Markus Beckedahl von Netzpolitik.org hat in der vergangenen Woche Jens Seipenbusch zum Aufschub von Liquid Feedback interviewt. Dieses Interview wollen wir euch nicht vorenthalten:
Die Piratenpartei debattiert immer noch über die Einführung von LiquidFeedback. Da mich nach meinen beiden Artikeln zur Einführung in der vergangenen Woche zahlreiche Mails und Kommentare erreichten, hab ich einige offene Fragen mal an den Bundesvorsitzenden der Piratenpartei, Jens Seipenbusch, geschickt mit der Bitte um Beantwortung. Andere Stimmen lasse ich auch gerne noch zu Wort kommen. Aber hier ist erstmal die Sicht von Jens auf zahlreiche Fragen.
netzpolitik.org: Die Nutzungsbedingungen haben dir schon länger vorgelegen. Aus euren Protokollen ist ja alles schön transparent sichtbar. Hast du deine Bedenken vorher formuliert und wenn nicht, wieso nicht?
Jens Seipenbusch: Die Debatte um die Nutzungsbedingungen begann mit der Entscheidung des zuständigen Vorstandsmitglieds, diese Texte für viel Geld von einer Berliner Kanzlei ausarbeiten zu lassen. Es wurde mehrfach der Eindruck vermittelt, wir selber seien dazu nicht in der Lage und die gekauften Bedingungen seien perfekt und professionell. Nach später Übermittlung dieser Bedingungen war sofort klar, dass die so nicht akzeptabel sind und dies ist auch sofort angemerkt worden. Dabei wurde die Kritik an der reinen Ausarbeitung leider stark von der Diskussion um einige Parameter-Einstellungen der Software selbst überlagert, da diese in den Nutzungsbedingungen ja festgeschrieben waren. Zudem wurde jede Änderung an den Nutzungsbedingungen abgelehnt mit dem Argument, man müsse dann wieder zur Kanzlei und erneut Geld ausgeben, sonst verliere man den vereinbarten Rechtsschutz.
netzpolitik.org: Was wäre der perfekte Datenschutz für ein Liquid-Feedback-System?
Jens Seipenbusch: Es kommt auf den Anspruch an, den man an das System hat. Mit dem Anspruch, dass diese Software verlässliche und maximal nachvollziehbare Sachabstimmungen ermöglicht, muss man einige Punkte des Datenschutzes opfern. Der bisher von der Partei per Bundesparteitagsbeschluss geäußerte Anspruch hingegen, nämlich diese Software als letztlich unverbindliche Vorbereitungsplattform für einen Programmparteitag zu nutzen, lässt sich sehr wohl mit höherem Datenschutz vereinbaren. Das Motto ‘transparenter Staat statt gläserner Bürger’ wird halt schwierig, wenn man einerseits sehr stark direktdemokratisch agieren will und andererseits die innerparteiliche Willensbildung fälschlicherweise als Teil staatlichen Agierens definiert.
netzpolitik.org: Was sind die konkreten Mängel im System aus technischer Sicht?
Jens Seipenbusch: Die Frage verstehe ich so nicht. LF steht vor denselben Herausforderungen, die jedes Abstimmungssystem hat, wenn es eine möglichst manipulationsunanfällige, aber dennoch auf eine Mitgliederdatenbank zurückführbare Abstimmung ermöglichen will. Die technischen Details sind bekannt und m. E. nicht strittig.
netzpolitik.org: Du hast Anfang Juli im Wiki eine Seite angelegt, um einen Beraterkreis zu initiieren. Die Seite weißt keine weiteren Änderungen aus, was ist daraus geworden?
Jens Seipenbusch: Der Beraterkreis soll nicht primär zur Einführung des Systems dienen, hier hat die LF-Gruppe ja bereits selbst einen Kreis von Leuten, die konkrete Fragen beantworten usw. Es geht mir dabei mehr um eine nichttechnische kritische Begleitung, die etwas abstrakter die Erkenntnisse zu diesem System bündelt und auch diejenigen einbindet, die es u. U. gar nicht benutzen (wollen). Diese Begleitung beginnt im Grunde erst, wenn das System eingesetzt wird.
netzpolitik.org: In einer PM kündigt ihr eine Verschiebung des Starts um 2-3 Wochen an. Wie wollt ihr bis dahin die Datenschutz- und Nutzerbedingungen verändert und das System neu aufgesetzt haben, wenn die bisher damit befassten nicht mehr involviert sind?
