Ein Gastbeitrag von Benjamin Stöcker.
In meiner Arbeitsstelle gibt es neuerdings eine Kantine, in welcher
man für wenig Geld viel und sehr gutes Essen beziehen kann. Das neue
Angebot wird gerne von uns Mitarbeitern angenommen, was den schönen
Effekt hat, dass jetzt alle gemeinsam essen. Warum ich das euch davon
berichte? Nun beim Essen kommt man ins Gespräch, wobei ich mich
natürlich gerne über Politik unterhalte.
Neulich erzählte ich vom neuen Überwachungsstaatsgesetz
in RLP, dass der Polizei erlaubt heimlich und nahezu unkontrolliert
Computer auszuspionieren und dem Staat das Handynetz einfach
abzuschalten, weil – i am not kidding – es ja sein könnte, dass
eine Bombe über das Handynetz ferngezündet wird. Nach dem ich mich
polemisch darüber lustig gemacht habe, entwickelte sich ein Dialog mit
einem Arbeitskollegen, der Ihn offenkundig ins Grübeln brachte:
Kollege: »Sagmal, hast du etwa keine Angst? Und sind
dir Menschenleben wirklich so wenig Wert?«
Ich: »Natürlich habe ich Angst. Ich habe ständig
Angst. Ich habe Angst davor, dass mein Internet nicht funktioniert. Ich
habe Angst davor, dass meine Freundin mich verlässt. Ich habe Angst
davor, dass einer der verrückten Bamberger Autofahrer mich eines Tages
platt fährt. Ich habe Angst davor, aufgrund meines Lebenswandels einen
Herzinfarkt zu erleiden. Ich habe Angst vor vielen Dingen in vielen
Situationen in meinem Leben. Nur habe ich gelernt, dass Angst meist ein
schlechter Berater ist. Ich habe gelernt, dass es niemals gut ist aus
Angst vor dem Leben das Leben zu vergessen. Oder um es mit etwas
literarischeren Worten zu sagen: Ich ging in die Wälder, denn ich
wollte leben; intensiv leben wollte ich. Das Mark des Lebens in mich
aufsaugen, um alles auszurotten was nicht Leben war. Damit ich in der
Todesstunde nicht inne würde, dass ich gar nicht gelebt hatte.«
Kollege: »Du kannst also Nachts ruhig schlafen, wenn
Menschen in Gefahr sind und sterben?«
Ich: »Das er starb ist noch lange keine Beweis
dafür, dass er gelebt hätte. Die Frage ist übrigens doch eher
rhetorisch, oder? Schläfst du denn in keiner Nacht ruhig?«
Kollege: »Wie meinst du das jetzt?«
Ich: »Das Leben vieler Menschen ist ständig in
Gefahr. Nach den Terroranschlägen in Amerika haben viele Menschen aus
Angst auf das Fliegen verzichtet und sind mit dem Auto gereist.
Mittlerweile sind an dem höheren Verkehrsaufkommen auf den Straßen mehr
gestorben als in den Türmen. Aber wenn du mich fragst, welche Angst mich
Nachts hin und wieder nicht schlafen lässt, dann ist es die Angst vor
unserer Politik. Sie ist obskur. Wir schaffen unsere Freiheiten, wir
schaffen unseren way of life ab, um unser Leben zu erhalten. Ohne
Freiheiten sind wir aber alle nur Roboter. Ohne Freiheiten erlebt man
nicht. Und Leben ohne Erleben ist vegetieren. Wenn du es also genau
wissen willst: Die Angst vor dem Vegetieren lässt mich Nachts nicht
schlafen.«
Kollege: »Aber Erleben geht ohne Leben nicht!«
Ich: »Richtig, aber anders herum eben auch nicht –
zumindest für mich. Betrachte es doch mal anders: Da faseln die immer
davon, dass man sich vom Extremismus nicht die freiheitlich
demokratische Grundordnung nehmen lässt und schafft sie aber zum Schutz
von Leib und Leben selber ab. Bemerkst du diese Bigotterie nicht? Da
werden Bahnhöfe gesperrt und Koffer in die Luft gesprengt, weil den
einer vergessen hat! Ich warte ja auf den Tag, an dem die Politiker
anfangen unsere Bahnhöfe, Parlamente und was weiß ich in die Luft zu
sprengen. Getreu nach dem Motto: Was wir gesprengt haben, können die
bösen Islamisten ja nicht mehr erwischen.«
(Gelächter)
Ich: »Ihr lacht, aber genau das passiert hier. Aus
Angst davor, dass die uns die Freiheit nehmen und uns diktieren was wir
tun nehmen wir uns die Freiheit einfach selbst. Die Sicherheitspolitiker
sind dabei unsere eigentlichen Schlächter. Genau die führen uns wie die
Lämmer zur Schlachtbank. Und wir lassen das mit uns machen. …
Allerdings sind unsere Ängste so verschieden nicht.«
Kollege: »Sind sie nicht?«
Ich: »Wir beide haben Angst vor dem Tod. Du hast
Angst davor, dass Terroristen dir dein Leben nehmen. Ich habe
Angst davor, dass Terroristen mir mein Leben nehmen. Nur
definieren wir Leben und vielleicht auch Terrorismus unterschiedlich.
Während es dir darauf ankommt, sicherzustellen dass dein Herz auf alle
Fälle weiter schlägt geht es mir darum sicher zu stellen, dass es einen
Grund hat weiter zu schlagen. Dass es die Möglichkeit hat, sich an
Dingen zu erfreuen. Denn ohne diese Möglichkeit, die ich am Ende dann
auch nutze, lohnt es sich doch gar nicht, dass es schlägt. Ich bin
sozusagen schon tot. Man kann eben auf viele Arten sterben.«
Kollege: »Hmm.«