Die Piratenpartei Bayern rief zum #nerdwalk. Beim gemeinsamen Wandern sollen Kontakte hergestellt und vertieft werden. Da der Wetterbericht einen regenfreien Tag versprach kam ich mit.
Treffpunkt für den gemeinsamen Start ist 6:45 Uhr am Hauptbahnhof in München. Von dort soll es mit dem Zug und dem Bahnbus nach Spitzingsee gehen. Einigen nicht mehr ganz jungen Piraten ist das dann doch zu früh, wir verabreden uns für 7:30 Uhr an einer Münchner U-Bahn-Station und bilden eine Fahrgemeinschaft. So gewinnen wir 45 Minuten Schlaf. Pünktlich um 9 Uhr stehen beide Gruppen am See. Wir freuen uns über die Zuverlässigkeit des Wetterberichtes, müssen aber auch feststellen, dass es 2 Piraten nicht aus dem Bett schafften. So stehen 7 Piraten am See, einer brachte Frau und Hund mit, sodass sich nach einem kurzen Blick auf die Wegkreuze 20 Beine in Bewegung setzen.
Die dominierende Farbe unserer T-Shirts ist schwarz. Mit einem Blick auf die noch kraftlose Sonne ahne ich, dass die Farbwahl nicht unbedingt die beste Wahl war. Ein Pirat trägt eine Baseballmütze mit solarbetriebenem Ventilator – am Ende des Tages wird er den frischesten Eindruck machen. Die auch sonst aktivsten Piraten stürmen vor und geben das Tempo an. Unser Feld zieht sich schnell auseinander. Wir sind viel zu schnell, die Zeiten auf den Hinweisschildern gehen von der doppelten Zeit aus! Aber schon im Lauf der ersten Stunde verläuft unsere Wanderung ein gutes Stück langsamer, da den aktiven Piraten die Puste ausgeht und sie nach hinten zurück fallen. Schon nach wenigen Minuten kommen uns Wanderer entgegen, die schon wieder auf dem Rückweg sind! Alle haben sie Stöcke dabei – meine liegen im Schrank zuhause.
Wir wechseln mit jedem 3. Schritt zwischen dem deutschen und den österreichischen Mobilfunknetz hin und her. Ich bin allerdings der Einzige dem das auffällt – und auch nur, wenn ich Notizen ins Blackberry eingebe. Alle anderen lassen ihre Telefone und Pads in der Tasche, sie bewundern lieber die grandiose Aussicht, die sich uns bietet. An Facebook oder Twitter denkt jetzt niemand.
Wir unterhalten uns stattdessen, miteinander, ganz ohne Technik. Unsere Gespräche handeln von Konflikten innerhalb der Partei, vom Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren und von der Nanotechnologie. Und wie leergefegt der Arbeitsmarkt ist. Jeder kann eine Geschichte von einer erfolglosen Stellenausschreibung beisteuern. Wir machen Scherze über Österreich, wo die Polizei “mir nichts dir nichts” auf die Standortdaten aller Mobiltelefone zugreifen darf. Das sei wegen der Bergrettung im Alpenstaat alterntivlos erinnern wir uns. Zu diesem Zeitpunkt schwitzen wir schon heftig in der Sonne. Das Thema “Lawine” beflügelt unsere Phantasie. Wir wünschen uns etwas Abkühlung, aber die schneebedekten Gipfel sind unerreichbar weit entfernt.
Dafür kommen wir dem Rotwandhaus immer näher. Als zwischen uns und dem Eingang keine 50m mehr liegen, werden wir von hinten angeschrien: “Weg, Platz, Achtung!”. Zwei Rambo-Radler kommen auf dem schmalen Weg zur Hütte nicht an uns vorbei und forderten uns so auf, einige Schritte zu weichen. Wir protestierten, werden aber mit dem Hinweis “Wir kommen aus Würzburg” mundtod gemacht. Sie radeln, kaum schneller als wir gehen, an uns vorbei, um neben der Hütte, also 20 Meter weiter, ihre Räder an einen Felsen zu lehnen und in ihren Rucksäcken nach Broten zu suchen. Auch wir machen unsere erste größere Rast und stärken uns mit Apfelsaftschorle, selbst gebackenen Keksen, den für die Berge so typischen Gummibärchen und Kartoffelsuppe.
Die Pause tut allen gut. Und obwohl der Aufbruch zur nächsten Etappe schwer fällt, traben wir los in Richtung Gipfelkreuz. Auf den ersten Metern fällt uns eine andere Gruppe von Radfahrern auf: kaum an der Hütte angekommen, joggen (!) sie weiter zur Bergspitze. Die Wegkreuze zeigen 20 Minuten für den Aufstieg an, die joggenden Radler kommen uns schon nach gut der Hälfte des Hinweges wieder entgegen – Fitness pur und ganz ohne andere zu belästigen!
Am Bergkreuz der Rotwand angekommen knacken wir die 1.884m Hürde, essen die letzten Kekse und machen das obligatorische Gruppenfoto mit Piratenfahne. Dank dieser Fahne werden wir zum Motiv einiger anderer Wanderer, die uns auch gleich knipsen. Das habe ich bei noch keiner anderen Gipfelbesteigung erlebt! Es entstehen auch gleich Gespräche mit anderen. Nicht über die typischen Piratenthemen, nein dafür ist die Luft schon zu dünn, aber über die beste Software um Panoramabilder zu machen. Eine unkomplizierte Möglichkeit kann ein Österreicher mit iPhone gleich praktisch vorführen: einmal um die eigene Achse drehen, schon ist der 360° Rundumblick abgespeichert.
Nun machen wir uns langsam an dem Abstieg. Der Weg geht mühsam nach unten, jeder spürt seine Knie. Es ist auch dieser Wegabschnitt, der uns langsam der Zivilisation näher bringt. Gelegentlich klingelt ein Telefon (“Wo bist du?”), und an der Seilstation angekommen, hat uns die Gegenwart in Form deutscher Mobilfunknetze endültig wieder eingeholt: uns erreicht per Twitter ein Notruf: “Hat jemand was vom #nerdwalk gehört? Sind die etwa ….. offline?”. Ab jetzt wird wieder getwittert, was die Netze hergeben, auch die Abfahrtzeiten der Busse unten im Ort werden plötzlich interessant. Ein Teil von uns nimmt den Fußweg nach unten, die Meisten investieren aber 9€ in ein Ticket der Seilbahn. Auf halber Strecke merke ich, dass meine Army Cap noch an der Bergstation liegt. Meine Erfahrungen zum Thema “ohne Mütze der Bergsonne ausgesetzt” hinterliesen traumatische Erinnerungen und so manche Furche in der Kopfhaut. Doch die nette Dame an der Talstation telefoniert kurz mit der Bedienung in der Bergstation, woraufhin mein Kopfschutz in einer eigenen Gondel auf den Weg ins Tal geschickt wird. Da schimpfe nochmal jemand über die Servicewüste Deutschland!
Unten am See verabschieden wir Piratenwanderer uns und treten den Heimweg an. Überschüssige Energie hat ohnehin nur noch der Hund. Zwei Sunden später regnet es.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.