Der Beginn
Es ist das Schuljahr 1987/88 am Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg. An der Schule beginnt ein antisemitisches Pamphlet in Umlauf zu geraten, welches von einem “Bundeswettbewerb: Wer ist der größte Vaterlandsverräter?” handelt und als Hauptpreis “Ein Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz” anpreist. [1]
Relativ schnell und ohne großes Aufsehen darauf zu erregen [2], werden die Flugblätter bereits kurz nach der Entdeckung eingesammelt und schnell findet sich auch ein potenzieller Übeltäter. Damals vor 35 Jahren wurden mehrere Kopien des Flugblattes in der Schultasche von Hubert Aiwanger gefunden, weshalb man ihn auch gleich der Urheberschaft beschuldigte, was jener damals nicht bestritten hat. [3] Warum man überhaupt einen Blick in seine Schultasche warf? Wer weiß. Vielleicht wurde er ja auf frischer Tat ertappt. Oder den Lehrern war damals bereits bekannt, was unter Mitschülern wohl kein großes Geheimnis war: Hubert neigte wohl dazu, beim Betreten des Klassenzimmers den Hitlergruß zu zeigen, mit dem Lesen von Mein Kampf zu prahlen und zu behaupten, er würde zuhause Reden von Adolf Hitler vor dem Spiegel auswendig lernen. [4][5]
Da liegt es durchaus nahe, beim Auftauchen eines antisemitischen Pamphlets zuerst in dessen Schultasche nach Beweisen zu suchen. Aber nach der Überführung des Übeltäters hielt sich die Strafe doch eher in Grenzen: Er wurde dazu verdonnert, ein Referat über das dritte Reich zu halten. In Anbetracht der Tatsache, dass zu ähnlicher Zeit in Bayern eine Schülerin für das Tragen eines “Stoppt Strauss” -Buttons der Schule verwiesen und vom bayrischen Verfassungsschutz beobachtet wurde, eine skandalös milde Strafe, sie zeigt jedoch das damalige politische Klima. [6]
Jahre später
Nun befinden wir uns im Jahr 2008, Aiwanger war mittlerweile Landesvorsitzender der Freien Wähler in Bayern e.V. und der Freien-Wählergruppe und befand sich vermutlich mitten im Wahlkampf zur Europawahl 2009. Aber es war auch das Jahr der Landtagswahl, bei der die Freien Wähler mit ihrem neuen Fraktionsvorsitzenden Hubert Aiwanger zum ersten Mal mit 10 % in den bayrischen Landtag einzogen. Aiwanger hat mittlerweile eine beachtliche politische Karriere aufgebaut, um welche er sich wohl im Laufe der Wahlkämpfe begann Sorgen zu machen. So kam es, dass 2008 eine Landtagsabgeordnete der Freien Wähler einen ehemaligen Lehrer von Hubert Aiwanger anrief, um zu sondieren “ob von ihm Gefahr drohe”. Auch wenn sie es nicht explizit erwähnte, war laut dem Lehrer ziemlich klar, dass es sich um das damalige Pamphlet handeln musste. [8]
Heute
Nachdem erneut Jahre vergangen waren, gerät nun alles an die Öffentlichkeit, als sich besagter Lehrer, wohl alarmiert von Aiwangers rechtspopulistischen Äußerungen – allen voran seiner Rede in Erding – bei der Süddeutschen Zeitung meldete. Diese publizierte die ganze Thematik daraufhin, fragte jedoch vorher Aiwanger nach einem Statement zu den Vorwürfen, woraufhin sein Sprecher beteuert, Aiwanger sei nicht der Autor dieses Pamphlets. Wenig später nach den ersten öffentlichen Empörungswellen meldete sich Aiwanger selbst in einem schriftlichen Statement zu Wort: Er verabscheue dieses menschenverachtende Pamphlet, er habe damals zwar vielleicht 1-2 in seiner Tasche gehabt und sei dafür als Autor bestraft worden, aber er sei nie der Urheber gewesen. Außerdem äußerte er, dass er den Urheber kenne, er wolle ihn jedoch nicht verraten, sondern dieser würde sich selbst melden. Bereits etwas später bekannte sich daraufhin sein Bruder Helmut Aiwanger als Urheber des Pamphlets, weil er damals eine Klasse wiederholen musste und sauer war auf seine vielen “linken Lehrer”, weshalb er diese mit dem Flugblatt auf die Palme bringen wollte. [9]
Fazit
Man könnte nun natürlich sagen: Gut, Helmut hat zugegeben, es verfasst zu haben, Fall geschlossen. Aber damit möchte ich mich nicht vor schnell zufriedengeben, da ich persönlich diese ganze Geschichte doch an einigen Punkten für nicht ganz so plausibel halte und aufgrund der Erkenntnisse durchaus meine Zweifel an Hubert Aiwangers Unschuld hege. Zu dieser Einschätzung bewegen mich folgende Gründe:
