Nach einer langen Pause setzt der Sperling seine Rundreise zu den Piraten in der ganzen Welt fort. Den Anfang macht er bei den Österreichern, Harald Bauer war so nett, um ein bisschen zu zwitschern 🙂
Sperling: Hallo, wie geht es dir? Und was machst du im „richtigen Leben“?
Harald: Persönlich geht es mir gut, auch wenn ich den politischen Rechtsruck und den Trend zum autoritären Überwachungsstaat, der sich in Österreich schon einige Jahre abzeichnet und seit der Wahl im Oktober beschleunigt, mit Sorge erlebe.
Im „richtigen Leben“ arbeite ich im Vertriebsinnendienst bei einem Textilunternehmen und lebe mit meinem Freund und vier Katzen in Bad Häring in Tirol. In Österreich bin ich seit zehn Jahren – komme aber ursprünglich aus Wolfratshausen in Oberbayern.
Sperling: Was ist dein Job bei den österreichischen Piraten und wie lange machst du den schon?
Harald: Im Bundesvorstand bin ich seit November 2014. Meine aktuelle Kernaufgabe ist der Bereich Medienarbeit, aber ich habe in den letzten Jahren auch schon einige andere Aufgabenfelder durchpflügt.
Sperling: Wie sind die österreichischen Piraten organisiert? (So wie andere Parteien oder gibt es etwas Besonderes?)
Harald: Das Besondere ist, dass wir Basisdemokratie praktizieren und mit Liquid als Abstimmungstool arbeiten. Gerade in Österreich ist das sehr revolutionär, denn hier gibt es kein so strenges Parteiengesetz, wie in Deutschland, wo eine gewisse demokratische Grundverfasstheit gesetzlich vorgegeben ist. In Österreich kann es schon mal passieren, dass ein Bundeskanzler Kurz sich in seiner Volkspartei einen weitgehenden Führungsanspruch im Hinblick auf die Parteilinie einräumen lässt oder Wahllisten persönlich zusammenstellt. Ich würde sagen, wir Piraten sind der Gegenentwurf zu diesem autoritären Führungsstil, Intransparenz und einsamen Entscheidungen.
Sperling: Wie viele Piraten sind an Bord, kannst du mir etwas über eure Mitglieder erzählen?
Harald: Zu Hypezeiten 2013 hatten wir über tausend Mitglieder – dann kam der große Knick. In den letzten Jahren hat es sich bei so um die hundert zahlenden Mitglieder eingependelt. Natürlich wollen wir wieder wachsen. Wir haben einige Strukturänderungen eingeleitet, z.B. in der innerparteilichen Kommunikation, denn die Mitarbeit soll ja Spaß machen und wir nutzen jede Möglichkeit, im öffentlichen Diskurs durchzudringen.
Das Durchschnittsalter unserer Mitglieder liegt (Stand 2017) bei 36 Jahren; drei Viertel sind zwischen 20 und 40 Jahren alt. Etwa ein Drittel ist 2012 oder davor eingetreten. Der Frauenanteil ist mit ca. 10 % leider sehr gering. Die Bildungsverteilung dürfte etwas über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegen und die soziale Verteilung ist bunt gemischt – da kann ich aber nur schätzen. Unser bekanntestes Mitglied dürfte wohl „Fisima“ sein, der bis zur letzten Wahl ein sehr rühriger Gemeinderat in Graz war.
Soweit ich das beurteilen kann, dürfte die weit überwiegende Mehrheit der österreichischen Piraten vorher in keiner anderen Partei gewesen sein. Mir ist nur von wenigen Einzelnen bekannt, dass sie vorher mal bei den Grünen oder in der SPÖ aktiv waren. Entscheidend ist aber nicht, wo man herkommt, sondern wohin man will.
