Ich bin TV-Verweigerer aus Überzeugung. Seitdem ich anno ’93 den WG-Fernseher verschenkte, lebe ich ohne. Und mein Leben wurde seitdem reicher! Es ist ja nicht so, dass die Abendgestaltung aus im Sessel sitzen und auf einen leeren Fleck in der Ecke des Wohnzimmers starren besteht. Nein, ich gehe aus, ich schreibe Bücher und Artikel (ja, es gab ein Leben vor der Flaschenpost!), ich bilde und informiere mich. Und: ich gehe ins Bett, wenn ich müde bin. Nicht wenn die Sendung zu Ende ist.
Wie auch immer: in regelmäßigen Abständen kommen Briefe der GEZ, ob ich denn nicht inzwischen… Manchmal beantworte ich sie. Mal mit, mal ohne Porto. Manchmal werfe ich sie ungelesen zum Altpapier. Da lasse ich meinen Stimmungen freien Lauf! In den letzten 18 Jahren bekam ich viele derartige Briefe. Unangenehme Erlebnisse mit GEZ-Fahndern hatte ich allerdings nie – auch das muss erwähnt werden.
Vor einigen Wochen kam ein Brief, um nachzufragen, ob ich denn den vorherigen Brief nicht erhalten hätte. Hatte ich natürlich, und er lag tatsächlich noch auf dem Schreibtisch. Da Andi Heimanns Artikel Hausverbot für GEZ-Mitarbeiter großes Interesse erweckte, sei meine Absage an das Fernsehprogramm hier veröffentlicht. Jedes der beschriebenen Erlebnisse ist wahr. Nur die Sache mit der Nachbarin ist etwas länger her. Und es war nicht das Fernsehprogramm, das mich lockte. Aber schon die Sache mit dem Gesichtsausdruck am Ende des Abends entspricht wieder der Wahrheit 😉
Betreff: Absage an das Fernsehprogramm
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihre Schreiben vom 18.2. und vom 18.3.. Leider mussten Sie lange auf meine Antwort warten, darum bitte ich Sie um Verständnis.
Ihr erstes Schreiben stieß in mir tatsächlich einen Denkprozess an: Warum habe ich keinen Fernseher? Ich wollte Ihnen gegenüber fair sein und prüfen, ob es für mich lohnenswert oder unterhaltsam sein könnte, gelegentliche Abende vor einem Fernseher, statt mit Freunden, meiner Frau oder meinen Hobbys zu verbringen.
Bevor ich viel Geld in so ein Gerät investiere und im Wohnzimmer einen gut einsehbaren Platz dafür schaffe, kaufte ich eine Fernsehzeitschrift, um zu prüfen, was mir geboten wird. Allerdings enttäuschte ein erster Blick in das Programm sehr. Zur Illustration lege ich Ihnen das Exemplar der Hörzu bei. Beachten Sie besonders folgende Sendungen: Sa, 19:25 Uhr im ZDF: Fußball EM-Qualifikation. Kann es wirklich interessant sein, anderen Leuten beim Kicken zuzuschauen? Sonntag, 20.15 Uhr in der ARD: Tatort. Ganz unter uns: Ich wette, es gibt mehr Leichen und Gewaltopfer im Fernsehen als im wirklichen Leben! Alleine für den Sonntag zähle ich 7 Krimisendungen für die Programme ARD, ZDF, RTL und SAT.1. Laut Wikipedia gab es im Jahr 2009 rund 300 Morde in Deutschland. Sind da 7 Krimis in 4 Programmen an nur einem Tag des Jahres nicht ziemlich weit weg von der Realität? Gerade las ich in der ZEIT, dass im Jahr 2010 hier 1.237 Menschen an den Folgen von Drogenmissbrauch starben. Dazu fand ich in der Fernsehzeitung keine einzige Sendung. Erschreckend!
