Als Präsidentin von „Innocence in Danger“ kämpft Stephanie zu Guttenberg gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern. Es ist ein wichtiges und bedrückendes Thema, dem sie sich da widmet. Umso strenger sind die Methoden zu bewerten, mit denen diese Dame arbeitet. Hektische Schnitte und Blenden, dramatische Farbfilter und reißerische Zwischenblenden. Jede Dokumentation in diesem Stil ist in aller Regel wertloser Schrott. RTL II jagt zusammen mit Stephanie zu Guttenberg pädophile Männer. Mit fiktiven Chatprofilen werden potenzielle Kinderschänder angelockt – und vor die laufende Kamera gezerrt. Journalistische Sachlichkeit? Absolute Fehlanzeige. Es ist ja schon lange bekannt, dass man ohne Niveau mehr Geld verdienen kann.
Was da am Donnerstag zwischen 20:15 Uhr und 21:30 Uhr auf RTL II flimmerte, war wirklich abartig. Die Vorbereitungen von Krafft-Schöning (Journalistin) und dem Team von RTL II sind wie ein schlechter Krimi inszeniert. Wenn Krafft-Schöning dann triumphierend und lächelnd vor den potenziellen Kinderschändern sitzt, welche dann nur noch absurde Entschuldigungen stammeln, merkt man, worum es in der Sendung eigentlich geht. Es geht nicht primär um Informationen für Kinder und deren Eltern, sondern um eine Hetzjagd. Diese Szenen machen den entscheidenden Teil von Tatort Internet aus. „Pädophile Täter lauern überall“, lautete einer der Merksätze. Wirklich wichtige Informationen fehlten komplett. Dabei wäre es so wichtig, korrekte Zahlen zu nennen, bei den Daten genau zu sein und nicht zu übertreiben. Was für Statistiken waren das, die Stephanie zu Guttenberg zitierte? Wie lassen sich die genannten Zahlen belegen? Die Antworten blieben aus. Die genannten Zahlen scheinen reine Fiktion zu sein. Mit Aufklärung hatte die Sendung nichts zu tun.
Die Protagonisten dieser Sendung bekommen eine Bühne, um sich als glorreiche Rächer in Szene zusetzen. Es geht um Populismus, um Angst- und Moralpolitik und um die Dämonisierung des Internets. Diese ganze Show dient als Ersatzstrafe. Mediale Selbstjustiz, ganz nach dem Vorbild „To Catch a Predator“. Der Zuschauer kann sich ein bisschen gruseln und etwas Schadenfreude bezüglich der Täter ausleben. Im Gegensatz zum Original waren die vermeintlichen Täter aber unkenntlich gemacht. Die gezeigten Fälle wurden angeblich alle den Behörden gemeldet. Anstatt zu zeigen, wie man erst gar nicht zum Opfer wird, stürzt man sich auf die Täter. Bei vielen bekannten Communitys existieren Leitfäden für Kinder und Eltern. Wer wirklich Kinder schützen will, hätte dies in die Sendung eingebaut. Jetzt missbraucht Frau zu Guttenberg das Thema Kindesmissbrauch zusätzlich für ihre persönliche Publicity. Wer sich in der Bild über die Sexualisierung der Jugend aufregt und über diverse Popstars herzieht, und dies bei einer Zeitung, welche nicht mal auf der eigenen Internetseite viel Wert auf strengen Jugendschutz legt, den kann man nicht mehr wirklich ernst nehmen, oder?
Irgendwann zeigt man das Bild einer 12-Jährigen, die sich verdeckt durch einen Computerbildschirm die Bluse aufknöpft. Danach hat man ein minderjähriges Opfer erzählen lassen, was geschehen war. Ein Mädchen und dessen Mutter berichten darüber, wie das Mädchen sich dazu erpressen lassen hat, Nacktbilder zu einem angeblich 16-jährigen Jungen zu schicken. Hier ist die gesamte Bigotterie von „Tatort Internet“ endgültig sichtbar geworden. RTL II hat während des gesamten Beitrags das Mädchen ohne jegliche Anonymisierung gezeigt. Hätte man dies getan, hätte man die Verlegenheit und die Scheu des Mädchens – „Ich spreche nicht mehr drüber, weil ich das nicht mag.“ – nicht so deutlich zeigen können, man hätte die Hilflosigkeit der Mutter nicht so gut einfangen können. Auf den Schutz der Opfer legte man weniger Wert als auf Effekte. Es haben nun mehr als 1,4 Millionen Menschen die peinlichen Details der Chats und der Bilder erfahren. Das unverpixelte Bild des Mädchens brachte keinerlei Erkenntnisgewinn. Dennoch wird sie wahrscheinlich künftig immer wieder darauf angesprochen werden. Falls die Eltern das nur nicht bedacht haben: Wie gewissenlos, müssen die Fernsehmacher sein, dass sie hier nicht auf die Bremse treten?
Was da vorgeblich zum Schutz von Kindern aufgezogen wird, ist selber auch eine Art von Kindesmissbrauch. Der mediale Missbrauch nach dem Missbrauch. Jeder Richter hätte bei einer Verhandlung die Öffentlichkeit für die Dauer der Befragung ausgeschlossen. RTL II hat das nicht nötig.
Innocence in Danger macht sich hier mutwillig zum Werkzeug einer Kampagne der Union, um endlich doch noch Netzsperren und eine neue Vorratsdatenspeicherung durchzudrücken – auch wenn das sog. Grooming, also das Sich-Ranmachen an Kinder im Internet, damit technisch nichts zu tun hat. Vorgeblich geht es darum, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, um Grooming unter Strafe zu stellen. Dies dient aber nur als Einstieg, um alle Gesetzesvorhaben wieder aufzuwärmen. Fazit: Flach, pathetisch, unsachlich und denkbar ungeeignet Kinder zu schützen. In dieser Atmosphäre kann keine sinnvolle Debatte stattfinden, die so dringend notwendig wäre.