Ein Gastartikel von Arko Kröger

Seit dem Überfall Putins auf die Ukraine diskutieren Ökonomen darüber, wie man am besten die Auswirkungen des Krieges handhabt und wie sehr die Sanktionen uns und Putin schaden werden. Leider ist dieser Diskurs etwas ruppig geworden, weshalb ich hier die Standpunkte erklären und einordnen werde. Ich finde nämlich, alle Seiten haben zu einem gewissen Grad nachvollziehbare Standpunkte, und es ist wichtig, diese in sein eigenes Denken mit einzubeziehen. Aber langsam, erst mal eins nach dem anderen.
Wie sieht die aktuelle Situation aus?
Ich werde an dieser Stelle nur die wichtigsten Sanktionen ausführen, aber wenn ihr einen vollständigen Überblick haben wollt, der Wikipedia-Eintrag zu diesem Thema ist sehr umfangreich. Die aus meiner Sicht beiden wichtigsten Sanktionen sind aktuell:
1. Der Ausschluss diverser (aber leider nicht aller) Banken aus dem SWIFT-System [1].
Das ist ein Kommunikationssystem für Banken, welches so ziemlich internationaler Standard ist. Man benutzt es, um Informationen über Geldtransfers schnell und sicher auszutauschen[2]. Die BIC auf euren Bankkarten zum Beispiel ist Teil dieses Systems, diese ist eine internationale Bankleitzahl, mit der jedes Finanzinstitut eindeutig identifiziert werden kann. Ist ein Land von diesem System ausgeschlossen, kann es fast kaum noch Bankgeschäfte mit dem Ausland tätigen. Es ist nicht komplett unmöglich, aber erschwert.
2. Das Einfrieren von Devisenreserven der russischen Zentralbank.
Diese Sanktion ist tatsächlich noch heftiger: Sie galt gewissermaßen als die „Nuklearoption“[3] unter den Sanktionen, und es gibt einen Grund dafür.[4] Zentralbanken nutzen diese Reserven, um ihre Währung zu stützen, wenn es zu Turbulenzen am Finanzmarkt kommt. Tatsächlich hilft schon die bloße Existenz dieser Reserven, eine Währung zu stützen, weil so jeder weiß, dass sie im Fall der Fälle einen Fall des Wertes der Währung verhindern werden, weil die Zentralbank in diesem Fall gegensteuert. Das verhindert Panikattacken am Finanzmarkt. Werden diese Reserven eingefroren, kollabiert also der Wert des Rubels. Und so ist es auch geschehen… zumindest zu Anfang. Russland war anscheinend nicht vorbereitet, aber es hat relativ schnell einige Gegenmaßnahmen eingeleitet, um dem zu begegnen. Laufen die Sanktionen also ins Leere?
Nicht ganz.
Welche Gegenmaßnahmen hat Russland getätigt?
Zunächst einmal hat Putin den Leitzins von 9,5 auf 20 Prozent erhöht. Diese Maßnahme hat folgenden Grund: Um von hohen Zinsen zu profitieren, muss man sein Geld sparen, also auf ein Konto legen und es nicht ausgeben. Zinserhöhungen senken also generell die Inflation, allerdings zu einem hohen Preis, denn diese erschweren es Unternehmen auch, zu investieren. Lohnt es sich mehr, Geld zu horten, als einen Kredit aufzunehmen und damit zu investieren, um eine Rendite zu erwirtschaften, senkt das die wirtschaftlichen Aktivitäten und damit das Wachstum. Es ist also ein zweischneidiges Schwert. Zudem wurden Devisenkontrollen eingeführt. Ganz besonders wichtig: Unternehmen müssen Erträge in Devisen zu 80 Prozent in Rubel umtauschen. Das sorgt dafür, dass die Nachfrage nach Rubel wieder steigt und dadurch übernehmen Exporteure den Job der Zentralbank [5]. Und leider importieren wir ja bekanntlich immer noch Öl und Gas aus Russland. Der Rubel wird also mit unseren Importen gestützt. Leider liegt der Rubel dadurch wieder etwa auf dem Niveau wie zuvor [6][7].
Das bedeutet aber nicht, dass die Sanktionen wirkungslos sind, denn die Maßnahmen, die Putin verabschieden musste, schränken ihn nun auf andere Weise ein. Die hohen Zinsen sind ein Problem für Investitionen, und wenn die Devisen, also Euro und Dollar, wieder verkauft werden, kann er damit keine Waren importieren. Unsere Firmen fordern Euro und Dollar, wenn sie nach Russland exportieren, die wollen keinen Rubel. Die Sanktionen wirken also – nur nicht über die direkten Auswirkungen, sondern über die Nebenwirkungen, die mit den Gegenmaßnahmen einhergehen.
