Ein Gastartikel von Peter Holzer aus dem Orga-Team des Zukunftsforums.
Am 10. und 11. Mai fand das Zukunftsforum Dresden in Kooperation mit der Piraten-Sicherheitskonferenz (PSC) statt. Das Forum war eine hybride Vortrags- und Diskussionsveranstaltung zu den Themen Russland, russische Desinformation und gesellschaftliche Resilienz, mit Fachleuten und engagierten Bürgern.
Wer steckt hinter dem Zukunftsforum?
Die russische Vollinvasion im Februar 2022 und die damit deutlicher sichtbar werdenden aggressiven Desinformationskampagnen autoritärer Staaten in der westlichen Öffentlichkeit – maßgeblich in den sozialen Medien – hat eine hohe Zahl von Bürgern mobilisiert, aktiv dagegen zu wirken.
Aus spontanen Einzelinitiativen wuchsen Gruppen wie die NAFO, die „North Atlantic Fella Organisation“. Eine internationale, dezentral organisierte und überparteiliche Graswurzelbewegung, deren Ziele neben dem Kampf gegen russische Desinformation auch die Unterstützung von Ukrainerinnen und Ukrainern in ihrer Heimat und im Exil sind.
Da Deutschland besonders im Fokus russischer Einflusskampagnen steht, suchten viele deutschen Fellas früh Kontakt zu Experten aus dem Bereich Geschichte, Osteuropaforschung, Politikwissenschaften und Sicherheitspolitik, um faktensicher gegen Anhänger und Verbreiter russischer Falschinformationen argumentieren zu können.
Als eine Gruppe von bundesweit aktiven NAFO-Fellas hatten wir den Wunsch, in einer Präsenzveranstaltung als Bürger gemeinsam mit namhaften Experten zu den Themen Russland und Osteuropa, russischer Desinformation und Resilienz zu diskutieren – und das offen vor einem interessierten Publikum. Dabei soll dieses Konferenzformat als eine Plattform ausgebaut werden, die regelmäßig in unterschiedlichen Städten Deutschlands stattfinden wird.
Warum Dresden?
Dresden hatten wir bewusst ausgewählt angesichts der anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland, um ein kleines bestärkendes Signal an die dortigen Initiativen zur Unterstützung der Ukraine und im Kampf für Demokratie und Freiheit senden zu können.
Eine gute Entscheidung, denn wir bekamen eine breite Unterstützung von engagierten Bürgern vor Ort aus Sachsen und Dresden. Eine weitere große Hilfe bei der Organisation war die ukrainische Community in Dresden, insbesondere das Ukrainische Haus der Plattform Dresden. Besonders möchten wir dabei Natalija Bock und Julija Kravtsova für die vielfältige Unterstützung danken: Von der Organisation einer pro-ukrainischen Kundgebung am 11. Mai über die Verpflegung der Veranstaltungsteilnehmer mit ukrainischem Borschtsch bis hin zur Beteiligung durch ein Panel mit vier ukrainischen Frauen, die im Rahmen des Projekts „Gemeinsam Heimatlos“ ihre berührenden Fluchtgeschichten erzählten.
Was hat das Zukunftsforum mit den Piraten zu tun?
Das Zukunftsforum wurde in Kooperation mit der Piraten-Sicherheitskonferenz (PSC) veranstaltet. Wie es dazu kam? Eine Teilnahme an der PSC im Februar 2024 und die offene, kollegiale Atmosphäre dort motivierte uns, eine überparteiliche Konferenzplattform aufzubauen, fokussiert auf das Thema Freiheit und gesellschaftliche Resilienz.
Wichtiger Unterstützer bei der Planung der Veranstaltung: Alex Kohler, Themenbeauftragter für Außen- & Sicherheitspolitik der Piratenpartei und Mit-Organisator der PSC. Alex wurde ab 2022 für die deutsche pro-Ukraine Community zu einem verlässlichen Ansprechpartner durch seine wöchentlichen Voice-Talkrunden (Spaces) auf Twitter bzw. X, in denen er eine offene Debatte zur Geopolitik ermöglicht – und dort seine klare Haltung gegen russische Desinformation und für die Unterstützung der Ukraine zeigt.
Aus seiner jahrelangen Erfahrung bei der Organisation der PSC konnte Alex uns bei der Planung des Zukunftsforums mit vielen praktischen Tipps helfen, um die organisatorischen Hürden des von uns geplanten hybriden Veranstaltungsformats zu meistern, welches Speaker vor Ort und online vorsah. Darüber hinaus beteiligte sich die PSC aktiv am Zukunftsforum mit einem eigenen Veranstaltungsblock. Doch darüber später noch mehr.
Was wurde debattiert?
Der Politikwissenschaftler Dr. Jochen Kleinschmidt von der TU Dresden stellte in Frage, ob Russland eine Großmacht sei. Er zeigte anhand von empirischen Daten, dass es sich eher um eine mafiöse Petro-Diktatur handle, bei der Staats-Einkommen aus Rohstoff-Export und personalistische Diktatur kriegerische Aggression gegen Nachbarstaaten begünstigen.
