Im westfälischen Soest fand am 2. und 3. April eine Tagung zum Thema Sozialpolitik statt. Etwa 50 Piraten folgten der Einladung der AG Sozialpolitik. Auf dem Sozicamp wurde unter anderem die auf dem Bundesparteitag in Chemnitz gestellte Forderung nach einem bedingungslos und individuell garantierten Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe (ReSET) zwischen Mitgliedern verschiedener sozialpolitischer Arbeitsgruppen mit externen Experten diskutiert. „Sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe soll jedem Menschen in unserer Gemeinschaft bedingungslos zustehen“, betont Sven Sladek, Vorsitzender des Kreisverbands Soest, und ergänzt: „Damit verabschieden sich die Piraten vom üblichen Sozialpolitikstil der etablierten Parteien und arbeiten an einem alternativen Weg fernab von Hartz IV. Die Altparteien haben mit dieser Gesetzgebung kläglich versagt, und die Gesellschaft als Ganzes bekommt die daraus resultierenden Folgen zu spüren.“
In Vorträgen und kontroversen Diskussionen debattierten die Teilnehmer über die Entlohnung gemeinnütziger Arbeit, Systeme bedingungsloser Grundsicherung und ein bedingungsloses Grundeinkommen. „Bei allem, was wir PIRATEN an Modellen zu ReSET erarbeiten, stehen eine solide Gegenfinanzierung, eine möglichst sparsame Erhebung von Daten sowie möglichst wenig Überwachungsmaßnahmen und staatliche Eingriffe im Mittelpunkt“, erläutert Simon Stützer aus der AG Bedingungsloses Grundeinkommen einen Konsens der Klausurtagung.
Unter dem Titel „Sozialstaat 3.0“ stellte Michael Ebner ein Modell vor, das eine bedingungslose Grundsicherung zusammen mit einem staatlichen Gesundheitssystem durch eine Flat-Tax finanziert, einem einheitlichen Steuersatz für alle Einkommen. „Anstelle der irrationalen Forderung anderer Parteien nach Vollbeschäftigung möchten wir das in den Menschenrechten festgeschriebene ‚Recht auf Arbeit‘ sicherstellen“, sagt Ebner und ergänzt: „Dieses Recht wird durch die Bundestagsparteien missbräuchlich in eine ‚Pflicht zur Arbeit‘ umgedeutet.“
Einen weiteren möglichen Lösungsansatz zeigte Matthias Stoll vom Niedersächsischen Landesvorstand in seinem „Braunschweiger Sozialprogramm“ auf. Eine bedingungslose Grundsicherung wird dabei mit einem gemeinnützigen Grundeinkommen und einer je Region und Branche flexiblen Senkung der Pro-Kopf-Arbeitszeit kombiniert – Maßnahmen, um die zu leistende Arbeit sinnvoll zu verteilen und gleichzeitig angemessen zu vergüten.
Ralph Boes, parteiloser Grundeinkommens-Aktivist aus Berlin, referierte die positiven Auswirkungen, die ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Gesellschaft haben würde. In der deutschen Grundeinkommensbewegung nimmt Boes eine Führungsrolle ein und begründet die Nähe der Piraten zu einem Grundeinkommen mit deren sozialen und liberalen Werten. „Hartz IV“, so Boes, sei im Gegensatz dazu „ein menschenverachtendes System“.
Auf besondere Kritik stießen bei den Teilnehmern der Überwachungsaufwand, die Ineffektivität, die Ziellosigkeit der Maßnahmen und die in Kauf genommene gesellschaftliche Spaltung, die die aktuellen Hartz-IV-Regelungen mit sich bringen. Daher verabschiedeten die Teilnehmer des Symposiums einen Forderungskatalog von Sofortmaßnahmen zur Humanisierung von Hartz IV.
So fordern die anwesenden Piraten die sofortige Aussetzung der als verfassungswidrig angesehenen Sanktionen, eine Erhöhung der Regelsätze sowie eine individuelle Berechnung von Ansprüchen statt der derzeit praktizierten Berechnung nach Bedarfsgemeinschaften, die immer wieder zu unangemessener staatlicher Überwachung und Willkürentscheidungen führt. Zudem fordern die Teilnehmer die Koalitionsparteien auf, zwei Jahre nach der Bundestagswahl endlich ihre Versprechen einzulösen und wie im Koalitionsvertrag vereinbart, die Zuverdienstmöglichkeiten von Hartz-IV-Empfängern angemessen zu erhöhen.
„Leistung muss sich wieder lohnen. Dieser Satz muss auch für die Bezieher von staatlichen Transfers gelten“, so Johannes Ponader, Referent der AG Bedingungsloses Grundeinkommen. Die Politik der etablierten Parteien müsse die Bedürfnisse der Bürger wieder in den Blick nehmen und die Leistungsmotivation von Transferbeziehern stärken. Ein Kindergrundeinkommen in Form eines höher als heute ausgezahlten Kindergelds anstelle des Steuerfreibetrages könnte zudem Chancengleichheit von Kindern unabhängig vom Einkommen der Eltern herstellen.
Die einzelnen Vorträge wurden aufgezeichnet und vom Piratenstreaming bereitgestellt.
Autor: Sven Sladek & Gefion Thürmer