsgleiche Interessen haben, die begrenzt miteinander konkurrieren.
- Ich bevorzuge den Ausdruck „Regime-Gegner“ vor „Rebellen“, weil letzterer die Legitimität des Kampfes gegen das Assad-Regime nicht in Rechnung stellt.
- Die Mutual Assured Destruction durch Nuklearwaffen war im Kalten Krieg ein solches stabilisierendes Element, wobei ihre Gefahren nicht beschönigt werden sollen, und auch zwischen Indien und Pakistan herrscht heute de facto ein solches Schreckensgleichgewicht.