Das heißt, dass wir eine sehr selten angewendete Strafvorschrift aus dem Strafgesetzbuch nehmen wollen, die eine bestimmte Form von einvernehmlichen Sex (nämlich den Beischlaf, also Vaginalverkehr) zwischen Erwachsenen, aber eben nah Verwandten bestraft.
Aber so was bleibt doch nicht ohne Folgen für das Opfer?
Sexueller Missbrauch von Kindern oder Schutzbefohlenen wird hart bestraft und das ist auch gut so. Genauso wie z.B. Vergewaltigung zu Recht bestraft wird. Aber für all das gibt es eigene, andere Paragraphen, die die sexuelle Selbstbestimmung schützen. Der §173 StGB kommt nur zur Anwendung, wenn es kein solches Opfer gibt.
Was wird denn dann geschützt?
Der Gesetzgeber sieht es als Vergehen gegen den Familienstand. Er sagt, dass solches Verhalten dazu führt, dass der Staat sonst nicht mehr die Familienverhältnisse feststellen oder garantieren kann. Dabei geht er davon aus, dass solcher Sex eben zu Kindern führt. Und das will er verhindern. Deswegen stellt er andere Formen von Sex, z.B. Analsex oder Oralsex, auch genauso wenig unter Strafe wie gleichgeschlechtlichen Sex unter nahen Verwandten.
Aber dafür gibt es doch gute Gründe! Was ist denn mit Erbkrankheiten und so?
So hat man lange argumentiert, weil man ja um die Probleme bei Inzucht weiß. Deswegen hieß der Paragraph bei den Nazis auch noch „Blutschande“ – man fürchtete um die Reinheit des arischen Volkskörpers. Aber Inzest und Inzucht sind ganz verschiedene Sachen. Solche Phänomene entstehen, wenn über viele Generationen hinweg der gleiche genetische Pool genutzt wird. Das geht auch ganz ohne Inzest, z.B. bei den alten europäischen Königshäusern. Zudem kann man heute genauso Kinder auch ohne Sex bekommen wie man Sex haben kann, ohne Kinder zu bekommen. Diese Gleichsetzung ist längst überholt – und die Vorstellung, es könnte so etwas wie „unwertes Leben“ geben, auch.
Aber in Ordnung ist das doch trotzdem nicht, damit werden doch nur die natürlichen Familienbanden zerstört.
Nicht die Zerstörung der Familienbanden ist Folge des Inzests, es ist umgekehrt. Es gibt eine natürliche Inzesthemmung, die ganz ohne Strafrecht funktioniert und die Familien zu solchen macht. Fehlt diese, kann es zu Inzest kommen. Man mag das für unmoralisch halten oder gar für krank – aber es ist nichts, worauf der Staat mit Strafen reagieren soll oder gar muss. Den meisten europäischen Länder fehlt inzwischen ein vergleichbarer Paragraph. Es ist dadurch nirgends zu einem bemerkbaren Anstieg der Inzest Fälle gekommen – es ist weltweit ein sehr, sehr seltenes Phänomen. Es ist auch sehr fraglich, ob es zerstörten Familien hilft, wenn der Staat in dieser Situation auch noch mit Strafen, etwa Haftstrafen, handelt. Hier sollte der Staat, wenn überhaupt, eher helfend und beratend eingreifen.