Derzeit gerät das noch amtierende Leitmedium Fernsehen gegenüber dem Internet in die Defensive. Nachdem sich das Fernsehen seit seiner Erfindung 1885 stets weiter entwickelte, treten die Konzepte seit vielen Jahren auf der Stelle – die Alten sind es gewohnt, die Jungen wenden sich anderen Beschäftigungen zu.
Eine gewisse Verbreitung fand das mechanisch aufgebaute Fernsehen ab den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht nur in Deutschland, sondern auch in England und den USA. Den qualitativen Durchbruch brachte die Olympiade 1936, die live im Deutschen Fernsehen übertragen wurde. Drei Jahre später, in den USA wurde bereits ein hochauflösendes Fernsehen mit Farbe entwickelt, zwang die Nazi-Regierung die ganze Welt in einen verheerenden Krieg, in dem die Perfektionierung des Tötens Vorrang vor allem anderen hatte. Während die Alliierten mit dem weiter sendeten, was sie hatten, machte das Fernsehen in Deutschland bis 1952 Pause. Fernsehen war immer auch eine Komponente im Kampf der Systeme. Vor dem Krieg war es Deutschland, das 1935 England mit einem regelmäsigen Programm um 2 Wochen voraus war. Nach dem Krieg gelang es der DDR 4 Tage vor dem Westen ein regelmäßiges Programm zu bieten. Als 1953 in England eine neue Königin gekrönt wurde, konnte wieder ganz Europa zuschauen: 11 Stunden Livesendung. Im Jahr darauf sendete man in den USA regelmäsig in Farbe. Das Fernsehen boomte, die flimmernden Kisten zogen in die Wohnzimmer ein.
In Europa gewann der Westen mit rund 2 Jahren Vorsprung das Wettrennen um die Farbe. Das PAL-System, das von Bundeskanzler Willy Brandt in Betrieb genommen wurde, war sogar technisch ausgereifter, als die Lösung im anderen Teil Deutschlands. Dort setzte man auf das einfache SECAM-Verfahren, nicht zuletzt, um mit dem inkompatiblen Farbsystemen fernsehtechnisch eine eigene Mauer entlang der Grenze zu errichten.
Mitte der 70er Jahre wurde in England ein Verfahren entwickelt, um zusätzlich zum Fernsehbild auch digitale Informationen zu übertragen. International wurde dieses System als Teletext vermarktet, in Deutschland (West) wurde es 1980 als Videotext eingeführt. Im Jahr darauf folge der Zweikanalton. Die DDR hatte zu diesem Zeitpunkt den technischen Anschluss bereits verloren und gab das Rennen um technische Innovationen auf. Kurz nach dem ersten Kontakt mit der digitalen Welt ging das Fernsehen mangels der Ost-Konkurenz und seinem Alter entsprechend in die Breite: Kabelfernsehen und private Sender brachten eine fast unüberschaubare Programmvielfalt in die Wohnzimmer.
Damit begann aber auch der Niedergang des Fernsehens. Beim verzweifelten Kampf um die Einschaltquote – der Maßstab für den Wirkungsgrad einer Sendung – blieb das Niveau auf der Stecke. Die Zuschauer verteilten sich auf die unterschiedlichen Kanäle, weswegen plötzlich auch das identitätsstiftende Element des Fernsehens entfiel: Die Fernsehsendung vom Vortag war nicht mehr das Gesprächsthema, da zu viele Sendungen zur Auswahl standen. Zu diesen hausgemachten Problemen gesellten sich später eine Gefahr von Außen, die nicht einfach zu einer Umverteilung der Zuschauerzahlen führte, sondern zum langsamen Schwund der Fernsehteilnehmer: die Möglichkeiten des Internets entziehen dem Fernsehen zunehmend Zuschauer. Das Netz gräbt dem Platzhirsch Fernsehen das Wasser ab.