Ich selbst bin mit 14 Jahren zunächst in die Junge Union eingetreten und war über 20 Jahre in der CSU. Eine Entscheidung, die man in der Jugend trifft, hinterfragt man irgendwann – man lebt ja und gewinnt an Erfahrung. Mir kamen Zweifel; das Thema individuelle Freiheit spielte eine immer entscheidendere Rolle in meinem Denken und schließlich reifte die Überzeugung, dass ich nicht da stehe, wo ich hingehöre. Als sich dann die Piraten gründeten, dachte ich mir, wer für Freiheit im Netz steht, der wird sich auch insgesamt für einen liberalen Staat und Bürgerrechte einsetzen. Letztlich war es bei mir ein jahrelanger Prozess der Umorientierung – aber irgendwann wird man eben erwachsen und so wurde ich Pirat. Ich habe es nie bereut.
Sperling: Welche Art von Tools verwendet ihr für die interne Organisation eurer politischen Arbeit?
Harald: Ein Piratenwiki haben wir natürlich, wo man alle wichtigen Informationen über uns findet. Mumble nutzen wir für unsere wöchentlichen BV(Bundesvorstand)- und unsere quartalsmäßigen EBV(Erweiterter Bundesvorstand)-Sitzungen sowie die BV-Sprechstunde. Ansonsten, wenn eben direkte mündliche Kommunikation Sinn macht. Das Piratenpad hat sich bewährt, um Stellungnahmen gemeinschaftlich zu verfassen, Protokolle zu schreiben etc. Diskussionen zu Liquidanträgen führen wir im Reddit. Daneben gibt es noch ein paar Telegram-Gruppen, die aber größtenteils, wie auch die Facebookgruppen, von Privatpersonen betrieben werden.
Was Diskussionen innerhalb der Basis, mit Neumitgliedern, unter den Organen und Arbeitsgruppen angeht, haben wir uns nach einem langen Diskussionsprozess für Riot entschieden.
Vom Forum haben wir uns bereits 2016 verabschiedet, weil wir feststellen mussten, dass es nicht zielführend ist, Mitglieder, Interessenten, Ex-Mitglieder und erklärte Gegner der Piraten auf einer Plattform aufeinander los zu lassen. Das hat nur zu ausufernden persönlichen Anfeindungen geführt und außer der Tatsache, dass dadurch die Stimmung vergiftet wurde und wertvolle Mitglieder sich zurückgezogen haben, kaum zu brauchbaren Ergebnissen geführt, die in die politische Arbeit eingeflossen wären. Im realen Leben geht man den Menschen, die man nicht riechen kann, aus dem Weg und unterhält sich mit denen, die man leiden kann. Das Klima unter den Mitgliedern hat sich seit der Einstellung des Forums um Welten verbessert.
Sperling: Verwendet / diskutiert ihr über die Verwendung eines „Online-Abstimmungs-Tools“? Was sind die Hauptargumente pro / contra online-Voting?
Harald: Wir verwenden Liquid seit Ende 2012 und können dort, abgesehen von Personenwahlen, die statutengemäß geheim sein müssen, alles abstimmen. Der größte Vorteil ist, dass dort wirklich alle Mitglieder mitentscheiden können und nicht nur diejenigen, die die Möglichkeit haben, an einen Versammlungsort zu reisen; es ist asynchron – das heißt, jeder kann sich mit den Beschlussanträgen dann beschäftigen und abstimmen, wenn er Zeit hat und wir haben die Möglichkeit, schnelle Entscheidungen zu bekommen und nicht auf die nächste BGV warten zu müssen.
Das System hat sich aus meiner Sicht bewährt. Verbesserungen würde ich mir persönlich noch wünschen, was die Implementierung einer Konsensbildung im System angeht. Aber das hat vielleicht auch weniger mit Liquid zu tun und ist eher eine Mentalitätsfrage – Menschen wollen halt immer siegen.
