Kanzlerin Merkel hält im Lauf eines Jahre viele Reden. Einige davon bleiben für lange Zeit in Erinnerung, so mancher Ausspruch dabei geht gar in die Geschichte ein, wie Abhören unter Freunden geht gar nicht zeigt. Ihre Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz war jedoch eine nüchterne Analyse des Ist-Zustands ohne den Blick ins Morgen, ohne Vision und ohne Antworten auf die Fragen, die aus der Betrachtung folgen.
Über die wertebasierte Kooperation aus der Zeit des Kalten Krieges mit seiner nuklearen Abschreckung schlägt Merkel den Bogen in die Gegenwart der USA, dem vereinten Europa und den aufsteigenden asiatischen Ländern. Seit dem Zusammenbruch der UdSSR hat sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den Ländern der EU verdoppelt, das der USA wurde verdreifacht während das BIP in China heute 28 mal so hoch ist wie 1990. Anders als bei der ersten “Wehrkundetagung” 1963 in München gibt es heute nicht zwei Blöcke, die sich gegenüber stehen sondern neue Ordnungsmuster, neue Herausforderungen durch neue Konflikte und Bürgerkriege, die kein einzelner Staat bewältigen kann. Merkel sieht hier die Notwendigkeit multilaterale und internationale Stukturen stärken: die EU, die NATO und die UN.
Was folgte waren Gemeinplätze: Die G20 Präsidentschaft solle gestärkt werden, die vernetzte Welt soll gestaltet werden, wir müssten uns alle fragen wie EU erfolgreich gestaltet werden kann. Ob Merkel wusste, dass der zukünftige Bundespräsident am Tag vor ihrer Rede davon sprach “die Jugend erreichen zu wollen – sie solle dafür von ihren Smartsphones aufschauen” als sie den gemeinsamen Markt mit der Digitalisierung als Erfolg für die Menschen und die soziale Marktwirschaft mit dem Versprechen “Wohlstand für alle” anführte?
Immerhin, Selbstkritik war durchaus raus zu hören, dass es zu vielem keine Notfallpläne gab. Man hatte die offenen Grenzen aber keine Idee wie auf die Kriegsflüchtlinge die über das Mittelmeer kamen zu reagieren sei. Es gab die gemeinsame Währung aber keine Idee wie auf Krisen zu reagieren ist. Worin die Vorbereitung auf den “Druck” auf die Außengrenzen aussehen soll war hier in München leider kein Thema.
An die USA war die Anmerkung gerichtet, dass beim Abkommen von Wales 2014 vereinbart wurde die Ausgaben im Sicherheitsbereich innerhalb von zehn Jahren auf 2% des BIP anzuheben. Was hier leider aber fehlte: Die geringste Andeutung wohin die Gelder fließen sollen. In die Modernisierung der Armee? In mehr Auslandseinsätze und weitere Auslandsbasen? Sicher, Merkel sprach im Zusammenhang von Entwicklungshilfe davon Soldaten direkt in Afrika auszubilden, doch das findet bereits seit Jahren statt – ob es dazu beiträgt, dass die Anzahl der bewaffneten Konflikte ständig steigt kann nicht mit einem einfach “ja” oder “nein” beantwortet werden – abgesehen davon dass diese Frage auch gar nicht aufgeworfen wurde. Die Worte Bildung, Rechtssicherheit, Arbeit und die Perspektive auf eine bessere Zukunft hatte Frau Merkel durchaus erwähnt, blieb dabei aber enttäuschend abstrakt – als ob diese am G20-Verhandlungstisch beschlossen werden können.
Die EU ist derzeit in 16 militärische Operationen weitweit eingebunden. Damit wurde auch der Bogen zurück zur NATO geschlagen. Militärische Fähigkeiten Europas sollen ausgebaut werden, was die Ukraine betrifft stand die traurig Erkenntnis im Raum, dass das Minsker Abkommen noch immer nicht umgesetzt sei, der abgemacht Waffenstillstand noch nicht da sein. Durch die Annektion der Krim hätte die NATO wieder an Bedeutung gewonnen, das Prinzip der territorialen Integrität müsse wieder Geltung bekommen. Immerhin sagte Merkel auch, dass jeder Krieg der verhindert wird uns in die Lage bringt bei der Entwicklung zu helfen. Die EU hat auch zu Russland Außengrenzen. Es war ihr wichtig zu betonen dann man trotz unterschiedlicher Ansichten in vielen Dingen ein gutes Verhältnis anstrebt. Als Gemeinsamkeiten kam der Kampf gegen Islamismus mit dem IS-Terror zur Sprache. Ein Kampf, am dem auch das NATO-Mitgliedsland Türkei beteiligt ist – die Türkei, die nicht weiter erwähnt wurde. Kein Wort der Kritik zum stattfindenden Umbau des Landes zur repressiven Gewaltherrschaft in dem so viele Journalisten, Wissenschaftler und Regimekritiker wie in keinem anderen Land verfolgt und eingesperrt werden.
Alles in allem fehlten Antworten auf Merkels Analyse der Weltlage und wichtige Themen abseits der militärischen Konflikte. Immerhin sagte sie auch “Ich habe einen hohen Respekt vor Journalisten”, jedoch kein weiteres Wort zum wachsenden Populismus, kaum ein Wort zum steigenden Europaverdruss in vielen Ländern, was völlig fehlte war der Mut die EU fortzudenken, vielleicht zu einer EU 2.0, zu einer Republik von Europa. Merkel vermied es wie andere Politiker bei der MSC auch, die EU weiter zu denken als bis zur großen Freihandelszone mit einer gemeinsamen Verteidigungspolitik. Damit blieb Merkel weit hinter den Erwartungen und ihren Möglichkeiten zurück.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.