Bleibt nur noch das Problem, dass wir Gas und Öl aus Russland importieren und damit Putin unterstützen. Also, was tun?
Der Konflikt zwischen den Ökonomen
Die große Frage hier ist, wie viel Schaden ein vollkommenes Embargo an Russland anrichtet und wie viel an uns. Es gibt verschiedene Studien zu diesem Thema. Rüdiger Bachmann zum Beispiel geht von 0,5 bis 3 Prozent am Bruttoinlandsprodukt aus [8], Sebastian Dullien dagegen von bis zu 6 Prozent. Die Bundesbank geht dagegen von etwa zwischen 1 und 3,25 Prozent aus [9]. Es gibt Gründe warum die Zahlen teils so weit auseinander liegen, und das hat auch zum Teil mit den Denkschulen der Ökonomen zu tun.
Ökonomie ist keine ideologiefreie Wissenschaft, und alle Wissenschaftler werden zum Teil von ihrer Ideologie beeinflusst. Es gibt keine Ideologiefreiheit. Im Streit um die Frage: „Wie sehr wirkt sich ein Embargo auf uns aus?“ entsteht die Streitlinie vor allem an der Frage, wie gut die Wirtschaft sich an derart schnell verändernde Bedingungen anpassen kann.
Auf der einen Seite stehen eher marktliberale Ökonomen, welche den Markt generell als sehr anpassungsfähig ansehen und gewisse „Selbstheilungskräfte“ unterstellen. Das ist hier nicht wertend gemeint, ich habe persönlich keine bessere Formulierung gefunden.
Auf der anderen Seite sind die sogenannten „Keynesianer“, benannt nach John Maynard Keynes. Diese betrachten den Markt generell etwas skeptischer, sie sind nicht gegen Marktwirtschaft, aber sie sehen, wo die Schwächen sind und gehen daher von weniger Anpassungsfähigkeit aus, sowie davon, dass ein Markt prinzipiell instabil ist und daher von außen stabilisiert werden sollte.
Es gibt noch viel dazwischen, und kein Ökonom tendiert in das eine oder andere extrem, aber diese Ausrichtung beeinflusst, was sie betonen, und worauf sie sich fokussieren. Die meisten Ökonomen sind sich wahrscheinlich näher als manche denken, weil in Diskussionen normalerweise nicht darüber diskutiert wird, worüber man sich einig ist, als vielmehr darauf, wo man sich unterscheidet. In unserem Fall ist es vor allem die Frage, wie sehr man sich auf ein Modell verlassen kann, und wie sehr die Wirtschaft den abrupten Verlust von Gas und Öl kompensieren kann. Zwar sagen wirklich alle ernstzunehmenden Ökonomen, dass jedes Modell Unsicherheiten hat, auch die marktliberalen, in der Regel betonen die Keynesianer das aber stärker.
Um einen Vorgang zu untersuchen, muss man Prinzipiell ein paar Dinge vereinfachen, damit man ein aussagekräftiges Ergebnis bekommt. Ökonomen tun dies, in dem sie z.B. den Vorgang in das Modell eines perfekten Marktes [10] werfen und sich dann ansehen, was das Modell ausspuckt. Natürlich ist das Modell nur eine Vereinfachung und nicht realistisch – das ist aber zunächst mal ok, solange das nicht das Ergebnis kritisch verändert.
Der Homo oeconomicus [11] zum Beispiel ist eine Annahme, die extrem unrealistisch ist, weil sie davon ausgeht, dass jeder Marktteilnehmer immer die für ihn am meisten nützliche Entscheidung trifft – würde man eine realistische Entscheidungsfindung modellieren, auch wenn es eigentlich keine Rolle spielt, dann bekommt man am Ende ein weniger aussagekräftiges Ergebnis heraus als notwendig.
Kurz gesagt spielt die Vereinfachung also keine Rolle – es sei denn, sie tut es.
Und hier wird es kompliziert. Zum einen kann man nicht beliebig Gas, welches von Russland kommt, durch anderes ersetzen, weil nicht überall Leitungen wie Nordstream 2 verlegt sind. Das macht also Importe aus den USA oder Katar schon mal nicht ganz so einfach. Zudem können nicht alle Unternehmen, die Gas verbrauchen, beliebig heruntergefahren werden, beispielsweise weil sie Vorprodukte für andere Dinge herstellen, die wir dringend brauchen – oder weil sie kaputt gehen, wenn plötzlich das Gas alle ist.
