Seit Jahrzehnten kennen wir deutsche Innenminister als Scharfmacher, Einheizer und Aufrührer. Hans-Peter Friedrich (CSU) hat nun ein neues Thema entdeckt, mit dem er Stimmung gegen das Internet macht: die Anonymität im Netz. Friedrichs Argumente sind bekannt und sollen an dieser Stelle weder wiedergegeben noch widerlegt werden. Aber schauen wir uns an, was anonyme Kommentatoren im heise-Forum und Blogger zu diesem Thema zu sagen haben:
- Das Internet war nie ein rechtsfreier Raum, es ist keiner und es wird nie einer werden. Jedes Gesetz gilt dort wie im normalen Leben.
- Ich fordere die Immunität der Politiker abzuschaffen, denn wenn man eine Entscheidung gegen das Grundgesetz trifft, sollte man auch dafür bestraft werden können.
- Das Internet ist […] Teil der „realen Welt“. Deshalb gelten im Internet aber auch die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte.
- Er ist eine große Gefahr für unsere Demokratie […] eigentlich müsste er unter Dauerbeobachtung des Verfassungsschutzes stehen.
- Hätte Bundesinnenminister Friedrich auch gefordert, dass die Geschwister Scholl mit „offenem Visier“ schreiben?
- Außer in der Hauptstadt wird im restlichen Deutschland kein Polizist ein Namensschild an seiner Uniform tragen.
- Wenn unsere Staatslenker ihre Weisheiten von sich geben, erinnert mich das mittlerweile an SED-Politiker im Endstadium kurz vor dem Mauerbau.
- In der realen Welt sind die Gedanken frei.
- In Gaststätten und Kneipen [sind] die sogenannten „Stammtische“ strengstens zu überwachen.
- Das Netz ist ein öffentlicher Raum, wenngleich auch ein virtueller. Insofern unterscheidet es sich im Prinzip nicht von einem beliebigen anderem öffentlichen Raum.
- Durch die permanente Wiederholung […] wird das gesagte auch nicht richtiger.
- Wir sehen was Politiker heute über Bürger dieses Landes denken.
- Wir […] sehen in Herrn Friedrich einen fundamentalistischer Terroristen, denn er verlangt die Aufhebung unserer freien und demokratischen Strukturen.
- Die Möglichkeit, sich anonym zu äußern, sei Voraussetzung für echte Meinungsfreiheit, erklärte die Piratenpartei.
All diese Äusserungen zeugen von großer Sorge um den Zustand des Landes und der Verfassung. Gleichzeitig aber auch von hohem Verständnis der bestehenden Gesetze und der Liebe zu ihnen. Schauen wir uns Im Vergleich dazu einige Äußerungen von Innenministern an, die sich in Zitatesammlungen finden:
- Friedrich Zimmermann: „Gewaltloser Widerstand ist Gewalt.“
- Wolfgang Schäuble: „Die Unschuldsvermutung heißt im Kern, dass wir lieber zehn Schuldige nicht bestrafen als einen Unschuldigen zu bestrafen.“
- Otty Schily: „Die Terroristen sollten aber wissen: Wenn ihr den Tod so liebt, dann könnt ihr ihn haben.“
- Thomas de Maizière: „Ich bezweifle, dass es ein Menschenrecht auf totale Transparenz gibt.“ (zum Thema WikiLeak)
- Manfred Kanther: „Die deutsche Staatsangehörigkeit ist nicht so wenig wert, dass sie einfach verliehen werden kann. Bei der Geburt kann ein Kind [ausländischer Eltern] beim besten Willen nicht integriert sein.“
Das klingt wenig staatstragend, es klingt gar so, als ob die geltenden Gesetze gering geachtet würden – gelegentlich deutet sich sogar das Verlangen nach einem „anderen“ Deutschland an. Von Herrn Friedrich selbst ist bekannt, dass er für den Export deutscher Panzer nach Saudi-Arabien stimmte, aber gegen einen Anschiebestopp syrischer Oppositioneller in das umkämpfte Land ist. Fast scheint es, als sei in anonymen Onlineforen mehr Rechtschaffenheit und Menschlichkeit zu finden als im Innenministerium.
Redaktionsmitglied Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervorging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen, machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites großes Hobby, den Amateurfunk, investiert.