Ich hatte heute die Gelegenheit mit Claudius Holler dem Spitzenkandidaten der Piratenpartei in Hamburg ein Interview über das Wahlergebnis, den Wahlkampf und die damit verbundene Arbeit und Erfahrung zu führen. Die Piraten haben stadtweit 2,1 % der Stimmen erhalten. Genauere Informationen über den Wahlausgang findet ihr unter anderem in meinem Artikel in der Flaschenpost, genauere Zahlen für die einzelnen Bezirke in Hamburg findet ihr hier.
Erst einmal Glückwunsch zum Wahlkampfergebnis. Wie hast du den Wahlabend erlebt und das Ergebnis aufgenommen, was bedeutet das für dich?
Das Wahlergebnis wird ja spannungssteigernd verkündet. Bei der ersten Prognose ging es auf und ab. Wir vernahmen mit Freude die Klatsche für die Union und waren geschockt über das CSU-ähnliche Ergebnis für die SPD. Die GAL wurde zurechtgestutzt, während die FDP bewies, dass Inhaltsleere mit hübschen Fotos in einer Materialschlacht für den Einzug in die Bürgerschaft sorgen. Wir waren ja zunächst einfach nur Sonstige und bei einigen Piraten stellte sich Ernüchterung ein, weil sie insgeheim auf 5% hofften. Für mich und die meisten, war das unrealistisch – die 2 vorm Komma umso wichtiger. Glücklicherweise steht die und wir konnten belegen, dass wir keine Eintagsfliege sind. Wir kamen trotz medialer Vernachlässigung und einem SPD-Hype nicht unter die Räder, sondern konnten uns behaupten. Insbesondere die herausragenden Ergebnisse in einigen Ecken von Hamburg haben für Genugtuung gesorgt. Dennoch haben wir nun einen Atlas als Pflichtlektüre und einige Hausaufgaben zu machen. Es gibt Orte in Hamburg mit eklatant niedriger Wahlbeteiligung und in einigen Außenbezirken finden wir faktisch nicht statt. Da müssen wir ran und andererseits in unseren Hochburgen weiter Präsenz zeigen.
Ihr habt in einigen Hamburger Stadtbezirken ja deutlich mehr als die durchschnittlichen 2,1% erreicht. Was bedeutet das für eure weitere Arbeit?
Wir warten jetzt auf die Auszählung der Bezirkswahl. Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass viele Wähler zwingend weg von schwarzgrün, hin zu einer „stabilen“ Regierung wollten. Der Hamburger Wähler ist seit einigen Jahren immer wankelmütiger geworden und dieses Mal wurde zur Sicherheit, bei den Erststimmen kaum etwas „verschenkt“. Bei den „weniger wichtigen“ Wahlkreis-Stimmen konnten wir von weniger Konkurrenz profitieren und bekamen wohl noch einige Stimmen als Sympathiebekundung. Noch hoffen wir, dass sich dieser Effekt auf Bezirksebene noch verstärkt. Die Bezirksebene ist unsere Chance uns langfristig zu profilieren und zu beweisen, wie ernst wir es meinen. Und dann bekommen wir auch zwischen den Wahlen die nötige Aufmerksamkeit, um von den Wählern wahrgenommen zu werden.
Ihr habt in kürzester Zeit Konzept und Art des Wahlkampfes festlegen müssen. Gab es dadurch große Probleme?
Problem ist das falsche Wort. Wir wussten von Anfang an, dass wir einige Dinge übers Knie brechen müssen, um auch nur ansatzweise zu performen. Wir haben knapp 50 wirklich aktive Mitglieder, von denen wiederum nur die Hälfte wirklich viel Zeit opfern konnte. Somit blieb eine riesige Last auf wenige Schultern verteilt, und das bei der ersten wirklichen Schicksalswahl. Wir haben einige Piraten über Gebühr belastet und gehen jetzt ganz schön auf dem Zahnfleisch. Dass wir trotz dieser Zeitknappheit, im tiefsten Winter, dennoch alles ohne große Konflikte bewältigten konnten, spricht für einen mittlerweile sehr stabilen und gut funktionierenden Landesverband.
Würdest du im Nachhinein, mal ab von einer höheren Vorbereitungszeit, etwas wesentlich ändern wollen an der Art, Wahlkampf zu betreiben?
In Anbetracht der Voraussetzungen, haben wir tatsächlich das Optimum herausgeholt. Mehr ging nicht. Aber selbstverständlich können wir aus den Ergebnissen herauslesen, welche Wahlkampfmaßnahmen sich bewähren und welche weniger Effekt erzielen. Bis zur nächsten Wahl, an der wir hier in Hamburg beteiligt sind, gilt unser Hauptaugenmerk dem personellen und kompetenten Mitgliederzuwachs, auch in Stadtteilen, wo wir bisher unterrepräsentiert sind. Dazu müssen wir langfristig städtepolitisch heiße Themen benennen und besetzen und dürfen jetzt nicht wieder von der Bildfläche verschwinden.
Wie bist du überhaupt zu deiner Kandidatur als Spitzenkandidat gekommen?