Die nächsten Tage geht das so weiter: Serien, viele Krimis, Kinofilme unterschiedlicher Bekanntheit und immer mal wieder eine Comedy-Sendung. Ehrlich gesagt hatte ich bereits bei der Lektüre des Montagsprogramms die Hoffnung verloren, wirklich interessante Sendungen zu finden. Sie müssen wissen, dass ich hohe Ansprüche an mich und mein Umfeld habe. Ich treibe Sport, bin politisch aktiv, arbeite weit mehr als die üblichen 40 Stunden pro Woche und liebe die kulinarische Küche. Keine einzige der angekündigten Sendungen sprach mich an. Krimis, Unterschichtenprobleme und Kreuzfahrten sind weit weg von meiner Lebenswirklichkeit.
Ein richtiges Schockerlebnis erlitt ich Mitte März. Wegen eines Seminars übernachtete ich in einem Hotel. Am Samstag nach dem schweren Beben in Japan schaltete ich um 7 Uhr den Fernseher ein (bestimmt zum ersten Mal seit 15 Jahren), um Neuigkeiten zu erfahren. In der ARD liefen Zeichentrickfilme! Im ZDF liefen Zeichentrickfilme! Nur ein kleiner Privatsender mit Minimalbudget (N24) berichtete vom Beben, der Tsunamiwelle sowie den haverierten Kernkraftwerken. Ist das der vielbeschworene Qualitätsjournalismus, den die Öffentlich-Rechtlichen angeblich bieten? Beide Sender verfügen über ein Budget von über 8 Milliarden Euro. Dafür senden sie Zeichentrickfilme, während in Japan der Notstand herrscht?
Ich machte einen weiteren, den praktischen Versuch bei der Frau Nachbarin. Wir schauten gemeinsam Nachrichten und anschließend eine Sendung, die als abgrundtief lustig angepriesen wurde. Die Nachrichten waren kaum mehr als zusammengefasste Informationshäppchen. Die Comedy-Sendung hatte ich nicht wirklich verstanden. Der dort präsentierte Humor war unterhalb des volkstümlichen Schenkelklopfers. Zugegeben, die Gäste im Studio lachten herzhaft, aber selbst meine Nachbarin, Fernsehbesitzerin aus Überzeugung, lachte nur selten. Meistens sah sie aus, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. Mir tat diese vergeudete Stunde meines Lebens leid! Diese Stunde hätten die Nachbarin und ich besser bei gutem Essen, einem Glas Wein und gemütlicher Unterhaltung verbracht.
Nein, ich muss Ihnen ehrlich sagen: Für solch einen Schrott wie Fernsehen kann ich mich nicht begeistern. Ich fürchte sogar Kopfschmerzen zu bekommen, wenn ich versuche, mich auf dieses Niveau hinunter zu denken. Meine derzeitige Abendgestaltung gefällt mir viel besser. Mein Leben ist ohne Fernseher reicher, bietet mehr Abwechslung und selbst erlebten Spaß. Deshalb kommt mir kein Gerät ins Haus, es wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Was soll ich mit einem Fernseher? Die Sendungen beleidigen meinen Intellekt.
Allerdings kann ich Ihnen Hoffnung für das Jahr 2013 machen: Sollte die Haushaltsabgabe tatsächlich kommen, können Sie mir zukünftig Monat für Monat Fernsehgebühren abpressen. Und es ist egal, was Sie senden: ob Volksmusik, Wiederholungen, Zeichentrickfilme – selbst wenn Sie die Sender gleich abschalten: Die Einnahmen sind gesichert. Staatlich garantierte leistungslose Spätdekadenz sozusagen. Ein Fernseher kommt mir trotzdem nicht ins Haus; ich hätte Angst, in kurzer Zeit zu vertrotteln.
Ich bitte Sie, bis zur Einführung der Haushaltsabgabe von weiteren Anfragen abzusehen.
Mit freundlichen Grüßen
Anlagen: Fersehzeitschrift, Absageformular
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.