- Die Flugblätter: Eines der deutlichsten Beweismittel für zumindest Huberts Beteiligung sind die in seiner Schultasche gefundenen Flugblätter. Es mag sein, dass er die Flugblätter nur wieder eingesammelt hat, um seinen Bruder zu schützen. Dann frage ich mich jedoch, weshalb er das in seinem Statement nicht auch so gesagt hat. Stattdessen gab er zu, vielleicht welche in seiner Schultasche gehabt zu haben, aber ob er sie auch verteilt habe, kann er sich nicht erinnern. [3]
- Helmuts Geschichte: Mal abgesehen vom Zeitpunkt von Helmuts öffentlichem Statement kurz nach dessen Ankündigung durch Bruder Hubert, gibt es dennoch ein paar Punkte, die in meinen Augen Zweifel aufwerfen: Dass Helmut, um seine Lehrer wegen des Durchfallens auf die Palme zu bringen, in seiner Wut ein derart menschenverachtendes, antisemitisches Pamphlet verfasst hat, finde ich fragwürdig, da es sich eher so liest, als stecke mehr eine tiefgründige Ideologie dahinter, als ein Streich eines wütenden, frustrierten Jungen. Genauso unrealistisch erscheint mir der Auslöser durch linksradikale Lehrer, welche zu RAF-Unterstützung und linken Demos aufgerufen haben. Und das wohlgemerkt in einer Zeit, in der dich der Verfassungsschutz wegen eines “Stoppt Strauss”-Buttons beobachtet. [6][9]
- Die Anrufe: Interessant sind ebenfalls die Anrufe bei Huberts ehemaligem Lehrer, um zu überprüfen, ob dieser dichthalten wird. Der zweite Anruf von derselben Abgeordneten (diesmal explizit im Auftrag Aiwangers) nach der Anfrage der Süddeutschen Zeitung, ob besagter Lehrer deren Quelle sei, wirft auch nicht gerade ein besseres Licht auf Hubert. [8]
- Das Gutachten: Die Süddeutsche Zeitung hat des Weiteren ein forensisches Gutachten vorgelegt, was beweist, dass das Pamphlet mit derselben Schreibmaschine geschrieben wurde, wie die Facharbeit von Hubert Aiwanger. Ob dies ein stichhaltiger Beweis für die Schuld von Hubert ist, wage ich zu bezweifeln, so war es damals eher üblich, dass man eine Schreibmaschine hatte, die sich die ganze Familie teilt. [10]
- Die Klassenkameraden: Abschließend und für mich persönlich am wichtigsten sind die Aussagen seiner Klassenkameraden. Dass Hubert Aiwanger damals regelmäßig Hitler-Grüße zeigte und dessen Reden übte, zeigt für mich eindeutig, dass er zumindest die nötige Ideologie zu haben schien, etwas Derartiges zu verfassen. Auch wenn er seine Erinnerung daran verloren zu haben scheint, lassen diese ihn und sein rechtspopulistisches Gehabe in einem anderen Licht erscheinen und sollten sie sich bewahrheiten, sind sie mindestens ein ebenso großer Skandal wie das Pamphlet selbst. [4][5][7]
Alles zusammen gefasst komme ich dadurch zu dem Schluss, dass in meinen Augen die ganze Argumentation der Aiwangers zumindest viele Fragezeichen aufwirft und man die Schuldfrage nicht zu schnell als geklärt betrachten sollte. Auch für Hubert Aiwanger gilt zwar die Unschuldsvermutung, aber als stellvertretender Ministerpräsident von Bayern hat er dennoch eine gewisse Verantwortung und sollte sich entsprechend verhalten. Selbst wenn er sich am Ende als unschuldig herausstellen sollte, war zumindest sein Umgang mit der Thematik doch mehr als unprofessionell und er hätte mehrmals, bspw. 2008, Gelegenheit gehabt, das Ganze transparent zu machen. Sollte er jedoch damals schuldig gewesen sein, so wäre das immer noch 35 Jahre her und ein Schuldeingeständnis samt glaubwürdiger Distanzierung hätte viel bewirkt. Nun allerdings hängt seine Karriere von genau dieser Frage ab: War sein Umgang damit nur unprofessionell oder hat er statt Charakter zu zeigen seinen Bruder als Bauernopfer vorgeschickt. Ob und wie diese Frage zu beantworten ist, das sollte jeder anhand der Fakten für sich selbst entscheiden, zumindest bis aus irgendeinem Grund (wegen Vorwürfen von Verleumdung und einer Schmutzkampagne vielleicht) ein Gericht eine Entscheidung diesbezüglich trifft.
[6]: https://www.sueddeutsche.de/bayern/flugblatt-aiwanger-schule-meinungsfreiheit-strauss-1.6171980
[8]: https://www.sueddeutsche.de/bayern/aiwanger-flugblatt-bayern-wirtschaftsminister-1.6171787
[10]: https://www.sueddeutsche.de/bayern/aiwanger-flugblatt-gutachten-1.6165864
Redaktionsmitglied Julian Häffner
Ich bin 20 Jahre alt und seit 2019 Mitglied der Piratenpartei. Ich studiere aktuell Lehramt an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Außerdem bin ich Vorsitzender im Kreisverband Nürnberger Land & Roth und stellvertretender Vorsitzender des Bezirksverbandes Mittelfranken der Piratenpartei. Seit 2021 bin ich zudem Mitglied der Redaktion der Flaschenpost.
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