Studien zeigen ein scheinbar anderes Bild: die vor dem Fernseher verbrachte Zeit steigt in Deutschland noch immer. Inzwischen verbringt der durchschnittliche Deutsche über 3 Stunden täglich vor dem Fernsehgerät. Diese Dauer wird bei einem genaueren Blick auf die Zahlen zum wertlosen Statistikbrei: Die wachsende Zahl ältere Bürger und solche mit geringem Bildungsstand treiben die durchschnittliche Fernsehzeit nach oben. Am unteren Ende der Bevölkerungspyramide, dort wo wegen des demographischen Wandels weniger Personen zum Ergebnis beitragen, schaut man noch 2 Stunden täglich. Doch lohnt bei solchen Erhebungen ein weiterer kritischer Blick: In das Ergebnis fließen nur die 36 Mio. Haushalte mit Fernseher ein. Die 4 Mio. Haushalte ohne Fernseher bleiben außen vor und verwässern so die schönen Zahlen nicht. Eine Untersuchung des Statistischen Bundesamtes bestätigt die Existenz divergierender Medienkulturen: die Internetnutzung ist gerade bei Jüngeren sehr beliebt. Noch wird sie nicht in Minuten pro Tag, sondern in täglich oder fast täglich gemessen, doch der Trend zum Internet ist deutlich.
Die klassischen Fernsehsender sehen ihre Bedeutung schwinden und mauern. Natürlich sind alle Sender im Internet präsent, doch dort hängen sie ihrer alten Philosophie des Rundfunks nach: Sendungen müssen genau zur Sendezeit geschaut werden, der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag schreibt fest, dass ältere Sendungen nach kurzer Zeit von den Servern herunter gelöscht werden. Dazu kommen überwunden geglaubte Denkstrukturen aus den Zeiten des kalten Krieges: mit ausländischen IP-Adressen bleibt die Seite der Mediathek oft leer. Da nutzt es nichts, dass der Systemkampf PAL gegen SECAM längst entschieden ist und in Europa keine Grenzen mehr existieren. Die Logik der abgeschotteten Fernsehmärkte schreibt vor, dass es auch im Internet eine Reichweitenbeschränkung gibt. Und anders als die alten Sendetürme macht der Stream an der Grenze abrupt halt. Die Möglichkeiten der IP-Netze werden so pervertiert. Statt die Vorteile der jederzeit und überall verfügbaren Datenkommunikation zu nutzen, wird genau wie früher einzuschränkt wer schauen darf und wer nicht. Das mag nach Innen beruhigend wirken; doch wer sich so abschottet, wird von Außen nicht mehr wahrgenommen.
So suchen Öffentlich-Rechtliche wie Private ihre Rettung im Schulterschluss mit der Politik. Kritische Berichterstattung gibt es praktisch nicht mehr, politische Magazine wurden zur handzahmen Hofberichterstattung. Da die Ministerpräsidenten viel Macht über den Rundfunk haben und diese zunehmend rücksichtslos einsetzen um gefällige Berichte zu erwirken, wagt kein Sender auch nur das Wort aber zu benutzen. Wer Belege dafür sucht, findet sie in der Zusammensetzung des Fernsehrates des ZDF sowie der Landesrundfunkräte der einzelnen ARD-Anstalten. Für das ZDF sind das im Einzelnen: Abgeordnete, Vertreter der Parteien, Staatssekretäre und Ministerialdirigenten, Minister des Bundes und der Länder, der Städtetag, die Vertriebenen. Die Opfer des Stalinismus haben ihren eigenen Sitz, dazu kommen Vertreter der Bauern, des Sportbundes, drei Religionsgemeinschaften, die Unternehmer und Handwerker und die Gerwerkschaften und Wohlfahrtsverbände. Immerhin darf auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) einen Vertreter entsenden. Doch Hand auf’s Herz: Spiegelt das die gesellschaftliche Relevanz des Jahres 2011 wieder?
Gesellschaftliche Veränderungen sowie das Internet setzen dem klassischen Fernsehen zu und drohen ihm den Rang als Leitmedium zu nehmen. Es ist nichts so, dass das Interesse an Unterhaltung oder Informationen wesentlich gesunken wäre. Doch wie die privaten Stationen dem Öffentlich-Rechtlichen-Sendern Zuschauer wegnahmen, entstanden mit Sozialen Netzwerken und Videoportalen im Netz Mitbewerber um die abendliche Aufmerksamkeit. Doch da die Produktionskosten für Fernsehsendungen nicht sinken, nur weil sie von weniger Menschen eingeschaltet werden, schützt die Politik nun den Rundfunk vor der finanziellen Austrocknung: Zukünftig soll nicht mehr der Besitz eines Gerätes zur Zahlung der GEZ-Gebühren verpflichten sondern eine Abgabe pro Haushalt. Mit dieser Haushaltsabgabe werden die Einnahmen erhalten, auch wenn immer mehr ihre Freizeit ohne Fernseher verbringen. Ob das den Bedeutungsverlust stoppen kann oder den Niedergang gar beschleunigt, werden wir in einigen Jahren wissen.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.