Diejenigen die Liquid kritisch sehen, stören sich hauptsächlich daran, dass manche Mitglieder eine höhere Anzahl von Vollmachten durch andere Mitglieder übertragen bekommen und dadurch ihr Abstimmungsverhalten ein höheres Gewicht erlangen. Allerdings ist es ja so, dass ihnen die Vollmachten vorher jemand erteilt und sich dabei etwas gedacht hat. Außerdem ist jeder und zu jeder Zeit Herr seiner Stimme und kann sie sich durch einen Klick zurückholen und selbst abstimmen. Ein Problem stellen die Offliner dar, die keinen PC haben – allerdings sind die in einer internetaffinen Partei ziemlich selten – und es gibt ja auch Menschen die nicht mobil sind. Würden wir nur offline abstimmen, wären diese wiederum benachteiligt.
Sperling: Welche Kanäle verwendet ihr in sozialen Medien oder im Internet für den Kontakt mit Nicht-Piraten, wie erreicht Ihr die Leute?
Harald: Das wertvollste Instrument, um Interessenten, aber auch Mitglieder zu erreichen, ist unser Newsletter – da haben wir so um die 2000 Adressaten. Daneben sind wir viel in Onlineforen unterwegs, was wie die Aktivitäten auf unserer Facebookseite vor allem dem Zweck dient, Menschen auf unseren Basisblog und die Homepage zu leiten und im Idealfall besuchen sie die dann öfters. Einen Twitter-Account haben wir natürlich auch.
Sperling: Berichten die Medien von Euch? Wie haben sie über den Erfolg der Islandpiraten und der Tschechen berichtet?
Harald: Ja, über die Piratenerfolge in Island und Tschechien wurde in ziemlich allen Medien berichtet – tendenziell eher neutral. Übrigens berichten österreichische Medien auch immer wieder über Julia Reda, wenn es um Urheberrecht & Co geht. Das alles führt allerdings nicht dazu, sich mit der Piratenpartei im eigenen Land zu beschäftigen.
Für die außerparlamentarische Opposition ist es immer schwierig überhaupt durchzudringen – hin und da gelingt es. 2015 haben wir es zuletzt geschafft, quer durch alle Printmedien tagelang vertreten zu sein, als unsere oberösterreichische Gliederung in Anzeigen auf Youporn mit dem Gesicht der Innenministerin gegen das Staatsschutzgesetz warb. Damals wurde auch von einer Abgeordneten der Grünen ein Text von uns bei der Abstimmungsdebatte im Bundesrat zitiert, so dass wir an diesem Tag zumindest indirekt eine Stimme in der zweiten Parlamentskammer hatten. Das sind Highlights, die nicht jeden Tag machbar sind.
Sperling: Das österreichische politische System ist dem deutschen meines Wissens nach ähnlich – oder nicht?. Wie funktionierte das System, wo liegt bei euch denn der Unterschied zwischen gesetzlichen Regelungen und Realitäten?
Harald: Es gibt viele Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unterschiede. Ich will hier nur eine Sache herausgreifen, weil sie in der letzten Zeit an Aktualität gewonnen hat. Der österreichische Bundespräsident wird direkt vom Volk gewählt und hat verfassungsmäßig weitgehende Rechte, die man etwa mit denen des Reichspräsidenten in der Weimarer Republik vergleichen könnte. Er bestimmt, wer Bundeskanzler wird und kann ihn nach eigenem Ermessen austauschen oder das Parlament auflösen. In der Praxis haben die bisherigen Bundespräsidenten von diesen Vollmachten keinen Gebrauch gemacht und ihre Rolle behutsam interpretiert. Das trifft auch auf den aktuellen Amtsinhaber zu.
Im Umfeld der letzten Präsidentenwahl ist das traditionelle Amtsverständnis allerdings durch den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer in die Diskussion geraten, die in dessen Aussage gipfelte, „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist“. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie die Regierungsbildung unter einem Bundespräsidenten Hofer verlaufen wäre und wie ungehindert nun die neue Rechtsregierung ihre Allmachtsphantasien vom autoritären Staat durchsetzen würde. Es ist auch so schon schlimm genug und die Bürgergesellschaft wird erstarken müssen, wenn die ärgsten Grausamkeiten verhindert werden sollen, aber Bundespräsident Van der Bellen steht zumindest für einen gewissen mäßigenden Einfluss.