Ich kann das nur erahnen. Der Landesverband scheint mich für profiliert und uneitel genug zu halten, unsere Ziele sicher und auch öffentlich zu vertreten. Ich bin zwar erst seit Herbst 2009 dabei, habe mich dafür aber konsequent auf verschiedensten Baustellen engagiert. Und ich konnte in diesen zwei Monaten genügend Zeit investieren, damit wir wirklich präsent sind. Eine anerzogene Stärke meinerseits scheint durchaus zu sein, mit verschiedensten Charakteren eine konstruktive Ebene zu finden und meine eigene Meinung zu vertreten, ohne dass ich innerparteilich total polarisiere.
Wie war der Wahlkampf für dich persönlich? Du bist viel auf der Strasse unterwegs gewesen: Welche Erfahrungen hast du daraus gewonnen? (Mal ab davon, dass Wahlkampf im Winter sicher nicht das Schönste ist.)
Ich weiß jetzt, welche Schuhe und Unterwäsche wärmetechnisch halten, was sie versprechen… Ja ich war viel auf der Strasse. Dort merkt man erst, WIE gefrustet die Bevölkerung wirklich über „die da oben“ sind. Und wir haben immer noch jede Menge Erklärungsbedarf. Die fehlende oder fehlinformierende Medienaufmerksamkeit sorgt zunächst immer noch für Skepsis. Es zeigt sich, dass man im direkten Gespräch Wählerherzen gewinnen kann – durch Ehrlichkeit und ein offenes Ohr für die Bedürfnisse.
In loser Reihenfolge scheinen wir uns einige Dinge bewiesen zu haben: Gesichter auf Plakaten helfen, die Irritationen zu beheben; der Kaperbrief ist DAS Wahlkampftool schlechthin; wir müssen dorthin, wo die Menschen sind, und zwar auch außerhalb von Wahlkampfzeiten. Vor allem aber ist jedes längere Wählergespräch ein virales Element. Wer sich wirklich mit uns auseinandersetzt, trägt das auch weiter. Wir haben etliche Menschen an den Infoständen gehabt, die von Freunden oder Bekannten hörten, dass wir echt smart sind.
Wie ist die Art von Wahlkampf bei den Bürgern, mit denen du gesprochen hast, angekommen?
Wir bekamen viel Lob für unsere Plakate. Einerseits dafür, dass wir die einzige Partei war, die thematisch präsent war, und andererseits, weil wir einen genialen Grafiker haben. Die Bürger honorierten, dass wir oft mehr Straßenpräsenz zeigten, als die etablierten Parteien und fit im eigenen Programm waren und eben seriös auftreten. Die Presse und TV-Sender hingegen waren interessiert an bunten Bildern und lustigen Aktionen, auf die wir dieses Mal bewusst verzichtet haben.
Du hast ja u. a. auf Abgeordnetenwatch.de viele Fragen beantwortet. Welche Erfahrung hast Du durch das Eingehen auf Wählerfragen in dieser Art gewonnen?
Abgeordnetenwatch ist eine sehr wichtige Schnittstelle zu interessierten Wählern, Medienvertretern und der politischen Konkurrenz. Man darf sich aber nichts vormachen. Das Gros bildet sich seine Meinung nicht dort oder anders gesagt, unter den regelmäßigen Nutzern von Abgeordnetenwatch wäre unser Wahlergebnis sicher wesentlich höher ausgefallen, weil sich unsere „klassische“ Zielgruppe eher dort einfindet. Insofern ist diese Schnittstelle Pflicht und Kür zugleich, aber nur indirekt wahlentscheidend. Ohne dort präsent und aktiv zu sein, wäre das Ergebnis aber, zu recht, schlechter gewesen.
Hast du für die Wahlkämpfer in anderen Landesverbänden einen Tipp, den du für einen Wahlkampf mitgeben kannst?
Ja. Es gibt Felder, die während dieser Zeit mit wirklich pedantischen Strukturliebhabern besetzt sein müssen. Die müssen auf ihre eigene Beliebtheit verzichten und die Notwendigkeiten durchboxen. Wir hatten mit Burkhard einen Antreiber und Organisator für die Unterstützungsunterschriften, die wir nur durch seine Beharrlichkeit in dieser kurzen Zeit erobern konnten. Dann hat der Vorstand sich die strukturellen Aufgaben klar aufgeteilt. So gab es immer klare Ansprechpartner für Behörden, Medien und Veranstalter. Unsere Wahlkampf-Organisation kümmerte sich um den aktiven Überbau. „Captain´s word is law“ – diese wichtige Grundregel hat uns in jedem Fall geholfen, nicht ineffektiv zu werden.
Hast du zum Schluss noch etwas, was du loswerden willst ?
Wir dürfen uns nicht fragen, ob wir in ein Parlament einziehen, sondern wann! Unsere Zeit wird kommen. Wir sind eine junge Partei mit progressiven Ansätzen… Wenn wir langfristig unsere Alleinstellungsmerkmale nach außen getragen bekommen und unsere Kinderkrankheiten abschütteln, wird das hier noch was ganz Großes. Ich glaube an uns und bleibe hochmotiviert.