Am 3.1. sorgte ein offener Brief der drei Liquid Feedback-Entwickler (Jan Behrens, Björn Swierczek und Andreas Nitsche) für hohe Wellen. Darin werfen sie dem Bundesvorstand vor, das Bundesliquid nicht adäquat installiert zu haben: Es gäbe weder eine ordentliche Akkreditierung stimmberechtigter, noch eine Sperrung ausgeschiedener Mitglieder. Inzwischen gibt es dazu eine Stellungnahme des zuständigen Bundesvorstandes Christopher Lauer. Wir haben in diesem Zusammenhang mit Simon Weiß, zuständig für den Support im noch bestehenden LQFB-Team gesprochen.
Flaschenpost: Hallo Simon! Schön, dass Du Dir wieder einmal die Zeit für uns nimmst.
Wie ist die Situation im Team nach dem Ausstieg der drei Entwickler?
Simon: Wir finden es natürlich sehr schade, die Entwickler als Mitstreiter auf der Bundesebene damit erst einmal verloren zu haben. Ich hoffe aber, dass damit vielleicht auch wieder mehr Zeit und Energie in die Weiterentwicklung von LiquidFeedback investiert werden kann. Die Arbeit des eigentlichen Projektteams geht weiter, auch wenn es dadurch ein Mitglied verloren hat. Die Entwickler hatten eigentlich immer Wert darauf gelegt, bei der Einführung des Bundesliquids eher als „externe Berater“ zu fungieren – Björn ist eine Ausnahme, weil er sich auch um Sachen wie die Prozessbeschreibungen gekümmert hatte.
Flaschenpost: Ist die Situation so dramatisch, wie sie im offenen Brief beschrieben wurde?
Simon: Bezüglich des Abgleichs mit der Mitgliederdatenbank muss man leider feststellen, dass die benannten Probleme tatsächlich existieren. Die Akkreditierung zu LiquidFeedback kann nur so gut sein wie die Mitgliederverwaltung der Piratenpartei, deren jetziger Zustand keine geeignete Erfassung der Stimmberechtigung ermöglicht. Die Folge davon ist, dass auch nicht stimmberechtigte und teilweise sogar schon ausgetretene Mitglieder vorerst eingeladen werden mussten; am bedauernswertesten ist wohl, dass auch die zeitnahe Einladung von Neumitgliedern ins System nicht wirklich funktioniert.
Diese Probleme sind allerdings durchaus lösbar. Leider ist seit dem Rücktritt von Pavel Mayer im August vom Bundesvorstand noch kein neuer Verantwortlicher für die Mitgliederverwaltung benannt worden, der sich ihrer annehmen könnte. Zumindest für die Aspekte, die den Betrieb von LiquidFeedback betreffen, existiert aber nun eine Ausschreibung, auf deren Grundlage sich auch schon jemand gefunden hat.
Der Einschätzung, dass denjenigen, sie sich um die Einführung von LiquidFeedback nach dem Parteitagsbeschluss bemühten, erhebliche Steine in den Weg gelegt wurden, kann ich mich durchaus anschließen. Was in dieser Hinsicht von einigen Gegnern und Kritikern der Einführung an Unterstellungen, Anfeindungen und gezielten Störversuchen ausging – aber auch die Art und Weise, wie die Gesamtpartei damit umging – hätte sich sicher keiner von uns vorher in dieser Form vorstellen können. Diese Vorgänge haben uns alle einer großen Belastung ausgesetzt, ich kann den Schritt der Entwickler daher persönlich auch gut verstehen.
Flaschenpost: Wie sieht die Nutzung von LQFB aus? Was ist vom anfänglichen Hype übrig geblieben?
Simon: Zur Vorbereitung auf den Bundesparteitag wurde LiquidFeedback sehr intensiv genutzt; diese Aktivität ist inzwischen natürlich wieder abgeklungen. Eine ähnliche Aktivität wird sich wohl auch in Bezug auf zukünftige Parteitage wieder entfalten, dann hoffentlich über einen längeren Zeitraum der Vorbereitung verteilt.
