Geschafft! Der Bundesparteitag ist vorbei, die Piraten haben einen neuen Bundesvorstand.
Ein Grundgedanke unseres neuen Parteivorsitzenden Sebastian Nerz ist es, dass die Partei wieder mehr „zusammenrückt“ und es weniger Streiterei geben soll.
Eine ehrbare Forderung, doch fragt man sich nun was er damit gemeint haben könnte:
Sollen ein paar professionelle Trolljäger angeheuert werden, die das „vorlaute Pack“ zumindest wieder in die angestammten Höhlen zurücktreiben soll? Sollen parteiinterne Diskussionen weniger transparent oder nicht öffentlich ausgetragen werden ? Soll sich mehr in Hinterzimmern oder Closed-Chats gestritten werden ?
Alles dies ist für Piraten keine Mittel um ein solches Problem zu lösen. Durch die Piraten-Grundsätze von Transparenz und unverhüllter Disskusion und Auseinandersetzungen kann für Aussenstehende oft der Eindruck entstehen, wir Piraten wären ein zerstrittener Haufen, uns vereine nur der kleinste gemeinsame Nenner. Das dies nicht so ist, zeigt beispielsweise die gemeinsame Verteilung der Kinderliederbücher an die 50.299 deutschen Kindergärten. Piraten arbeiten sehr wohl zusammen, auch wenn ein Außenstehender dies nicht auf den ersten Blick erkennt.
Es ist somit nicht die Streitkultur, die Art der Diskussionen oder das Verjagen der Trolle, was diskutiert werden sollte, sondern die damit verbundene Außenwirkung. Öffentliche (über freizugängliche irc-Chats, Mailinglisten, etc.) und sachliche Diskusionen oder eine leidenschaftliche Verteidigung der eigenen Überzeugung – nur wer stetig hinterfragt und hinterfragt wird, behält einen kritischen Blick für einen anregenden Meinungsaustausch. Dies ist ein hohes Gut und lange nicht mehr selbstverständlich wie vor kurzem die diskussionsfreudige Basis der GRÜNEN erfahren musste.
Darüber hinaus gibt es aber auch Piraten, die eine sachliche Diskussion pervertieren und daraus eine hässliche, mit persönlichen Anfeindungen gespickte Schlammschlacht machen wollen. Dies scheint die Art von Diskussion zu sein, die in Zukunft mit „mehr Ruhe“ versehen werden sollte. Dies ist aber kein generelles Problem der Piraten, sondern so etwas entsteht auf Grund von fehlendem Respekt, zu wenig Bereitschaft zur Toleranz oder ganz einfach Ignoranz. Hier kommt dann der Preis für Transparenz zum Vorschein: man kann eben auch sehen, dass manch einer unter dem Schirm der Piraten seinen ganz eigenen Rosenkrieg führt.
Dennoch sollte man an dem generellen Konzept dieser Streitkultur festhalten, und zwar aus einem Grund: Es zeigt wie menschlich wir Piraten sind. Nach Außen muss nicht immer der Anschein gewahrt werden, es gäbe keine verschiedenen Meinungen. Die Tatsache, dass stetig Themen auf den Prüfstand gestellt werden, sehe ich als großen Unterschied zu anderen Parteien, als Alleinstellungsmerkmal!
Ich freue mich über diese Streitkultur; sie zeigt, dass man bereit ist sich miteinander zu beschäftigen, sei es im Rahmen von Gesprächen unter Einzelnen oder im Gesamtdiskurs der Partei. Es beweist, dass eine junge Partei, die sich in vielen Bereichen erst noch aufstellt, bereit ist ihre Positionen immer wieder zu hinterfragen.
Viele der etablierten Parteien haben einen großen Teil dieser Diskussionen schon vor längerer Zeit geführt, haben sich Methoden ausgedacht wie diese parteiintern abgehandelt werden und präsentieren dann heutzutage nur noch das Ergebnis.
Wir Piraten haben hier andere Methoden. Bei uns sprechen nicht nur Ausschüsse über Themen, Meinungen, Lösung und letzlich den einzuschlagenden Kurs, sondern dieser Diskurs wird generell mit der ganzen Partei geführt. Jeder der dazu etwas beitragen will, kann das machen. Das ist gelebte Basisdemokratie!
Das Gegenteil davon sah man am gleichen Wochenende in Rostock, wo von der FDP eine „Parteitagsinszenierung“ abgehalten wurde. Dort hat man sich gegenseitig nur den Allerwertesten vergoldet, keine von der Basis kommende Unzufriedenheit war zu spüren, der prognostizierte Aufschrei der Jungen Liberalen blieb aus – ein Witz. Dies nur weil man den Schein wahren wollte, man wäre sich vollkommen einig. Die Glaubwürdigkeit wurde für den Anschein der Harmonie verkauft.
Es gibt einen besseren Weg die hochgehaltene Meinungsfreiheit und Transparenz zu gewährleisten, ohne dabei den Eindruck zu vermitteln, wir wären eine meuternde Mannschaft oder ein angepasste Haufen von Ja-Sagern. Dieser Weg ist, dass man erklären muss warum es bei uns so läuft. Das wäre wünschenswerter als eventuelle Sanktionen gegen Mailinglisten, Chats, oder dergleichen. Gleichzeitig muss sich aber in manchen Gesprächen die Tonart wieder ändern. Sich hier auf das Gröbste zu beschimpfen ist menschlich arm und dient niemandem – nicht der Partei und nicht der eigenen Integrität.
Lasst uns den Menschen lieber erklären warum unsere Streitkultur so ist und was diese für uns bedeutet. Es muss vielleicht eine Diskussion über die Art und Weise bzw. zu dem gewählten Tonfall geführt werden, aber es muss sicher nicht über unsere Kultur der Meinungsfindung diskutiert werden.