Wie der Zufall es will, drängten sich mir heute zwei Befragungen auf. Die eine ist verpflichtend und droht bei falschen Angaben Ordungsgelder an. Bei der anderen gibt es 3 Apple iPads, 3 Apple iPod nano sowie mehrere Einkaufsgutscheine unterschiedlichen Wertes zu gewinnen – falls ich die Fragen auf mindestens 3 der 7 Seiten beantworte.
Zuerst die Gemeinsamkeiten: beide Fragenbogen lassen sich im Netz ausfüllen. Das ist hipp – irgendwie. Beim Zensus 2011 wird rund ein Drittel der Bevölkerung befragt. Die W3B-Umfrage behauptet, dass in den vergangenen W3B-Meinungsumfragen jeweils mindestens 100.000 Internet-Nutzer teilnahmen (wie gross ist die Chance den Apple iPad zu gewinnen?). W3B klingt nach W3C, Zensus klingt lateinisch.
Beide Fragebögen interessieren sich für meine Lebensumstände, stellen teils identische Fragen. Die einen interessieren sich für meine Gene, die anderen für mein Gehaltskonto. Doch der Reihe nach: Den Namen wollen beide wissen. Die einen fragen nach der E-Mail-Adresse um über den Gewinn informieren zu können. Die anderen fragen nach der Postanschrift und der Telefonnummer.
Staatsangehörigkeit und Religion interessiert Marktforscher nicht, den Staat schon. Den Familienstand und mit wie vielen Personen man zusammen lebt wollen dann aber wieder beide wissen. Dazu kommt jeweils der Schulabschluss sowie die absolvierte Berufsausbildung.
Die Branche des Unternehmens in dem ich arbeite wird hier wie dort abgefragt. Der Zensus fragt beim Beruf ganz genau nach, bis hin zur Aufforderung in Stichworten zu beschreiben was man den Tag über so tut. W3B belässt es bei ankreuzbaren Feldern. Und während die Statistiker im Staatsdienst die Zukunft anhand der Frage Ist ihre Mutter nach 1955 in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugezogen vorhersagen wollen, klopft die W3B-Umfrage beim Thema Internet so richtig auf den Busch: Wozu, wie oft und welche Seiten? Das Kaufverhalten wird erfragt und ob das Thema Sicherheit beim Bezahlvorgang eine Rolle spielt. Man interessiert sich für die Hobbies und erforscht etwas verbrähmt die sozialen Kompetenzen. Die Frage nach dem monatlichen Netto-Einkommen steht eine Auswahlliste mit 250-er Staffelung zur Auswahl (alternativ: Möchte ich nicht angeben). Welche Seiten im Netz ich in letzter Zeit besuchte und welche Produkte ich im Netz bestellen würde. Immer wieder drehen sich die Fragen um den Immobilienkauf im Internet und Finanzdienstleister. Fragen nach dem heimischen Gerätepark dürfen auch nicht fehlen: Computer? Mobiltelefon? Wenn ja: mit oder ohne Flatrate? Eine Digitalkamera oder einen USB-Stick? Dann komme ich etwas ins Straucheln: Kenne ich PayPal oder die GeldKarte? Kaufe ich Lebensmittel im Internet? Welche Reise-Webseite habe ich innerhalb der letzten 12 Monate besucht? Internet-by-Call? Streaming?
Vielleicht nutzen die Provider die Antworten um ihre Netzkapazitäten für die nächsten Jahre zu planen. Die Shopbetreiber können anhand der Ergebnisse entscheiden, ob die Datenbank für zukünftige Bestellungen wachsen muss. Ich wollte die Staatsstatistiker hätten nach Fortbildungsplänen gefragt. Oder ob die Jungendlichen studieren wollen . Stattdessen werden Ehen und eingetragene gleichgeschlechtliche Ehegemeinschaften auseinanderdividiert. Als ob sich daraus ablesen ließe, ob das Land weitere Hörsäle braucht, Containerschiffe oder berufliche Fortbildungsmasnahmen. Der Zensus 2011-Bogen riecht nach der Angst eines Thilo Sarrazin. Der Marketingbogen verkörpert für mich den Marktradikalismus der FDP. Ich weiss nicht, wovor ich mich mehr fürchte!
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.