Sperling: Gibt es eine Chance für kleine Parteien, sich am System zu beteiligen? Wie sind die Hürden?
Harald: In Österreich gibt es, nach Japan, weltweit die üppigste Parteienförderung und daneben noch großzügige Spenden aus der Wirtschaft. Wir Piraten profitieren davon allerdings nicht, sondern sind auf Mitgliedsbeiträge angewiesen. Es gibt eine Vier-Prozent-Hürde für den Nationalrat. Zur Wahl antreten kann man dann, wenn man entweder die Unterschriften von drei Abgeordneten bekommt oder 2600 Unterstützungserklärungen von Bürgern sammelt, die dann aber auch noch nach einem Verteilungsschlüssel aus verschiedenen Bundesländern kommen müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass man die Unterschriften nicht einfach auf der Straße sammeln kann, sondern sie müssen auch noch von der Heimatgemeinde des Unterstützers beglaubigt werden.
Aus diesem Grund machen Sammelaktionen nur direkt vor den Gemeindeämtern einen Sinn, was in manchen Orten gut und in einigen schlecht funktioniert. Innsbruck ist zum Beispiel so ein Ort, an dem Kleinparteien immer wieder Probleme bekommen, weil der Zugang zum Rathaus in einer Einkaufsgalerie liegt. Das führt dann oft zu Diskussionen mit dem Verwalter, bis hin zu widerrechtlichen Platzverweisen durch die Polizei. Online kann man leider auch in Österreich nicht sammeln.
Sperling: Kannst du mir sagen, welche Positionen die zentralen bei den österreichischen Piraten sind? Wie kommuniziert ihr sie den Wählern?
Harald: In Österreich stehen uns ein neuer Anlauf zu einer völlig maßlosen Überwachungsgesetzgebung und ein Sammelsurium rechtsstaatlicher, demokratie- und sozialpolitischer Grausamkeiten bevor, die in der nächsten Woche und Monaten in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden oder sich bereits im parlamentarischen Begutachtungsverfahren befinden. Das werden wir uns alles ansehen, in parlamentarischen Stellungnahmen und Presseaussendungen Position beziehen und über die uns zur Verfügung stehenden Parteimedien verbreiten und auch versuchen Aktivismus dazu zu entwickeln.
Neben dieser Abwehrarbeit, die der Situation in Österreich geschuldet ist, beschäftigen wir uns natürlich vor allem mit klassischen piratigen Themen, wie Netzneutralität, Überwachung oder setzen uns für ein BGE ein.
Letztlich geht es um den Erhalt der individuellen Freiheit und einer offenen Gesellschaft und das Ziel, den digitalen Wandel anzunehmen und die durch ihn entstehenden Herausforderungen und Veränderungen sozial ausgewogen zu gestalten.
Sperling: Was ist die wichtigste Politische Errungenschaft in Österreich?
Harald: Noch haben wir einen verdammt unabhängigen Verfassungsgerichtshof, der jüngst der Ehe für alle den Weg gebahnt hat, nachdem die Politik dazu nicht fähig war. Das fand ich großartig. Nun droht aber auch dem Verfassungsgericht, wie so vielen Institutionen im Land, die Nachbesetzung durch schneidige „teutsche“ Herren aus schlagenden Verbindungen.
Sperling: Gibt es etwas, was du über dich, die österreichischen Piraten, das Universum oder den Rest von allem erzählen willst?
Harald: Die Piraten in Österreich haben die Kinderkrankheiten hinter sich. Das Klima in der Partei ist freundschaftlich und kollegial. Alles ist vorbereitet. Jetzt wird es Zeit, wieder zu wachsen.
Sperling: Vielen Dank für deine Zeit, wir freuen uns dass wir in Zukunft öfter von euch hören werden!
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt und Podcastet nur wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