
CC-BY: Tobias M. Eckrich

Das Alter hat für mich seinen Schrecken verloren! Während mich früher mit jedem neuen Lebensjahr Dämonen quälten, freue ich mich heute über jeden Sonnenaufgang! Denn immer häufiger stehen in der Zeitung Artikel, an die ich aus meiner Erinnerung heraus anknüpfen kann. Das war gerade dieser Tage am Thema Sicherheit der Kraftwerke festzustellen.
Vor wenigen Wochen stoppte die Polizei die Server der Piratenpartei, da im Piratenpad ein ssh-Schlüssel abgelegt war, von dem gesagt wurde er diene dazu sich in den Webserver eines französisches Kernkraftwerks einzuloggen. Das Verunstalten von Webseiten führt zu einer grossen medialen Aufmerksamkeit, die Reaktorsicherheit gefährdet es jedoch nicht. Ich kann mich an einen verheerenden Stromausfall in den USA erinnern. 2003 führte ein Cyberangriff zum Zusammenbruch der Energieversorgung im Norden der USA und Teilen Kanadas. Damals erfuhr der besorgte Bürger, dass unsere Kraftwerke gerade keine Verbindung ins Internet haben und deshalb nicht gefährdet seien. Jetzt marschiert wegen eines Informationsschnipsels im Piratenpad die Polizei auf, als hätten Piraten den Stöpsel am Kühlbecken geklaut!Irgendwie erinnert die Durchsuchung unserer Server an die Spiegel-Affäre. Im Jahr 1962 (dann doch vor meiner Zeit) erschien im Spiegel der Artikel Bedingt abwehrbereit. In diesem Artikel war zu lesen, dass die Bundeswehr nicht ganz so schlagkräftig sei, wie bis dahin behauptet. Die staatliche Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Das Redaktionsgebäude wurde durchsucht und besetzt, Telefone angezapft, Redakteure verhaftet (selbst in Francos Spanien lies man die Handschellen klicken) – Deutschlands junge Demokratie hatte ihre erste Bewährungsprobe zu bestehen. Leider gab es inzwischen so viele Bewährungsproben, dass eine gewisse Abgestumpftheit einsetzte. 1962 demonstrierten die Bürger gegen staatliche Willkür und Pressezensur. Andere Verlage – Konkurenten im Zeitschriftengeschäft – stellten den Redakteuren des Spiegels Büroräume und Druckmaschinen zur Verfügung, damit die nächste Ausgabe erscheinen konnte. #servergate ließ niemanden mehr aufspringen. Eine 36 sekündige Meldung in der Tagessschau war der einzige öffentliche Widerhall.
Nach mehreren Tagen stellte von der Öffentlichkeit unbemerkt die hessische Landtagsfration der SPD einen Berichtsantrag an den Rechts- und Integrationsausschuss. Die Frage nach der Sicherheit von Webseiten stellte sich die Bundes-IT und arbeitet derzeit gemeinsam mit anderen europäischen Piratenparteien ein Konzept aus, um Daten gegenseitig zu spiegeln. Das gäbe im Fall einer Rechnerbeschlagnahmung die Chance möglichst schnell aus anderen Ländern heraus wieder online zu sein. Der Rest der Republik regte sich nicht. Denn unsere Webseiten sind ja sicher (zugegeben: Flugzeugabstürze und Tsunamis gefährden unsere Internetpräsenzen nicht. Gefahr droht jedoch von ganz anderer Seite), die deutschen Meiler trotz Ausstiegsbeschluss viel stabiler gebaut als der Reaktor in Tschernobyl. 1986 war ich schon kein Kind mehr und erinnerte mich daran, dass doch auch 1979 in Harrisburg eine Kernschmelze gab. Ganz ohne Erdbeben und Tsunami. Und doch hört man hierzulande: das einzige was unseren Kernkraftwerke gefährden kann, sei ein Terrorangriff mittels eines Verkehrflugzeuges (wobei ausgerechnet jene am lautesten auf dieses Risiko aufmerksam machen, die eine Terrorgefahr in Deutschland als grundsätzlich nicht gegeben bezeichnen). Aber offensichtlich kommt es in unseren Kraftwerken schon zum Störfall beim Versuch sie runter zu fahren.
Auch für verabreichte Beruhigungspillen und bei uns ist alles in Ordnung-Verlautbarungen scheint es eine Halbwertszeit zu geben. Sie gelten nur so lange bis das Gegenteil eintritt.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.