Jens Seipenbusch: Unser Beschluss bezieht sich nur auf die betreibenden Adminstratoren, das heißt keineswegs, dass die ‘damit befassten’ Leute nicht mehr involviert werden. Es ist aber wichtig, dass wir die Auseinandersetzungen der letzten Wochen nicht sozusagen in den Betrieb von LF übernehmen, daher setze ich auf Administratoren, die der Sache weniger extrem gegenüberstehen. Wir werden nun auf diejenigen zugehen, die mit uns gemeinsam LF einführen wollen, ohne dabei eine Spaltung der Partei zu riskieren. Ich bin überzeugt davon, dass auch unter den bisher für LF tätigen Piraten genügend besonnene dabei sind, die unsere Maßnahme verstehen. Es tut mir sehr leid um diejenigen, die sich jetzt fälschlicherweise vor den Kopf gestoßen fühlen, dies werden wir nun ausräumen müssen.
netzpolitik.org: Ist dieser Termin aus der PM aus deiner Sicht haltbar?
Jens Seipenbusch: Wir verfolgen den Fahrplan, wie er im Beschluss vom 5.8. genannt ist. Die Verträge und Server sind im Besitz der Partei, daher halte ich das natürlich für möglich. Es ist viel gute Vorbereitungsarbeit geleistet worden, sodass wir ja nicht alles neu machen müssen.
netzpolitik.org: In eurer Vorstandssitzung vom 29.7. war ein Vertreter der Bundes-IT und da ist hörbar, dass bei anderen Partei-Infrastrukturen der Datenschutz nicht so genau genommen wird. Warum werden diese Bedenken gerade bei Liquid-Feedback in den Vordergrund gestellt?
Jens Seipenbusch: Da hast du was anderes gehört als ich. Der Datenschutz wird bei uns sehr genau genommen, bei allen unseren Projekten. Nur ist es eben ein Unterschied, ob ich eine Software betreibe, die freiwillig oder sogar anonym benutzbar ist, oder eine wie LF, die darauf ausgelegt ist, eine auf die konrekte Person in der Mitgliederdatenbank zurückführbare politische Willensbildung des Einzelnen lückenlos und auf ewige Zeiten zu dokumentieren. Ist doch klar, dass man misstrauisch wird, wenn man solche Dinge in den Nutzungsbedingungen liest, oder? Kein anderes unserer System versucht beispielsweise, die Sperrung oder Löschung von persönlichen Daten abzubedingen, insofern ist das völlig angemessen, bei LF darüber zu streiten und vor allem auch sich dafür etwas Zeit zu nehmen.
netzpolitik.org: Es gibt den Vorwurf, dass die Nutzungs- und Datenschutzbedingungen nicht BDSG- und TMG-konform seien. Teilst du diese Auffassung und wenn ja, warum?
Jens Seipenbusch: Nicht rechtsverbindlich gesprochen teile ich diese Befürchtungen, ja. Meine Kritikpunkte habe ich mehrfach klar formuliert und auch mehrfach Änderungsbedarf angemerkt und sogar konkrete Änderungen vorgeschlagen, bspw. eine Löschung / Sperrung nach 3 bzw. 5 Jahren, wie ich sie auch mit unserem Datenschutzbeauftragten besprochen hatte. Insgesamt sehe ich aber durchaus die Möglichkeit, die Dinge miteinander in Einklang zu bringen, also die politisch gewünschte Fälschungssicherheit der Abstimmungen und den Datenschutz der Mitglieder. Leider sind meine (und auch andere) Kompromissvorschläge bisher größtenteils nicht berücksichtigt worden.
netzpolitik.org: Wieso hast du dagegen gestimmt, als Andreas Bogk ein Security-Audit angeboten hat?
Jens Seipenbusch: Das habe ich doch bereits erklärt. Im Vorfeld der Abstimmung hatte ich den Antragsteller, Christopher Lauer, darum gebeten, nicht eine unbefristete und unbestimmte Beauftragung zu erteilen, sondern für das Audit auch konkrete Ziele festzulegen, auf die wir uns beziehen können. Es geht hier also nicht um den Inhalt, sondern um die Wirkung. Ich hatte mir erhofft, wir könnten das Security-Audit mit einer konkreten zeitlichen Zielsetzung beschließen, da sich solche unbestimmten Beschlüsse in der Vergangenheit als wenig nützlich herausgestellt haben. Ich habe also dagegen gestimmt, um eine bessere Variante zu bekommen, zumal es hier ja nicht um etwas zeitkritisches ging. Die Vorlage ist aber dann bereits ohne Änderung beschlossen worden, insofern eigentlich nichts besonderes, außer dass Fefe darüber geschrieben hat, dem ich das auch schon erklärt habe.
Autor: Markus Beckedahl
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