Öl kann auch nicht ganz einfach ersetzt werden, denn die meisten Autos brauchen natürlich noch Benzin, und die werden für den Transport benötigt. Es ist also alles eine sehr unübersichtliche Situation, und kein Modell wird in der Lage sein, die Zukunft perfekt vorherzusagen. Es kann nur eine ungefähre Perspektive geben, an der man sich orientieren kann. Aber: Jeder Ökonom ist sich dieser Problematik durchaus bewusst. Warum also betonen Keynesianer das so stark? Ich glaube, das Problem liegt weniger in den Ökonomen, die die Studien verfassen, als an den Entscheidungsträgern, die durch diese beeinflusst werden.
Die meisten Politiker sind keine Ökonomen.
Und das müssen sie auch nicht sein, sie sind immerhin Politiker. Aber Politiker sind natürlich weniger gut in der Lage, diese Unsicherheiten einzuschätzen, als ein Ökonom. Dementsprechend ist es also nicht die Studie an sich, die kritisiert wird, sondern dass die Grenzen des verwendeten Modells nicht klar genug kommuniziert werden.
Wahrscheinlich könnten aber selbst Ökonomen, die sich dieses Problems bewusst sind, wenig dagegen unternehmen, denn was ein Politiker aus einer Studie für Schlüsse zieht, liegt bei ihm, nicht beim Ökonom. Zumal ein Politiker dazu noch von der öffentlichen Meinung beeinflusst wird – und wird diese durch eine Studie beeinflusst, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass sich diese Öffentlichkeit noch viel weniger solcher Grenzen bewusst ist. Dazu kommt aber auch noch, dass die ökonomische Perspektive nicht die einzige ist, die hier betrachtet werden muss. Sagt auch Veronika Grimm [12], eine der Wirtschaftsweisen.
- Bringen Sanktionen das Volk gegen den Staat auf? (Die Antwort: eher indirekt) [13]
- Ist es moralisch in Ordnung? (NEIN.)
- Wie wollen wir in der Welt betrachtet werden?
- Was hält unsere Bevölkerung davon?
Alles Fragen, für die Ökonomen nicht zuständig sind. Aber: Ich persönlich glaube, dass wir es ohnehin kaum in der Hand haben, ob ein Embargo kommt oder nicht. Denn eine Sache dürft ihr nicht vergessen: Auf sehr lange Sicht ist Deutschland abhängiger von echten Rohstoffen als Russland vom Geld – welches im Endeffekt nur ein Rechtsgut ist und nur dadurch einen Wert hat, dass wir wissen, dass es einen Wert hat.
Es gibt gewisse Ökonomen die argumentieren, dass alles, was in der Binnenwirtschaft läuft, ohnehin keine Devisen benötigt [14]. Das stimmt zwar theoretisch, man muss hier aber bedenken, dass nicht Mal die russische Bevölkerung dem Rubel so ganz traut. Außerdem gelten Kaskadeneffekte (also Wohlstandsverluste durch einen Mangel an Vorprodukten) auch für die russische Wirtschaft und auch für deren Kriegsmaschinerie. Und wenn Russland die Devisen nicht brauchen würde … WARUM SCHICKT UNS RUSSLAND DANN NOCH GAS??? Irgendwie scheint es Russland ja zu helfen. Auf lange Sicht wird Russland wahrscheinlich weniger abhängig von Devisen werden und wenn Russland uns mit unserer Abhängigkeit schaden kann, dann wird es das tun – sofern es sich nicht selber schadet.
Wenn wir also jetzt auf ein Embargo oder wenigstens moderatere Maßnahmen verzichten, dann profitiert Putin entweder davon, oder er hört irgendwann auf, uns Gas zu schicken und in dem Fall hat es uns eh nichts gebracht. Egal was also passiert, wir müssen uns so oder so auf eine Embargosituation vorbereiten. Bedeutet: Es spielt nur sehr bedingt eine Rolle, was diese Studien eigentlich Aussagen, da wir wahrscheinlich ohnehin früher oder später auf Gas und Öl aus Russland verzichten.