Die Literaturwissenschaftlerin Prof. Dr. Annette Werberger und der Osteuropa-Historiker Prof. Dr. Jan C. Behrends, beide von der Europa-Universität Viadrina, schilderten ihre Erfahrung beim Kampf gegen russische Desinformations-Narrative auf Social Media und diskutierten bei der Beschreibung der Gesellschaft in Russland, ob diese in Richtung Faschismus abgeglitten sei.
Der Politikwissenschaftler Dr. Benjamin Tallis, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), setzt sich mit der 2022 ausgerufenen „Zeitenwende“ auseinander. Er plädierte in Dresden für einen neo-idealistischen Ansatz der internationalen Beziehungen, für den er acht Säulen für erforderlich hält. Erste und wichtigste Säule sei dabei: „Values first“.
Dr. Jens Oehlschlägel erläuterte drei interdisziplinär abgeleitete Resilienzfaktoren beim Schutz bürgerlicher Werte: Zufall, Symmetrie und Einfachheit helfen, Algorithmen, gesellschaftliche Institutionen, Wahrheitsfindung und Produkte robuster und nachhaltiger zu gestalten.
Eine resiliente Gesellschaft benötige aktive Planung und bürgerliche Mitwirkung, die Regulierung sozialer Netzwerke und “Künstlicher Intelligenz”, sowie ein anders strukturiertes Steuersystem für faire Leistungsanreize und sozialen Frieden.
Die Historikerin Dr. Franziska Davies von der LMU München und die Slavistin Dr. Heike Winkel von der Bundeszentrale für politische Bildung beschrieben, wie langjährige russische Desinformation unsere Wahrnehmung Russlands, der osteuropäischen Staaten und der Ukraine nachhaltig verzerrt habe und fragten, wieso andere ex-sowjetischen Ost- und Mitteleuropäischen Länder sich gegen russische Einflussnahme zur Wehr setzen, aber Russland in Deutschland selbst nach zwei Jahren täglicher Kriegsverbrechen oft romantisiert werde und viele mit anti-amerikanischen Reflexen reagierten.
Die Journalisten und Autoren Dr. Gesine Dornblüth und Thomas Franke mit langjähriger Russlanderfahrung berichteten über Russlands toxische Gesellschaft und zeichneten ein wenig hoffnungsvolles Bild für deren Zukunft. Mangelnde Aufarbeitung früherer Traumatisierungen, hohe Gewaltaffinität in Familien, Behörden und Institutionen, die Indoktrinierung der jungen Generationen und tief sitzende imperiale Denkmuster – damit würde Russland auch in einer Zukunft nach Putin eine Bedrohung für den Frieden in Europa bleiben.
Ein besonderes Highlight war die Zoom-Konferenz mit Stephen Douglas, Ex-Diplomat der OSZE, welcher im Donbas 2015-2018 das Waffenstillstandsabkommen von Minsk überwachen sollte. Damals erkannte er, wie Russland mit brutaler Gewalt agierte und gleichzeitig internationale Institutionen manipulierte und deren Personal missbrauchte.
Im Gespräch mit Historiker Martin Sauerbrey-Almasy erläuterte er sein Konzept zur Beschreibung russischer Desinformations-Strategie: “Trolle” als Phantasie- und Trugbilder, die Furcht und Gegenwehr auslösen sollen, um von realen Problemen und Bedrohungen abzulenken. Unter dem Namen DecodingTrolls kämpft er seitdem auf X/Twitter gegen sogenannte russische Disinfolklore.
Beitrag der PSC
In einem eigenen Block am Freitag gab es drei Beiträge der Piraten-Sicherheitskonferenz:
Sarah „Beau“ Hijlmarsson, online aus Schweden zugeschaltet, zeigte wie Stress durch aktuelle Polykrisen zu Radikalisierung und gesellschaftlicher Polarisierung führen kann und stellte einen Werkzeugkasten vor, um diesen zu begegnen. In der Diskussion kam die interessante Frage auf, was Stress für nach oben “beförderte” Politiker nach einem Regierungswechsel bedeute, und wie lange es dauert, bis eine Regierung arbeitsfähig sei.
In einem Panel vor Ort in Dresden diskutierte Alex Kohler mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Piratenpartei Baden-Württemberg, Schoresch Davoodi, Strategien zum Umgang mit Internet-Trollen. Die Diskussion zeigte einen eklatanten Mangel an wirksamen Instrumenten gegen solche Trolle und die von ihnen verbreitete Desinformation auf.
Der estnische Philosoph und Digital-Aktivist Märt Põder zeigte in einem Online-Vortrag die Fallstricke von elektronischen Wahlen, die in Estland schon seit den frühen 2000er Jahren verstärkt genutzt werden, auf. Das System gelte noch immer noch als experimentell und die rechtlichen Grundlagen werden von lokalen und internationalen Experten angezweifelt. Nach den Wahlen von 2023 seien die Ergebnisse angefochten und Anomalien aufgedeckt worden, die zu einer Verschleppungstaktik im Parlament führten und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die gewählten Institutionen auf einen historischen Tiefpunkt sinken ließen.
