Für viele waren die USA stets das Land, das Europa unter unvorstellbaren Opfern vom Faschismus befreite. Mehr noch: als die Faschisten besiegt waren und in Deutschland politisches Vakuum herrschte zeigten sie uns, wie Demokratie geht – wir Deutschen ließen uns gerne anleiten und bauten einen Staat auf und fort (!), der seinen Bürgern Freiheit gewährte, die unabhängige Presse respektierte, während Repräsentanten dieses geläuterten Deutschlands im Ausland mit der gebotenen Zurückhaltung auftraten.
Derweil zogen die USA auf andere Bühnen der Weltgeschichte weiter, doch nicht immer waren ihr Handeln so uneingeschränkt gut wie im Westteil von Nachkriegsdeutschland: In Guatemala wurde wegen ein paar Bananen eine Revolution anzettelt, Vietnam wurde in die Steinzeit zurück gebombt. 1973, es war deren 11. September, half der US-Geheimdienst den demokraitisch gewählten Präsidenten Chiles zu stürzen und eine Militärdikratur zu errichten. Sie rüsteten Sadam Hussein auf, damit er Krieg gegen den Iran führt. Denn im Iran wurde 1979 der Diktator gestürzt und die Ölquellen verstaatlicht. Doch Hussein vergeigte die Mission, fiel in Ungnade und als er später die Hand biss, die ihn fütterte, befreiten US-Truppen den Irak vom Diktator und ließen ihn aufknüpfen. Inzwischen wurde die ganze Welt in die Koalition der Willigen gezwungen: Die Bundeswehr besetzt seitdem wieder fremde Länder, wir liefern die Bank- und Überweisungsdaten jedes Bundesbürgers in Washington ab. Wir führten amerikanische Gesetze ein, die schwachsinnigen Patenten auch hier Wirksamkeit verschaffen. Wir essen Genfood, obwohl der Esstisch auch vorher schon üppig gedeckt war. Und reisen wir in die USA, geben wir unsere Fingerabdrücke ab – als seien wir Verbrecher! Schlimme Erinnerungen an die Einreise in den Unrechtsstaat DDR werden spätestens dann wach, wenn die Einreisegebühr von 14$ zu bezahlen ist.
Ja, die USA besiegten Hitler und brachten uns die Freiheit – und dafür werden wir immer dankbar sein. Aber die unschöne Gegenwart lässt die Erinnerung an die Befreiung vor 65 Jahren verblassen. Die Untaten, die heute im Namen Amerikas begangen werden, können wir nicht schweigend hinnehmen oder gar ignorieren. Denn heute führen die USA wieder Krieg. Es ist ein Cyberkrieg gegen die Enthüllungsseite Wikileaks und deren Betreiber. Aber es war nicht deren Pressesprecher Julian Assange, der im Irak Journalisten abschlachtete. Es war nicht Assange, der weltweit Politkiker und Diplomaten arrogant und von oben herab in Schubladen steckte. Assange hat die geheimen Zusatzvereinbarungen zur Lkw-Maut nicht unterschrieben, er war weder an den Finanzschiebereien der isländischen Kaupthing-Bank beteiligt, noch hatte er den Finger am Abzug, als in Kunduz 90 Afghanen starben. Und schon gar nicht übte er Druck auf spanische Politiker aus, um zu verhindern, dass die EU wegen Mordes gegen US-Soldaten ermittelt.
Dass Interpol einen internationalen Haftbefehl wegen des Verdachts auf Vergewaltigung erlässt ist höchst ungewöhnlich, wenn nicht gar einzigartig. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Verdacht auf eine Sexualstraftat ist ein ernsthafter Vorwurf, dem muss nachgegangen werden. Doch die Möglichkeit, dass hier die beliebte Missbrauchskeule geschwungen wird, da die Gesetze die Verbreitung von Informationen nunmal nicht verbieten, liegt doch nah. Wir erinnern uns: schon 2009 wurde wikileaks.de einkassiert – wegen Verbreitung pornographischer Schriften. Dass Amazon die Dokumente von Wikileaks nicht mehr hostet ist ihr gutes (Vertrags-)Recht. Doch kein Mensch glaubt, dass es um Vertragsverletzungen von Seiten Wikileaks geht. Auchg nicht bei den gesperrten PayPal-Konten, nicht beim gekündigten EveryDNS-Vertrag. Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um zu glauben: Hier übt jemand mächtig Druck aus. Wikileaks selbst soll ausgelöscht, Julian Assange vernichtet werden. Inzwischen wurde gar der Ruf nach der Todesstrafe für Enthüllungen laut! Nur um die eigenen Schandtaten im Dunkeln zu schützen!
Dass das Land, das uns von Hitler befreite und uns Deutschen zu guten Demokraten machte, seit einiger Zeit schon die Meinungsfreiheit, die Demokratie und die Souveränität anderer Staaten mit Füßen tritt ist eine Tragödie griechischen Ausmaßes. Doch auch gute Taten verjähren – ihre Strahlkraft verblasst mit jedem Stückchen Dreck, das im Lauf der Jahre hinzu kommt. Heute müssen wir den USA zurufen: wir haben damals von euch gelernt und verinnerlicht, was ihr uns beigebracht habt. Was ihr tut ist falsch. Es ist falsch an sich, es ist falsch nach dem Rechtsverständnis, das wir damals lernten. Zum Vorbild taugt ihr nicht mehr!
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.