Was die alltägliche Nutzung zu anderen Zwecken als Parteitagsvorbereitung angeht, muss man wohl feststellen, dass hier die Beteiligung zur Zeit hinter den optimistischeren Erwartungen zurückbleibt. Das würde ich zu einem erheblichen Teil darauf zurückführen, dass es dem Bundesvorstand noch nicht gelungen ist, LiquidFeedback in dem Maße in seine Arbeit zu integrieren, wie man dies aufgrund vorheriger Äußerungen hätte erwarten können.
Flaschenpost: Auf dem letzten Bundesparteitag gab es keinen Beschluss über die weitergehende Nutzung des Tools. Glaubst Du, die Piraten werden es von sich aus zur Vorbereitung eines weiteren Bundesparteitages nutzen?
Simon: Die Nutzung eines Werkzeugs hängt ja nicht von einem entsprechenden Beschluss ab, sondern davon, dass es von den Benutzern als geeignet angesehen wird. LiquidFeedback wäre sicher auch ohne den entsprechenden Beschluss zur Vorbereitung genutzt worden; die Antragsfabrik hat es in dieser Funktion jedenfalls sehr deutlich abgelöst. Falls sich kein besser geeignetes System findet, wird es diese Rolle wohl auch für die nächsten Parteitage einnehmen.
Flaschenpost: Wie sieht inzwischen eure alltägliche Arbeit aus?
Simon: Neben der regulären administrativen Tätigkeit am System selbst und der Beantwortung von Supportanfragen besteht die Aufgabe des Teams seit einer Weile auch in der Bearbeitung von Anträgen zum Systembetrieb. Zur Zeit bereiten wir insbesondere die Umstellung auf die neuen Nutzungsbedingungen vor.
Flaschenpost: Welche Änderungen am System sind denn schon vorgenommen worden bzw. noch vorgesehen?
Simon: Seit dem Beginn des Betriebs wurden eine Reihe von Softwareupdates eingespielt, die insbesondere eine Erweiterung der API und eine verbesserte Benutzeroberfläche beinhalten. Zukünftige Erweiterungen der Software werden nach entsprechender Prüfung ebenfalls übernommen werden. Features, an denen die Entwickler zur Zeit arbeiten sind z.B. Gebietskennzeichen (die auf Teilgruppen beschränkte Abstimmungen erlauben) und eine Unterstützung für die Deaktivierung von Delegationen etc. nach einer gewissen Zeit der Inaktivität.
Was den allgemeinen Systembetrieb angeht, wurden dort neben einigen Änderungen an Themenbereichen und Regelwerken eine Änderung der Nutzungsbedingungen und Datenschutzerklärung veranlasst, damit die beschlossenen Vorgehensweisen bei der Datenlöschung dort korrekt wiedergegeben sind; diese werden demnächst auch im System eingestellt werden. Die nach Ablauf der Speicherfrist zu löschenden Daten wurden außerdem um den Benutzernamen und die Namenshistorie erweitert.
Flaschenpost: Ende Januar findet die OpenLiquid statt. Was erwartet ihr von der Konferenz?
Simon: Ein Problem bei der Einführung von LiquidFeedback war der Eindruck einer mangelnden Kommunikations– bzw. Diskussionsbereitschaft des Teams. Auch wenn ich bis heute nicht wirklich nachvollziehen kann, wie dieser Eindruck zustande gekommen ist, ist doch offensichtlich, dass zu vielen Fragen im Zusammenhang mit LiquidFeedback und der Basisdemokratie in der Piratenpartei einiges an Diskussionsbedarf besteht. Die OpenLiquid-Veranstaltung soll solchen Diskussionen ein Forum bieten. Natürlich kann auch das nur ein erster Schritt sein, aber wenn er dazu beiträgt, den Diskurs auf eine sachliche Ebene zu bringen, wäre schon viel gewonnen.
Die OpenLiquid ist eine Tagung die vom 28.-30.1 in der Alten Schule Anspach. Dort wird es verschiedene Vorträge und Diskussionen rund um Liquid Feedback bzw. die Verwendung von Software zur Meinungsbildung allgemein unter politischen, technischen, rechtlichen und philosophischen Aspekten geben. Weitere Infos dazu findet ihr hier.