Bürgerdialog auf Augenhöhe
Zusätzlich gab es eine Reihe von Präsenz-Vorträgen von engagierten Bürgern aus unserer Community:
Jörg Becker beschrieb gemeinsam mit mir unsere Erfahrungen, aber auch Forschungen zu Fallstricken und Schwachpunkten von Grasswurzelbewegungen, mit denen sie ohne böse Absicht ihre Wirksamkeit verlieren können. Diese Schwachpunkte könnten von schädlichen Akteuren missbraucht werden, die ihren eigenen Vorteil suchen. Gefährlicher sei aber, dass all diese Angriffspunkte das Risiko bergen, von Akteuren feindlicher Staaten missbraucht zu werden – um die Gruppen unwirksam zu machen oder für negative Zwecke einzusetzen. Als Gegenmittel schlagen wir Verständigung auf Grundwerte und checks and balances vor.
Die DDR-Bürgerrechtlerin Grit Friedrich beschrieb, wie Ostdeutsche vielfach traumatisiert wurden: 3. Reich, Weltkrieg, sowjetische Besatzung, DDR-Diktatur, Wendezeit und Wiedervereinigung. Mangelnde Aufarbeitung könnte zu einer unterbewussten Übertragung der Traumata an folgende Generationen führen. Hier sieht Friedrich einen Angriffsvektor für russische Desinformation und Subversion. Ihr Lösungsansatz: Die Themen publik machen, Gesprächsformate entwickeln – gerade auch mit Westdeutschen – um durch Erfahrungsaustausch und gegenseitiges Verständnis die deutsche Einheit zu vollenden.
Wie wichtig eine eigene Identität mit einem gesunden, kritischen Kultur und Geschichtsbewusstsein für das Ausbilden von gesellschaftlicher Resilienz ist, zeigte Bianca Krause am Beispiel der Ukraine. Daher greife die imperiale Strategie Russlands gezielt die Identität unterdrückter Völker an. Jörg Becker spannte den Bogen zu den Angriffen auf Europäische Werte, wenn beispielsweise bei uns von pro-russischen Akteuren nationalistische Zerrbilder unserer Identität befördert werden.
Ein Lösungsansatz den auch die Ukraine verfolgt, sei: sich der positiven Aspekte eigener Geschichte, Kultur und Identität bewusst zu werden und diese zu fördern.
Die engagierte Lehrerin Harriet von Natzmer fordert von Akteuren im Bildungsbereich, klare politische Haltungen zu artikulieren. Sie beschrieb die Herausforderungen von Schule, gegen die ungefilterte Informationsflut der sozialen Medien und die Herausforderung, Desinformation zu erkennen, mit valider Bildung zu bestehen.
Lösungsansätze für erfolgreiche politische Bildung und die Förderung von Schülern zu resilienten und mündigen Bürgern sieht sie in Projekten wie AULA oder ähnlichen Projekten, in denen Eigenverantwortung in Demokratie für Schüler sinnlich erlebbar gemacht wird.
Der Rechtsanwalt Christian Wolf zeigte am Beispiel einer Kundgebung am sowjetischen Ehrenmal in Berlin, wie Polizeibeamte sich zuerst weigerten, ukrainischen Demonstranten Schutz zu gewähren – und gleichzeitig strafbare Handlungen russischer Provokateure nicht unterbunden. Wolf forderte eine bessere Aufklärung sowie eine strikte Umsetzung von Gerichtsbeschlüssen, damit bei uns rechtsfreie Räume für gezielte russische Provokationen und Machtdemonstrationen geschlossen werden.
Große Resonanz fand ein Vortrag des in der Ukraine geborenen Sergij Schidlowski, in dem er einen kompakten, aber hoch informativen Überblick über Geschichte und Kultur der Ukraine gab.
Resümee und Ausblick
Nach der durchwegs positiven Resonanz von Publikum und Speakern sind wir motiviert, weitere Veranstaltungen in anderen Städten folgen zu lassen.
Unsere Lehren: Themenbezogene Veranstaltungen mit wenigen Programmpunkten und weniger Technik anzubieten. Eher kurze Impuls-Vorträge und mehr Raum für Diskussionspanels.
Bei der Zuschaltung von Vortragenden aus dem Ausland erkannten wir zusätzliche Hürden: Durch die teilweise schlechte Tonqualität bei der Übertragung sinkt die Sprachverständlichkeit englischsprachiger Speaker für ein deutschsprachiges Publikum weiter. Die Speaker können das durch Bühnenpräsenz nicht ausgleichen.
Daher erscheint es uns sinnvoller, solche Beiträge in Dialogform zusammen mit Moderatoren vor Ort zu gestalten, welche die Aussagen der externen Speaker ggf. dem Publikum übersetzen und erklären können. Außerdem kann das Publikum dadurch besser in eine Debatte mit den zugeschalteten Experten eingebunden werden.
Weitere Informationen und Videos der Talks finden sich auf https://zukunftsforum-dresden.eu