Der Schaden wird kommen. Die gute Nachricht ist aber, dass es ziemlich einfach ist, zu benennen, was wir tun müssen, um die Abhängigkeit von Gas und Öl zu reduzieren: Öl und Gas sparen, Öl und Gas aus anderen Quellen erhalten und generell uns von Öl und Gas verabschieden. Klimawandel, erinnert ihr euch noch? Im Prinzip müssten wir eigentlich nur das machen, was ohnehin schon seit Jahren durch die Gegend gebrüllt wird, nur halt noch schneller. Ausbau der erneuerbaren ist ziemlich offensichtlich, auch E-Autos und Wärmepumpen, alles aber eher langfristig. Kurzfristig müssen wir definitiv sparen, sowohl an Öl als auch an Gas.
Tatsächlich ist die Angst vor Mangel an Gas und Öl so heftig, dass es massive Profite für Raffinerien gebracht hat [15][16]. Und: Der Staat muss soziale Verwerfungen kompensieren. Dabei muss aber beachtet werden, dass mehr Geld per se nicht das Problem des Mangels eines Gutes löst. Das ist auch der Grund, warum direkte Steuersenkungen oder andere Subventionen auf Öl und Gas nicht sinnvoll sind [17][18][19]. Das ist im Prinzip der Versuch, mehr Güter zu verteilen, als tatsächlich da sind.
Eines muss klipp und klar gesagt werden: Wir können nicht damit rechnen, dass es so weiter geht wie bisher. Daher finde ich, dass die Ökonomen sich weniger auf die potentiellen Folgen eines Embargos konzentrieren sollten, als viel mehr Lösungen bereitstellen, wie wir das schlimmste verhindern. Ich verlinke hier einfach Mal ein paar von diesen Lösungen [20][21]. Im Prinzip nichts neues, Tempolimit zum Beispiel um wenigstens ein bisschen was einzusparen, Atomkraft noch verlängern, wobei das wahrscheinlich nur Kohle ersetzt, aber besser als nichts, und generell alles tun, was den Verbrauch reduziert. Alles, was wir jetzt einsparen, haben wir später im Winter, wo wir es dringend brauchen werden. Danach kann der verstärkte Ausbau von EE und Wärmepumpen anfangen zu wirken.
Im Zweifelsfall muss eventuell eine Kriegswirtschaft nach US-Amerikanischem Vorbild von 1945 aufgesetzt werden. Um wirklich knappe Ressourcen zu verteilen für den Fall, dass es so schlimm wird, dass der Preismechanismus nicht mehr sinnvoll eingesetzt werden kann. Dazu hab ich auch etwas geschrieben, aber nie veröffentlicht. Dort sind noch detailliertere Ausführungen sowie ein paar Ideen enthalten [22].
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[1] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/swift-ausschluss-russland-ukraine-krieg-101.html
[2] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/swift-111.html
[3] https://twitter.com/jsuedekum/status/1497662558341242881
[4] https://twitter.com/gri_mm/status/1497887993889239044
[5] https://twitter.com/jsuedekum/status/1498960527107702784
[6] https://www.finanzen.net/devisen/russischer_rubel-euro-kurs
[7] https://twitter.com/jeuasommenulle/status/1505962132676001796
[8] https://www.econtribute.de/RePEc/ajk/ajkpbs/ECONtribute_PB_029_2022.pdf
[10] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Vollkommener_Markt
[11] https://de.m.wikipedia.org/wiki/Homo_oeconomicus
[13] https://twitter.com/gri_mm/status/1511303853282676736
[14] https://twitter.com/LukaszRachel/status/1504137307015757825
[15] https://twitter.com/jsuedekum/status/1503990090229559297
[16] https://twitter.com/OliverPicek/status/1504114319495155721
[18] https://twitter.com/MonikaSchnitzer/status/1503748495676780552
[19] https://twitter.com/DIW_Berlin/status/1503702690311909378
[20] https://twitter.com/MFratzscher/status/1517425240757919744
[21] https://twitter.com/GeorgZachmann/status/1509913619630370821
[22] https://docs.google.com/document/d/1BD6d-fsBx3H2qhrj9eobI1LCJOWBp9yAb_-6x-uhUBQ/edit?usp=drivesdk
Redaktionsmitglied Sperling
Redakteur seit 2011, Kernteam der Redaktion seit 2013. De facto "Leitung" ab 2016, irgendwann auch offiziell Chefredakteur - bis 2023. Schreibt und Podcastet nur wenn ihm die Laune danach steht, zahlt aktuell die Infrastruktur der Flaschenpost, muss aber zum Glück nicht haften 🙂